April 2025 |
250403 |
ENERGIE-CHRONIK |
Union und SPD haben am 9. April den Koalitionsvertrag veröffentlicht, in dem sie ihre wichtigsten politischen Vorhaben für die geplante gemeinsame Regierung abstecken und die Ämterverteilung regeln. Indessen dauerte es noch bis Ende des Monats, bis der Vertrag auch die Zustimmung der jeweils zuständigen Parteigremien hatte. Bei der CDU genügte dafür die Zustimmung eines "kleinen Parteitags" und bei der CSU die des Parteivorstands. Bei der SPD bedurfte es dagegen eines Mitgliederentscheids. Wie die Partei am 30. April mitteilte, stimmten bei einer Online-Befragung unter den rund 358.000 SPD-Mitgliedern fast 85 Prozent für die Vereinbarung. Die Wahlbeteiligung lag bei 56 Prozent.
Damit konnte der Koalitionsvertrag endgültig unterzeichnet werden und in Kraft treten. Den Vereinbarungen zufolge wird die CDU den Bundeskanzler stellen und sieben der insgesamt 17 Ministerien übernehmen. Die SPD bekommt ebenfalls sieben Ressorts und die CSU drei. Im einzelnen sieht die Ressortverteilung folgendermaßen aus:
Die CDU stellt den Bundeskanzler und die Leitung der folgenden MInisterien:
• Chef des Bundeskanzleramtes (im Range eines Bundesministers)
• Wirtschaft und Energie
• Auswärtiges Amt
• Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend
• Gesundheit
• Verkehr
• Digitalisierung und Staatsmodernisierung
Die SPD stellt den Stellvertreter des Bundeskanzlers gemäß Artikel 69 GG sowie die Leitung folgender Ministerien:
• Finanzen
• Justiz und Verbraucherschutz
• Arbeit und Soziales
• Verteidigung
• Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit
• Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
• Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen
Die CSU stellt die Leitung folgender Ministerien:
• Innen
• Forschung, Technologie und Raumfahrt
• Ernährung, Landwirtschaft und Heimat
Die personelle Besetzung der einzelnen Ressorts stand Ende April noch nicht endgültig fest. Als sicher galt jedoch, dass die CDU-Politikerin Katherina Reiche Ministerin für "Wirtschaft und Energie" wird, wie das bisherige "Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz" künftig heißt. Reiche war 2015 aus der Politik in die Energiewirtschaft gewechselt, indem sie Geschäftsführerin des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) wurde (150206). Fünf Jahre später wechselte sie zum E.ON-Konzern, für den sie seit 2020 dessen größte Tochter Westenergie AG leitete (190908).
Aber auch die SPD wird mit ihrer Zuständigkeit für "Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit" sowie für "Finanzen" bei energiepolitischen Entscheidungen mitzureden haben. Grundsätzlich gilt für die Zusammenarbeit von Union und SPD, dass beide Fraktionen im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien einheitlich abstimmen. "Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind", heißt es im Koalitionsvertrag.
Das Kapitel "Klima und Energie" (HTML) umfasst 16 der insgesamt 144 Seiten des Koalitionsvertrags. Unter anderem sollen bei den Strompreisen "Unternehmen und Verbraucher in Deutschland dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh" entlastet werden. Hierzu werde man die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß, die bisher nur für die Industrie eingeführt wurde (231202), auf alle Stromverbraucher ausweiten. Ferner wolle man Umlagen und Netzentgelte reduzieren sowie anstreben, "die Netzentgelte dauerhaft zu deckeln". Die "Strompreiskompensation" für energieintensive Unternehmen werde man dauerhaft verlängern und auf weitere Branchen ausgeweiten.
"Die CO2- Einnahmen geben wir an die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zurück" wird erneut versprochen. Es ist aber auch weiterhin nicht an eine Rückgabe in bar gedacht. Stattdessen will man die von Jahr zu Jahr steigenden CO2-Einnahmen mit "unbürokratischen und sozial gestaffelten Entlastungen und Förderungen beim Wohnen und bei der Mobilität" verrechnen.
Damit sich Strompreis-Explosionen an der Börse nicht wiederholen, wie sie bei der "Dunkelflaute" im Dezember vorigen Jahres auftraten (241201), sollen künftig "Reservekraftwerke nicht nur zur Vermeidung von Versorgungsengpässen, sondern auch zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen". Die neu zu planenden Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetze (HGÜ) sollen – "wo möglich" – als Freileitungen umgesetzt werden.
Zur Entschärfung der Netzproblematik sollen bis 2030 zusätzlich Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von bis zu 20 Gigawatt errichtet werden, die "deutschlandweit vorrangig an bestehenden Kraftwerksstandorten entstehen und regional nach Bedarfen gesteuert werden". Parallel dazu will man "die regionale Nutzung ansonsten abgeregelten Stroms deutlich erleichtern", um die Netzengpässe zu entlasten. Abgelehnt wird jedoch ein Neuzuschnitt der EEX-Handelszone, der die vorhandenen Netzengpässe berücksichtigt und dadurch die Kosten verringern könnte, die bisher über die Netzentgelte auf die Verbraucher abgewälzt werden. "Wir halten an einer einheitlichen Stromgebotszone fest", heißt es dazu nur. Da die schwarz-rote Koalition zugleich eine Reduzierung der Netzentgelte verspricht und diese "dauerhaft deckeln" will, läuft das wohl auf eine teilweise oder völlige Übernahme der Redispatch-Kosten in den Bundeshaushalt hinaus, wie das der Übertragungsnetzbetreiber Amprion bereits im Februar vorgeschlagen hat (250203, siehe hierzu auch 250401).
Der genaue Wortlaut der im Kapitel "Klima und Energie" enthaltenen Absichtserklärungen lässt sich unter den folgenden Zwischenüberschriften aufrufen:
Klimaschutz
Emissionshandel
Energiepolitik
Energiepreise
Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung
Netze
Flexibilisierung
Finanzierung
Erneuerbare Energien
Solarenergie
Windenergie
Bioenergie
Wasserkraft
Geothermie
Kraftwerksstrategie
CCU und CCS
Wasserstoff
Kohleausstieg und Strukturwandel
Kraft-Wärme-Kopplung
Energieeffizienz
Wärme
Staatsbeteiligungen
Energiepolitische Themen werden zum Teil aber auch außerhalb des Kapitels "Klima und Energie" angesprochen. So ist es der Union nun doch noch gelungen, ihre Wahlkampf-Parole "Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen" wortwörtlich im Kapitel "Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen" unterzubringen. Da es im juristischen Sprachgebrauch kein Heizungsgesetz gibt, wäre eine solche Abschaffung aber ohnehin nicht möglich. Und soweit damit das "Gebäudeenergiegesetz" (GEG) gemeint ist, wird dieses keineswegs abgeschafft. Wie aus den dann folgenden Sätzen hervorgeht, handelt es sich vielmehr um eine eher maßvolle Novellierung:
"Das neue GEG machen wir technologieoffener, flexibler und einfacher. Die erreichbare CO2-Vermeidung soll zur zentralen Steuerungsgröße werden. Den Quartiersansatz werden wir stärken. Die Sanierungs- und Heizungsförderung werden wir fortsetzen. Die Kosten für energetische Sanierungen ererbter Immobilien werden künftig von der Steuer absetzbar. Die Förderfähigkeit des EH55-Standards wollen wir zeitlich befristet zur Aktivierung des Bauüberhangs wiederherstellen. Die Verzahnung von GEG und kommunaler Wärmeplanung vereinfachen wir."
Koalitionsverträglich sind auch die Ausführungen zum Thema Kernenergie, die man mit einiger Mühe im Kapitel "Bildung, Forschung und Innovation" findet. Denn bei Suchworten wie Kernenergie, Kernkraft oder KKW erfolgt Fehlanzeige. Das liegt daran, dass das richtige Suchwort "Fusionsreaktor" lauten müsste:
"Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung: Wir bringen neuartige Klimatechnologien voran. bauen die Forschung im Bereich Photovoltaik, Windenergie, Geothermie, Wasserstoff sowie Speichertechnologien wie zum Beispiel Batterien aus. Wir wollen die Fusionsforschung stärker fördern. Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen."
Dieses Bekenntnis zur Kernfusionsforschung – quasi einer Art "Kernenergie light" – können sogar eingefleischte KKW-Gegner akzeptieren, denn es wäre sicher ein Fortschritt, wenn man den Betrieb von Wärmekraftwerken zur Stromerzeugung von der hochriskanten und umweltverseuchenden Kernspaltung auf die Kernfusion umstellen könnte, die sicherheitsmäßig weit weniger Probeme aufwirft, aber technisch überaus schwer in den Griff zu bekommen ist. Die praktische Umsetzung des Konzepts düfte deshalb noch etliche Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Jedenfalls ist weder in dieser noch in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten, dass irgendwo – es muss ja nicht unbedingt Deutschland sein – ein leistungsfähiger Fusionsreaktor zur Stromerzeugung ans Netz geht. Vermutlich ist es aber gerade diese vorläufig reine Zukunftsmusik, welche die Kernfusion für Politiker als Ersatzdroge für Atomstrom-Süchtige tauglich macht.
Die Aufnahme der Kernfusion in den Koalitionsvertrag ist nämlich nicht nur eine Konzession an die SPD, die einer Förderung der konventionellen Atomstromerzeugung sicher nicht zustimmen würde. Sie ist auch im Zusammenhang damit zu sehen, dass die CSU nun das Ministerium für "Forschung, Technologie und Raumfahrt" erhält. Die bayerische Schwesterpartei der CDU hat sich schon bisher nicht nur für ein "Revival der Kernenergie" stark gemacht, sondern auch und besonders für die Kernfusion begeistert. Im April 2023 hatte der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder sogar angekündigt, dass Bayern in die Kernfusionsforschung einsteigen werde und hierzu die Errichtung eines eigenen Forschungsreaktors prüfen werde (230404). Nun bekommt er von der neuen Bundesregierung sogar den weltweit ersten Fusionsreaktor spendiert – wenn auch nur als imaginäres Projekt in einer fernen Zukunft. Indessen lässt sich selbst damit propagandistisch wuchern. Das erklärt wohl, weshalb auf Seite 79 des Koalitionsvertrags schon mal vorgesorgt wird, damit die für "nukleare Sicherheit" eigentlich zuständige SPD der CSU in diesem Bereich nicht in die Quere kommen oder – noch schlimmer – die Schau stehlen kann: "Wir regulieren die Fusionskraftwerke außerhalb des Atomrechts."
Positiv ist aber zweifellos, dass die Union von ihren früheren Forderungen
nach einer Verlängerung oder sogar Wiederbelebung der Kernenergie doch abgerückt
zu sein scheint. Vor allem die CSU war mit solchen Forderungen in einen populistischen
Wettbewerb mit der rechtsextremen AfD getreten, die außerdem noch die Wiederbelebung
der Kohleverstromung propagierte. Die CDU hatte dagegen ihre Tonart deutlich
gemäßigt, nachdem die drei letzten Reaktoren trotz der von ihr massiv unterstützten
Kampagne für einen möglichst langen Weiterbetrieb endgültig abgeschaltet wurden.
In der vom Parteivorstand im Januar 2024 beschlossenen "Heidelberger Erklärung"
bestand die Positionierung der CDU zur Kernenergie lediglich aus einem einzigen
Satz: "Auf die Option Kernkraft können wir zurzeit nicht verzichten."
(240105) Als dann nach dem Bruch der Ampel-Koalition
und den vorgezogenen Bundestagswahlen die Notwendigkeit einer Koalition mit
der SPD feststand, fügte der Parteivorstand diesem Satz noch einen zweiten hinzu,
der die an sich schon unverbindliche "Option" ausdrücklich mit dem
noch vageren Projekt eines Fusionskraftwerks verband. Die neue Positionierung
zur Kernenergie lautete seitdem: "Auf die Option Kernkraft können wir zurzeit
nicht verzichten. Wir wollen, dass ein erstes Fusionskraftwerk in Deutschland
gebaut wird" (250202).