Oktober 2022

221009

ENERGIE-CHRONIK


 

Die Kosten der sogenannten Systemdienstleistungen, aus denen sich die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ergeben, sind in im vergangenen Jahrzehnt um das Doppelte gestiegen. Ein weiterer und besonders hoher Anstieg ist aufgrund der bisher vorliegenden Zahlen für das Jahr 2021 zu erwarten. Im kommenden Jahr hätte sogar ein schlagartiger Anstieg der ÜNB-Netzentgelte um das Zweieinhalbfache gedroht, wenn der Bund nicht 13 Milliarden Euro zu ihrer Stabilisierung zur Verfügung stellen würde. Trotzdem werden die Netzentgelte wohl ähnlich stark steigen wie schon 2015 und 2017, da die ebenfalls erhöhten Kosten der Verteilnetzbetreiber ungedämpft auf die Stromrechnungen der Verbraucher durchschlagen.

Die in der Grafik enthaltene Schätzung der Kosten für das Jahr 2021 beruht auf den bisher von der Bundesnetzagentur bekanntgegeben Steigerungen für diverse Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen, die bei sonst gleichbleibenden Kosten 2900 Millionen ergäben. Hinzu kommt ein mit Fragezeichen versehener Zuschlag von 400 Millionen für höhere Kosten bei Verlustenergie und anderen Systemdienstleistungen.

Starker Anstieg der Netzentgelte trotz 13 Milliarden Euro Bundeszuschuss

Die vier Übertragungsnetzbetreiber teilten am 16. Oktober mit, dass sie ab 2023 für ihre Dienstleistungen erstmals ein bundesweit einheitliches Netzentgelt einführen, das "voraussichtlich" 3,12 Cent pro Kilowattstunde beträgt. Auf den ersten Blick ist das keine wesentliche Veränderung: Im laufenden Jahr verlangt 50Hertz 3,04 Cent, Amprion 2,94 Cent, TenneT 3,29 Cent und TransnetBW 3,03 Cent. Der Anschein trügt jedoch. Die "voraussichtliche" Neuberechnung für 2023 setzt nämlich voraus, dass der Staat die Netzentgelte der vier Transportnetzbetreiber sehr stark subventioniert, um sie auf einem erträglichen Niveau halten und den Strompreisanstieg insgesamt zu bremsen. In ihrem "dritten Entlastungspaket" hat die Bundesregierung dafür sage und schreibe 13 Milliarden Euro vorgesehen, die mit den Milliarden-Überschüssen auf dem EEG-Konto (220905) finanziert werden sollen.

Die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber würden ohne diesen Bundeszuschuss um das Zweieinhalbfache auf mehr als 10 Cent pro Kilowattstunde steigen. Dabei sind sie bisher nur der kleinere Teil der Netzkosten, die auf der Stromrechnung der Niederspannungskunden auftauchen. Im laufenden Jahr betragen die gesamten Netzentgelte für einen Durchschnittshaushalt ungefähr acht Cent pro Kilowattstunde (siehe Grafik). Ohne den geplanten Bundeszuschuss würde sich dieser Betrag annähernd verdoppeln.

Der zusätzliche Anstieg der Verteilnetz-Entgelte wirkt sich voll auf die Stromrechnungen aus


Aktuell haben die Netzentgelte im Bundesdurchschnitt einen Anteil von 21 Prozent an der Haushaltsstromrechnung, wenn der Grundpreis anteilig mitberechnet wird, wie es bei dieser BDEW-Grafik der Fall ist. Mit den Kosten für Messung und Messstellenbetrieb sind es 22 Prozent.

Dennoch dürften die Netzkosten auf den Stromrechnungen im kommenden Jahr neue Rekordhöhen erreichen, denn auch bei den Verteilnetzen zeichnet sich ein starker Anstieg der Entgelte ab. Und dieser Mehrbetrag – so bescheiden er im Vergleich mit der zehnmal stärkeren Preisexplosion auf der Höchstspannungsebene anmutet – wird ungedämpft auf die Stromrechnungen der Niederspannungskunden durchschlagen. So steigt in Berlin der Arbeitspreis des Netzentgelts für SLP-Kunden sogar um 35 Prozent. In Hamburg sind es 20,5 Prozent. Als Hauptgründe nennt die Stromnetz Berlin Gmbh neben höheren Beschaffungskosten für den Ausgleich von Verlustenergie und zur Deckung des Betriebsverbrauchs die unumgänglichen Investitionen, die zur Modernisierung des hauptstädtischen Verteilnetzes erforderlich seien.

Die Erhöhung beträgt im Bundesdurchschnitt 19 Prozent...

Nach § 20 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes müssen die Netzentgelte jeweils bis zum 15. Oktober des Vorjahres veröffentlicht werden. Ebenso wie die Übertragungsnetzbetreiber versehen die Verteilnetzbetreiber diese Pflichtveröffentlichung aktuell mit dem Vorbehalt, dass der Bundeszuschuss von 13 Milliarden zu den ÜNB-Netzentgelten auch tatsächlich beschlossen wird. Aufgrund einer Auswertung dieser Veröffentlichungen für 84 Prozent aller Haushaltskunden ermittelte der Tarifvergleicher Verivox einen bundesweiten Anstieg der Netzentgelte für Niederspannungskunden um durchschnittlich 19,2 Prozent. Bei einem Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden ergebe sich daraus für einen Vier-Personen-Haushalt ein Anstieg der jährlichen Netto-Netzkosten auf der Stromrechnung um 58 Euro auf 362 Euro.

...schwankt aber regional zwischen 4 und 43 Prozent

Wie Verivox am 20. Oktober weiter mitteilte, ließ sich bei dieser Auswertung der stärkste Anstieg in Brandenburg mit einem Plus von 45 Prozent feststellen. Das entspreche einer jährlichen Mehrbelastung von 168 Euro. In Mecklenburg-Vorpommern steigen die Stromnetzentgelte um 43 Prozent (plus 148 Euro), in Berlin um 30 Prozent (plus 79 Euro). Am geringsten ist die Belastung in Bremen (plus 4 Prozent), Thüringen (plus 9 Prozent) und Baden-Württemberg (plus 10 Prozent). Generell ist der Anstieg In den neuen Bundesländern mit rund 26 Prozent deutlich stärker als in den alten Ländern (plus 18 Prozent). Verbraucher in Ostdeutschland zahlen mit durchschnittlich 403 Euro knapp 14 Euro mehr als im Westen (355 Euro). Damit dürften die Strompreisunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland wieder zunehmen (siehe 160501).

Vereinheitlichung der ÜNB-Netzentgelte kam ab 2019 in fünf 20-Prozent-Schritten zustande

Die Vereinheitlichung der ÜNB-Netzentgelte sollte ursprünglich schon mit dem 2017 verabschiedeten "Netzentgeltmodernisierungsgesetz" (170604) erfolgten. Sie wurde dann aber auf den Verordnungsweg verschoben und erst ab 2019 tatsächlich in Angriff genommen: Gemäß der "Verordnung zur schrittweisen Einführung bundeseinheitlicher Übertragungsnetzentgelte" vom 20. Juni 2018 kam es zunächst zur Einführung eines gemeinsamen Anteils von zwanzig Prozent bei den Netzentgelt-Berechnungen, der sich in den folgenden vier Jahren gleichmäßig erhöhte.


Die 2021 beginnende Explosion der Großhandelspreise an der Börse hat sich in dieser Übersicht noch nicht auf die Systemdienstleistungen der Übertragungsnetzbetreiber ausgewirkt. Man weiß aber schon, dass sie im Folgejahr den Aufwand für verschiedene Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen von 1,4 auf fast 2,3 Milliarden erhöht hat. Laut dem Bericht "Netzengpassmanagement 2021" , den die Bundesnetzagentur jetzt vorlegte, stiegen die Kosten für den Redispatch um 369 Mio, für das Einspeisemanagement um 263 Mio, für das Countertrading um 46 Mio sowie für die Vorhaltung und den Einsatz der Netzreserve um 209 Mio. Dieser Aufwand dürfte im laufenden Jahr noch größer geworden sein und auch 2023 andauern. Der Bund subventioniert deshalb die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber mit einem Zuschuss von 13 Milliarden Euro, um unzumutbare Belastungen von Verbrauchern und Wirtschaft abzuwenden.

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)