Dezember 2025 |
251202 |
ENERGIE-CHRONIK |
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| Der deutschlandweit einheitliche Börsen-Großhandelspreis
für Strom
basiert auf der Fiktion eines engpassfreien Netzes. Aufgrund
dieser unrealistischen
Vorgabe kommt es zwangsläufig zu ganz realen Netzengpässen, die
bei einer
sinnvolleren Gestaltung der Börsenpreise vermeidbar wären. Die
Grafik
veranschaulicht, wie die Kosten für "Redispatch" und andere
Maßnahmen des "Netzengpassmanagements" von 2011 bis 2024 um
das 37-fache gestiegen sind, obwohl sich in den mittlerweile 35
Jahren seit der Wiedervereinigung praktisch nichts an der Gesamthöhe des
deutschen Stromverbrauchs geändert hat. Mit einem Zuschuss von 6,5 Milliarden Euro zu den Kosten des Übertragungsnetzes will die Bundesregierung im kommenden Jahr dafür sorgen, dass die immense Belastung nicht direkt auf die Stromrechnungen durchschlägt. In ihrem jetzt vorgelegten "Aktionsplan Gebotszone" behauptet sie sogar, dass nicht nur bestimmte Wirtschaftskreise vom Festhalten an der einheitlichen Strompreiszone profitieren würden, sondern "alle deutschen Verbraucher" – was für den Steuerzahler, der in jedem Verbraucher ebenfalls steckt, allerdings nur ein schwacher Trost sein kann... |
Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie an der ungeteilten deutsch-luxemburgischen Stromhandelszone trotz aller Probleme festhalten will. Am 15. Dezember teilte sie mit, dass sie der EU-Kommission gemäß Artikel 14 (7) der EU-Elektrizitätsbinnenmarktverordnung einen "Aktionsplan Gebotszone" übermittelt habe, mit dem sie den Vorschlag der ENTSO-E vom April dieses Jahres zurückweist, die deutsche Strompreiszone in fünf unterschiedliche Preiszonen aufzuteilen (250401).
"Die Bundesrepublik Deutschland hält an der bestehenden einheitlichen deutsch-luxemburgischen Gebotszone fest", heisst es kategorisch in dem 24-seitigen Papier (PDF). Diese Entscheidung entspreche auch dem aktuellen Koalitionsvertrag, in dem CDU/CSU und SPD bekräftigt hätten, an der einheitlichen Gebotszone festzuhalten (250403). Durch die Erhaltung der einheitlichen Gebotszone werde in Deutschland weiterhin ein einheitlicher Börsenstrompreis gelten. Davon würden auch "alle deutschen Verbraucher profitieren".
Dagegen würden die Ergebnisse des von der ENTSO-E durchgeführten
"Bidding Zone Reviews" nur eine Momentaufnahme darstellen. Diese Studie
betrachte nur das Untersuchungsjahr 2025. Die hier ermittelten
Wohlfahrtsgewinne seien um ein Vielfaches geringer als die geschätzten
Anpassungskosten, die durch eine Neukonfiguration der Gebotszone
entstehen würden, weshalb die neuen Gebotszonen viele Jahre bestehen
müssten, um sich zu rentieren. Zudem werde das deutsche Übertragungsnetz
in den kommenden Jahren signifikant weiterentwickelt und verstärkt. So
werde die Inbetriebnahme der ersten innerdeutschen
Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen die Transportfähigkeit
des deutschen Übertragungsnetzes stark erhöhen und bestehende Engpässe
reduzieren. Aus diesem und weiteren Gründen sei es daher "äußerst
zweifelhaft, ob die simulierten Wohlfahrtgewinne je realisiert werden
könnten".
Auch aus übergeordneten Gründen lehne Deutschland eine Neukonfiguration der
Stromgebotszone ab: Eine solche würde die Investitionsunsicherheit in der Energiewirtschaft
deutlich erhöhen, zu regionalen Kostenunterschieden für Endverbraucher führen,
die Wirtschaftlichkeit von Erzeugungsanlagen in einigen Regionen in Frage stellen
und "industriepolitisch komplexe Fragestellungen aufwerfen, in einer Zeit, in
der sich die europäische Industrie generell schon fundamentalen Herausforderungen
gegenübersieht."
Mit ihrer jetzigen Vorgehensweise will die Bundesregierung anscheinend einen Schlußstrich unter der Debatte erzwingen. Mit ihrer kategorischen Vorab-Entscheidung, an der ungeteilten EEX-Strompreiszone trotz aller Milliardenbelastungen und sonstigen Nachteile festzuhalten, mißachtet sie allerdings das Prozedere der Konfliktlösung, wie es die EU-Verordnung zum Elektrizitätsbinnenmartkt vorschreibt. Die Artikel 14 und 15 dieser Verordnung erlauben es den nationalen Regierungen nämlich keineswegs, über den Zuschnitt ihrer Stromgebotszonen eigenmächtig zu entscheiden. Gemäß den EU-Regularien ist es momentan vielmehr die Kommission, die bis spätestens Ende April 2026 darüber zu entscheiden hätte, ob Deutschland die vorgeschlagene Aufteilung in fünf Strompreiszonen hinzunehmen hat, nachdem eine gütliche Einigung mit den Nachbarn Frankreich, Italien, Niederlande und Schweden offenbar nicht zustande gekommen ist.
Zur Erinnerung: Der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) hatte am 28. April vorgeschlagen, die bislang ganz Deutschland sowie Luxemburg umfassende Gebotszone der EEX-Tochter EpexSpot in fünf Gebotszonen aufzuteilen (250401). Damit begann nach Artikel 14 der EU-Verordnung zum Elektrizitätsbinnenmartkt (PDF) eine sechsmonatige Frist: Nach Absatz 8 dieses Artikels hätten nun die EU-Mitgliedsstaaten, die an der jüngsten Gebotszonen-Überprüfung ("Bidding Zone Review") für Zentraleuropa teilgenommen haben – das waren Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande und Schweden – bis Ende Oktober einen einstimmigen Beschluss über diesen Vorschlag fassen müssen, den sie der EU-Kommission und der Europäischen Regulierungsbehörde ACER mit einer Begründung übermitteln. Wenn es nicht zu einem solchen einstimmigen Beschluss kommt, kann die EU-Kommission in Absprache mit ACER nach weiteren sechs Monaten beschließen, "ob die Gebotszonenkonfiguration in und zwischen jenen Mitgliedsstaaten geändert oder beibehalten werden sollte".
Unklar bleibt, ob und wieweit es bis Ende Oktober tatsächlich zu den geplanten Verhandlungen zwischen Deutschland und den vier anderen EU-Staaten gekommen ist, die an der Gebotszonen-Überprüfung beteiligt waren. Mit Sicherheit gab es aber nicht den erforderlichen einstimmigen Beschluss. Der Ball läge deshalb nun bei der EU-Kommission, die noch bis April Zeit hätte, ihn in Form einer endgültigen Entscheidung an die Bundesregierung weiterzugeben. Die schwarz-rote Koalition müsste also zumindest theoretisch weiterhin damit rechnen, die vorgeschlagene Fünfteilung der bisherigen deutschen Gebotszone von der EU-Kommission und ACER auferlegt zu bekommen.
Einen Hauch von Gegenwind könnte die Regierung aber auch seitens der Bundesnetzagentur zu verspüren bekommen, die neuerdings nicht mehr eine dem Wirtschaftsministerium unterstellte Behörde ist, sondern in Regulierungsfragen weitgehend unabhängig entscheiden kann (231109). Dabei bleibt sie zwar dem EU-Gemeinschaftsrecht verpflichtet, unterliegt aber keinerlei Weisungen. Vor allem bei der geplanten Festlegung der Allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (AgNes) ergeben sich etliche Überschneidungen mit der Strompreiszonen-Problematik.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums wurde der "Aktionsplan Gebotszone" bei einer Online-Umfrage, die im Oktober unter insgesamt 47 "Stakeholdern" durchgeführt wurde, mit deutlicher Mehrheit positiv beurteilt. Indessen gibt es nach wie vor auch ganz andere Sichtweisen, die typischerweise von Wirtschaftswissenschaftlern und ähnlichen Experten stammen, denen man gewiß nicht nachsagen kann, dass sie von der Materie nichts verstünden. Dazu gehört vor allem die Unabhängige Expertenkommission zur Energiewende, die am 9. Dezember ihren Monitoringbericht 2025 (PDF) dem Bundeswirtschaftsministerium übergab. In diesem Bericht plädieren die vier regierungsamtlichen Experten Andreas Löschel, Veronika Grimm, Felix Matthes und Anke Weidlich ganz eindeutig für eine Aufteilung der deutschen Strompreiszone:
"Eine Aufteilung der deutschen Strompreiszone ist eine sinnvolle Option, um effizientere lokale Preissignale zu liefern, die sowohl den Kraftwerksbetrieb als auch langfristige Investitionsentscheidungen systemdienlicher ausrichten würden. Wissenschaftliche Studien zeigen klar, dass sich ergebende regionale Preisunterschiede über ein Jahr betrachtet nur gering ausfallen und deutlich kleiner sind als die heutigen regionalen Differenzen bei den Netzentgelten. Durch eine Gebotszonentrennung könnten Kosten für das Engpassmanagement und den notwendigen Netzausbau signifikant gesenkt werden, während sich Standortentscheidungen für neue Erzeuger, Flexibilitäten und zukünftige Stromverbraucher wie Giga-Factories verbessern lassen. Europäische und internationale Erfahrungen mit Preiszonentrennungen zeigen, dass Zonengrenzen dynamisch angepasst werden können, ohne Planungssicherheit für Investitionen zu beeinträchtigen. Die Kommission bewertet die Vorteile (niedrigere Systemkosten, welche auf Verbraucher umgelegt werden müssen sowie effizientere Preissignale) klar höher als die Risiken bei einer Aufteilung der deutschen Gebotszone."
Auch die Monopolkommission hat in ihrem 10. Sektorgutachten Energie, das sie
am 4. November veröffentlichte, erneut eine marktgerechtere Gestaltung der Strompreiszonen
gefordert. Als "First Best"-Lösung (PDF)
schlug sie ein Nodalpreissystem vor, bei dem die Strompreise je nach Netzknoten
variieren und so Angebot, Nachfrage und Netzengpässe an jedem Punkt genau abbilden.
Als "Second Best" empfahl sie die Differenzierung durch mehrere Strompreiszonen
mit jeweils unterschiedlichem Großhandelsstrompreisen. Als "Third Best" nannte
sie ferner Möglichkeiten, entsprechende Anreize über eine Reform der Netzentgelte
zu implementieren.