November 2022

221111

ENERGIE-CHRONIK


Die ehemalige Gazprom Germania gehört jetzt dem deutschen Staat

Die einstige Gazprom Germania gehört seit 14. November zu hundert Prozent dem Bund. Bisher war ihr Eigentümer noch immer der russische Staatskonzern Gazprom, obwohl diesem die Verfügungsgewalt über das Unternehmen mit seinen zahlreichen Töchtern bereits Anfang April entzogen wurde. Stattdessen übernahm die Bundesnetzagentur treuhänderisch die Geschäftsleitung (220403). Am 20. Juni erfolgte außerdem die Umbenennung in "SEFE Securing Energy for Europe GmbH" (220608). Davon abgeleitet ist der Firmenname der "SEEHG Securing Energy for Europe Holding GmbH", die mit der Verkündung der Enteignung im Bundesanzeiger als neue Eigentümerin an die Stelle der Gazprom trat. Einziger Gesellschafter dieser Holding, die das Stammkapital von 225 595 000 Euro hält, ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Treuhandverwaltung rettete das systemrelevante Unternehmen vor dem in Moskau beschlossenen chaotischen Untergang

Die Gazprom hatte bereits im März ihre Geschäftsanteile formal einer Strohfirma übertragen. Damit verfolgte sie offensichtlich das Ziel, den deutschen Tochterkonzern nur noch als Störpotential zu verwenden und auf eine Weise zu liquidieren, die einen maximalen Nutzen für den Kreml mit einem möglichst großen Schaden für Deutschland verbunden hätte. Im nächsten Schritt verkaufte diese Strohfirma 0,1 Prozent der Geschäftsanteile an einen anderen Strohmann weiter, behielt aber die restlichen 99,9 Prozent. Der neue Mini-Gesellschafter erlangte so das alleinige Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung und konnte deshalb am 1. April eine notariell beglaubigte Anweisung an die Gazprom Germania in Berlin beschließen lassen, "to carry out the procedure of the voluntary liquidation". Bevor es zu dieser Selbstentleibung der deutschen Tochter und weiteren dubiosen Machenschaften kommen konnte, intervenierte jedoch die Bundesregierung, indem sie die Gazprom Germania unter Treuhandverwaltung stellte. Nach deutschem Recht blieb indessen die Gazprom – wenngleich unfreiwillig – weiterhin der Eigentümer. Sie hatte es nämlich versäumt, die für den Verkauf erforderliche Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums einzuholen. Der mit der Strohfirma geschlossene Verkaufsvertrag erlangte deshalb nach § 15 Abs. 3 des Außenwirtschaftsgesetzes keine Gültigkeit und blieb "schwebend unwirksam" (220403).

Voraussetzungen für eine Enteignung "zum Wohle der Allgemeinheit" sind erfüllt

Bei dem nunmehr vollzogenen Eigentümerwechsel stützt sich die Bundesregierung auf Artikel 14 Absatz 3 des Grundgesetzes, wonach eine Enteignung "nur zum Wohle der Allgemeinheit" zulässig ist. Diese Voraussetzung sieht sie erfüllt, weil das Eigenkapital der SEFE trotz bestehender Kapital- und Gewinnrücklagen in Höhe von rund 1.028.950.000 Euro nur noch aus Schulden in Höhe von 2.072.822.000 Euro besteht. Wegen der ungewissen Zukunft des Unternehmens, der am 15. Dezember auslaufenden Treuhandverwaltung und der weiterhin in russischer Hand befindlichen Gesellschafteranteile zeige ein Großteil der Geschäftspartner "Zurückhaltung bei der Aufnahme und Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen mit der SEFE und ihren Tochtergesellschaften". Ein von der Treuhandverwaltung in Auftrag gegebenes Gutachten habe "als zentrale Bedingung für eine Wiederherstellung der ungestörten operativen Geschäftstätigkeit und für externe Refinanzierbarkeit" einen Eigentümerwechsel für notwendig erachtet. Andernfalls drohe "ein Insolvenzszenario, welches aufgrund der Systemrelevanz der SEFE zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland führen könnte".

Gazprom hätte Anspruch auf Entschädigung, will aber die Fiktion eines Verkaufs aufrechterhalten

Insbesondere stützt sich die Regierung auf die Präzisierungen zu dem erwähnten Grundgesetzartikel, die mit den im Mai (220505) und im Juli (220705) erfolgten Novellierungen des aus dem Jahr 1975 stammenden Energiesicherheitsgesetzes vorgenommen wurden. Gemäß § 17a, Abs. 6 dieses Gesetzes wird das Bundeswirtschaftsministerium nun noch über eine Entschädigung der Gazprom befinden müssen, die "nach dem Verkehrswert des unter Treuhandverwaltung gestellten Unternehmens" zu bemessen ist. Die Entschädigung wird also nicht gerade üppig ausfallen. Vielleicht erledigt sich dieses Problem aber schon dadurch, dass die Gazprom sich selber gar nicht mehr als Eigentümerin sieht. Schließlich hat sie die Gazprom Germania nach russischem Recht an die Strohfirma verkauft, hinter der letztendlich sie selber stecken dürfte. Aber diese Strohfirma wird wohl kaum klagen, zumal sie dazu wegen der Ungültigkeit der Übertragung gar nicht befugt wäre.

Enteignung der Gazprom erfolgte durch Minimierung und Wiederanhebung des Stammkapitals

Formalrechtlich ging die Enteignung gemäß § 17a über eine Reihe von "Kapitalmaßnahmen" vor sich: In einem ersten Schritt wurden die zum 31. Oktober 2022 bestehenden Gewinn- und Kapitalrücklagen aufgelöst, um den bestehenden Bilanzverlust zu vermindern. Um den vollständigen Eigentümerwechsel zu erreichen, wurde anschließend das Stammkapital auf 0 Euro herabgesetzt, aber gleichzeitig durch eine Kapitalerhöhung wieder auf 225.595.000 Euro aufgestockt. Bei dieser Kapitalerhöhung wurden die Bezugsrechte des bisherigen russischen Gesellschafters ausgeschlossen, aber die neugegründete Holding SEEHG zugelassen, die am 11. November notariell beglaubigt ihre Bereitschaft zur Übernahme sämtlicher neuen Anteile an der SEFE erklärt hatte.

Das alt-neue Eigenkapital der SEFE wird bis Jahresende auf mehr als sieben Milliarden Euro erhöht

Um die Liquidität der SEFE zu sichern, hatte der Bund ihr bereits ein KfW-Darlehen von insgesamt 11,8 Milliarden Euro eingeräumt. Dieses Darlehen wird jetzt nochmals auf 13,8 Mrd. EUR erhöht, um den Wegfall der ursprünglich geplanten Gasumlage (220805, 220904) zu kompensieren. Zudem will der Bund bis Jahresende das Eigenkapital der SEFE durch einen "Debt-Equity-Swap" weiter stärken, der es auf mehr als sieben Milliarden Euro anheben würde. Dabei sollen wesentliche Teile des KfW-Darlehens durch Einlage in die Kapitalrücklage der SEFE in Eigenkapital gewandelt werden. Der restliche Teil des KfW-Darlehens soll der SEFE weiterhin als Fremdkapital zur Verfügung stehen. Der Debt-Equity-Swap bedarf noch der beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission.

 

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