Dezember 2022

221201-02

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Ursache der gegenwärtigen Strompreisexplosion ist keineswegs ein allgemeiner Anstieg der Stromerzeugungskosten. Vielmehr ist sie in der bisherigen Gestaltung der "Merit Order" zu suchen, die den exorbitanten Kostenanstieg bei Gaskraftwerken mit vielfacher Verstärkung auf die Großhandelspreise durchschlagen lässt. Es wäre deshalb sinnvoller gewesen, erst mal die Strompreisbildung am Spotmarkt zu reformieren, anstatt nachträglich die stark überhöhten Strompreise per "Strompreisbremse" zu subventionieren und die in falschen Taschen gelandeten Übergewinne in nur sehr unzureichender Weise abzuschöpfen. – Das war die Botschaft, die in der satirischen "Heute-Show" des ZDF am 2. Dezember in allgemeinverständlichen Weise vermittelt wurde. Bei dem Reformvorschlag, den die beiden ZDF-Satiriker Klaus von Wagner (rechts) und Oliver Welke vorstellten, handelte es sich nicht etwa um einen Jux oder ein spinnertes Patentrezept, sondern um eine durchaus realistische Variante jener Strompreis-Deckelung, wie sie Spanien und Portugal schon im April dieses Jahres gegen den heftigen Widerstand von EU-Kommission, Stromerzeugern und Börsenkreisen durchsetzen konnten (220408).

Haushaltsstrom wird 16 Monate lang bei 40 Cent gedeckelt

Unmittelbar nach Verabschiedung der Gasspreisbremse (221203) billigte der Bundestag am 15. Dezember auch die Strompreisbremse. Der von der Bundesregierung Ende November vorgelegte Gesetzentwurf "zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen" (221101) wurde mit 373 Ja-Stimmen bei 187 Nein-Stimmen und 101 Enthaltungen angenommen. Die Zustimmung kam erwartungsgemäß von den Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP. Dagegen lehnte die CDU/CSU das Gesetz ab, während AfD und Linke Stimmenthaltung übten.

Preisbremse ist auf 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs beschränkt

Damit erhalten vom 1. März 2023 bis 30. April 2024 Haushalte und kleinere Unternehmen, die weniger als 30 000 kWh Strom im Jahr verbrauchen, 80 Prozent ihres bisherigen Stromverbrauchs zu einem garantierten Bruttopreis von 40 Cent/kWh (die Entlastungsbeträge für Januar und Februar 2023 werden im März rückwirkend angerechnet). Die Differenz zum Vertragspreis übernimmt der Staat und rechnet sie direkt mit den Versorgern ab. Erst für Verbräuche oberhalb dieses "Basis-Kontingents" wird der volle Preis fällig, den die Versorger in den mittlerweile aktualisierten Tarifverträgen mitgeteilt haben. Dieser liegt dann mehr oder weniger weit über dem subventionierten Preis von 40 Cent/kWh, da er von der unterschiedlichen Kostenrechnung der einzelnen Unternehmen abhängt. Der bisherige Stromverbrauch, der als Berechnungsgrundlage dient, entspricht dem Verbrauch des Jahres 2021 oder wird vom Netzbetreiber geschätzt.

Zum subventionierten Kilowattstunden-Preis kommt wie üblich noch der Grundpreis

Der Bruttopreis von 40 Cent/kWh umfasst auch Netzentgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen, nicht aber die Grundpreise, die in den meisten Fällen zusätzlich zu den Arbeitspreisen erhoben werden. Wer es also schafft, sich mit 80 Prozent seines bisherigen Verbrauchs zu begnügen, darf nicht erwarten, dass ihm der Versorger lediglich die Anzahl der Kilowattstunden mit 40 Cent berechnet. Hinzu kommt – wie bisher – der jeweils vereinbarte monatliche Grundpreis als separater Bestandteil der Gesamtrechnung. Der Gesetzgeber erwartet allerdings, dass die Grundpreise nicht ohne Not verändert werden. Vor allem sollen Verschiebungen von Kostenanteilen zwischen Arbeits- und Grundpreisen verhindert werden, die den Staat oder die Kunden zum Vorteil des Versorgers zusätzlich belasten würden. Das Bundeskartellamt hat den Aufbau einer eigenen Abteilung angekündigt, die mißbräuchliche Verhaltensweisen bei der Anwendung der Strom- und Gaspreisbremsen verfolgen soll.

Für kleinere Unternehmen gilt ein Netto-Arbeitspreis von 13 Cent/kWh bei einem Limit von 70 Prozent

Unternehmen mit einem Stromverbrauch von mehr als 30 000 kWh im Jahr erhalten 70 Prozent ihres bisherigen Stromverbrauchs zu einem garantierten Netto-Arbeitspreis von 13 Cent/kWh. Steuern, Abgaben und Umlagen fallen zusätzlich an. Auch hier gilt für jede zusätzlich verbrauchte Kilowattstunde der neue und deutlich höhere Marktpreis für Strom. Da nur für 70 Prozent des Verbrauchs der Preis begrenzt wird, erhöht dies für Unternehmen den Anreiz zur Einsparung von Strom.

Sonderregelungen für industrielle Großverbraucher

Für besonders große industrielle Verbraucher mit einer Gesamtentlastung von mehr als 4, 50, 100 und bis zu 150 Millionen Euro gelten unterschiedliche Regelungen: Diese sind abhängig vom Gewinnrückgang des Unternehmens, der Einordnung als energieintensiver Betrieb oder der Energie- und Handelsintensität der jeweiligen Branche. Für Förderungen ab einer Höhe von 150 Millionen Euro sind Einzelnotifizierungen bei der Europäischen Kommission erforderlich.

Übergewinne werden nur sehr unzureichend abgeschöpft

Die Entlastung durch die Strompreisbremse wird teilweise über die Abschöpfung von Zufalls- bzw. Übergewinnen finanziert, die durch die Anbindung der Großhandelspreise an die exzessiv gestiegenen Kosten für den Einsatz von Gaskraftwerken zustande kommen. Diese Abschöpfung erfolgt allerdings nur vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. Juni 2023. Sie erfasst also nicht rückwirkend jenen Zeitraum, in dem der langjährige stundengewichtete Durchschnittspreis am Spotmarkt, der bis April 2021 bei durchschnittlich 38 Euro pro Megawattstunde gelegen hatte, bis August 2022 auf 465 Euro explodiert war. Er hatte sich sich damit binnen 16 Monaten mehr als verzwölffacht (siehe Phelix). Die Windfall-Profits, die sich daraus für Stromerzeuger unterhalb der Kosten für Gas ergaben, betrugen viele Milliarden. Eine Ahnung vom Ausmaß dieses Geldsegens vermittelte das früher arg notleidende EEG-Konto, indem es – und zwar nur als Folge eines Nebeneffekts dieser Gewinnlawine – binnen zehn Monaten um 9,5 Milliarden Euro anschwoll (220905).

KKW-Betreiber dürfen bis zu 100 Euro pro Megawattstunde erlösen

Diese Übergewinne werden den Empfängern nun nicht mehr streitig gemacht, obwohl sie zu Lasten der Stromverbraucher erzielt wurden. Zugleich erfolgt die Abschöpfung erst ab einem Zeitpunkt, zu dem die Großhandelspreise auf weniger als die Hälfte des Höchststandes zurückgegangen sind. Zudem ist sie erklärtermaßen so konzipiert, dass sie nur einen Teil der Übergewinne kappt. Beispielsweise wird Erneuerbaren-Anlagen zusätzlich zur Marktprämie ein "Sicherheitszuschlag" von 3 Cent pro Kilowattstunde garantiert. Das sind zusätzlich 30 Euro pro Megawattstunde. Den Betreibern der drei letzten Kernkraftwerke, deren Laufzeit soeben bis 15. April verlängert wurde (221103), werden ab Januar Spotmarkt-Erlöse von bis zu 10 Cent pro Kilowattstunde zugestanden. Das entspricht 100 Euro pro Megawattstunde und damit einem Preisniveau, das bis September vorigen Jahres noch niemals erreicht worden war.

"Adressiert werden nur Gewinne in einer Höhe, mit der niemand gerechnet hat", räumt die Bundesregierung selber ein. "Die vorgeschlagenen Regelungen zur Abschöpfung sichern, dass Kraftwerksbetreiber weiterhin sichere Gewinne am Strommarkt erzielen. Die Preissetzung am Großhandelsmarkt auf Basis der Merit Order soll deshalb erhalten bleiben. Der Markt selbst wird nicht verändert."

EU-Verordnung schreibt Abschöpfung von Übergewinnen ab einer verbindlichen Obergrenze vor

Die Bundesregierung setzt so in eher lascher Form die EU-Verordnung über "Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise" um, die am 30. September von einem außerordentlichen Treffen der EU-Energieminister in Brüssel beschlossen wurde. In Artikel 6 dieser Verordnung werden verbindliche Obergrenzen für Markterlöse vorgeschrieben, die "auf höchstens 180 EUR je MWh" begrenzt sind. Sie dürfen demnach nicht höher sein, bevor die Abschöpfung greift, aber durchaus niedriger. Nach Artikel 7 gilt diese Obergrenze für die Erlöse aus Windenergie, Solarenergie, Erdwärme, Wasserkraft (ohne Speicher), Biomasse (außer Biomethan), Abfall, Kernenergie, Braunkohle, Erdölerzeugnisse und Torf.

Sonderfall Steinkohle: Hier gilt die Obergrenze nur fakultativ

Die Steinkohle ist in dieser Auflistung nicht enthalten, könnte aber laut Artikel 8 durch Festlegung einer gesonderten Obergrenze einbezogen werden. Damit soll wohl die Möglichkeit geschaffen werden, speziell für diesen Energieträger eine über 180 Euro je MWh liegende Obergrenze einzuführen, da die Steinkohle auf der Merit-Order als zweitteuerste Art der Stromerzeugung gleich nach dem Erdgas rangiert. Die durch Steinkohle-Strom anfallenden Überschusserlöse sind entsprechend geringer, könnten aber je nach Höhe des Gaspreises doch so erklecklich ausfallen, dass eine Abschöpfung unumgänglich wird.

Aussicht auf unbegrenzte Gewinne gab Anstoß zur Wiederinbetriebnahme des GKM-Blocks 7

In ihrem Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse verzichtet die Bundesregierung auf eine Abschöpfung der Steinkohlekraftwerke schon deshalb, weil die beabsichtigte Aufstockung der Netzreserven zu einem guten Teil die freiwillige Rückkehr von Steinkohlekraftwerken an den Markt voraussetzt (220706). Zum Beispiel hat das Großkraftwerk Mannheim (GKM) lange gezögert, von der Erlaubnis zur befristeten Rückkehr an den Markt Gebrauch zu machen. Der für systemrelevant erklärte Steinkohle-Block 7 konnte deshalb nur auf Anforderung des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW ins Netz einspeisen (200913). Erst am 19. Dezember überlegte es sich der GKM-Aufsichtsrat dann doch anders und beschloss, den 425-MW-Block mit Beginn des neuen Jahres bis längstens März 2024 ganz regulär wieder in Betrieb zu nehmen. Neben der bereits im Oktober erfolgten Verlängerung der Ausnahmeerlaubnis um ein Jahr (221004) dürfte zu diesem Entschluss die Nichteinbeziehung der Steinkohle in die Abschöpfung entscheidend beigetragen haben.

 

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