Juli 2022

220701

ENERGIE-CHRONIK




Zuerst stoppte der Kreml Anfang April die letzten mageren Gasflüsse über die Pipeline Jamal (sie wird seitdem nur noch in der Gegenrichtung zur Belieferung Polens von Westen her verwendet). Dann kam es im Mai zu Störungen auf der Transgas, die teilweise mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hatten, aber letztendlich doch von der Gazprom inszeniert wurden. Dafür spricht auch die parallele Absenkung der Gasflüsse auf Nord Stream 1 und Transgas im Juni, bis hin zu deren völligem Versiegen während der zehntägigen Wartungsarbeiten an Nord Stream 1, obwohl diese nicht die Transgas betrafen.
Quelle:Bundesnetzagentur

Kreml kürzt Gaslieferungen nochmals um mehr als die Hälfte

Fünf Monate nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zeichnete sich Ende Juli noch deutlicher ab, dass Deutschland und die EU jederzeit mit einem völligen Stopp der russischen Gaslieferungen rechnen müssen. Wann und wie das der Fall sein wird, hängt allein vom strategischen Kalkül des Kreml-Diktators Putin ab, der die westliche Unterstützung für den unerwartet langen und erfolgreichen Abwehrkampf der Ukraine gegen die russischen Invasoren durch gezielte Sabotage der EU-Energieversorgung schwächen und brechen will. Die anfängliche Erwartung, dass Putin die langfristig vereinbarten Gaslieferverträge aus finanziellem Eigeninteresse einhalten werde, wäre nur bei einer raschen Beendigung der Kämpfe mit anschließenden Verhandlungen einigermaßen realistisch gewesen. Der Kreml-Diktator hält aber verbissen an seinem Ziel fest, sich die Ukraine ganz zu unterwerfen. Als ihm dies nach mehr als zwei Monaten noch nicht gelungen war, eröffnete er deshalb im Mai mit erpresserischen Forderungen gegenüber den westlichen Gasimporteuren und schließlich mit der stufenweisen Drosselung der Gasflüsse die zweite Front eines Wirtschaftskriegs gegen die Unterstützer seiner Opfer.

Als Vorwand dienten erneut angebliche technische Probleme

Zunächst war befürchtet worden, dass bereits die jährlichen Wartungsarbeiten an Nord Stream 1, derentwegen die Ostsee-Pipeline am 11. Juli komplett stillgelegt wurde, nur die Überleitung zur endgültigen Einstellung der Gaslieferungen sein würden (220601). Dafür sprach auch, dass parallel zu den zehntägigen Wartungsarbeiten der schwächere Gasfluss über die Transgas ebenfalls versiegte. Gazprom nahm dann aber beide Pipelines am 21. Juli wieder in Betrieb. Allerdings transportierten sie nun wie zuvor lediglich etwa 40 Prozent der Gasmenge, die bis Ende April kontinuierlich geflossen war. Und dabei blieb es nicht: Ab 27. Juli halbierte die Gazprom diese Menge nochmals um mehr als die Hälfte bis auf etwa 14 Prozent (Stand 28. Juli). Als Vorwand diente dabei, wie schon bei der früheren Reduzierung auf 40 Prozent, dass ein Gasverdichter von Siemens noch nicht wieder aus der Reparatur in Kanada zurückgekommen sei (220601). Das war inzwischen sogar eine doppelte Lüge, weil die anfänglichen Hindernisse für den Rücktransport aus Kanada inzwischen beseitigt wurden und es laut Siemens allein die Russen waren, die unter einem neuen Vorwand die unverzügliche Rückführung des in Deutschland versandfertig bereitstehenden Gasverdichters verhinderten.

Notfallplan zur EU-weiten Senkung des Gasverbrauchs um 15 Prozent

Am 26. Juli einigten sich die EU-Staaten auf einen Notfallplan, um den kommenden Winter auch ohne russisches Gas überstehen zu können. Der Vorschlag der EU-Kommission sah ursprünglich vor, dass allen Mitgliedsstaaten im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 eine Senkung ihrer Gasverbrauchs um 15 Prozent vorgegeben wird. Im Falle einer gravierenden Gasknappheit sollte es der Kommission möglich sein, diese angestrebte Reduktion durch Ausrufung eines "Unionsalarms" für verbindlich zu erklären. Damit stieß sie freilich auf Widerstand, weil vor allem Deutschland als größter russischer Gaskunde von solchen Einsparanstrengungen profitieren würde. Die meisten Staaten waren und sind nicht bereit, für die Blindheit deutscher Politiker bluten zu müssen, die ihr Land in eine derart extreme Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen gebracht haben. Der Vorschlag wurde deshalb in etlichen Punkten modifiziert. So wurden jene Mitgliedsstaaten von den verpflichtenden Gasreduzierungen ausgenommen, die nicht an die Gasnetze anderer Mitgliedstaaten angeschlossen sind. Vor allem wird die Kommission nicht mehr ermächtigt, den "Unionsalarm" auszurufen. Sie hat jetzt dafür nur noch ein Vorschlagsrecht. Die Entscheidung über die Verbindlichkeit des 15-Prozent-Reduktionsziels treffen die Staats- und Regierungschefs im "Europäischen Rat".

Litauen beugt sich in der Transitfrage dem Druck aus Brüssel

Eher ungeschickt agierte die Kommission auch in der Frage des Transitzugangs zur Enklave Kaliningrad (Königsberg), der durch Litauen führt. Wie schon bei Putins Forderung nach Bezahlung der Gasrechnungen in Rubel gab es hier keine klaren Signale zur Auslegung der EU-Sanktionsbestimmungen. Litauen hatte deshalb am 17. Juni damit begonnen, die Ein- und Ausfuhrverbote für Güter wie Stahlerzeugnisse, Zement, Alkohol, Kohle und Ölprodukte auf die durch sein Gebiet führenden Eisenbahntransporte anzuwenden. Das traf den Kreml tatsächlich an einer empfindlichen Stelle und ließ die russische Propaganda entsprechend aufheulen (220601). Erst am 13. Juli stellte die Kommission endgültig klar, dass sie die Sanktionsbestimmungen nicht so verstanden haben möchte. Die litauische Premierministerin Ingrida Simonyte zeigte sich daraufhin ziemlich enttäuscht. Sie versicherte aber, dass Litauen die neuen Leitlinien "aus Respekt für die Einheit mit unseren Partnern" befolgen werde, zumal weitere Streitigkeiten "ein echter Sieg für den Kreml" wären.

Im Unterschied zum Juni (siehe ältere Grafik) ging im Juli die kontinuierliche Auffüllung der deutschen Gasspeicher nur im ersten Drittel des Monats weiter. Dann kam es zwischen dem 10. und 22. Juli zu einem starken Einbruch, der im wesentlichen auf den Stopp sämtlicher russischen Gaslieferungen während der Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 zurückzuführen ist. Hinzu kam allerdings, dass Uniper ab 11. Juli nicht bloß seine eigenen Speicherkapazitäten nicht weiter auffüllte, sondern ihnen bis 18. Juli mehr als zwei Terawattstunden entnahm. Deutlich sichtbar machen das die beiden Tage, an denen deshalb sogar der Füllstand aller deutschen Speicher wieder zurückging. Der größte deutsche Gasimporteur zapfte also schon im Sommer seine Speicher an, weil ihm die aktuellen Preise für die Ersatzbeschaffung zu hoch waren. Vermutlich wollte er damit zugleich seinen Hilferuf nach finanzieller Unterstützung unterstreichen.
Quelle: Bundesnetzagentur

 

Vorläufig stellen 27 Ersatzkraftwerke eine zusätzliche Leistung von 8 Gigawatt bereit

Die Bundesregierung hat inzwischen weitere gesetzliche Vorkehrungen unter Dach und Fach gebracht, um die deutsche Energieversorgung trotz der gezielten russischen Sabotage einigermaßen winterfest zu machen. Kurz vor der Sommerpause verabschiedete der Bundestag am 7. Juli neben fünf Gesetzesnovellen zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien (220703) das "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz", das die Bundesregierung am 19. Juni angekündigt hat (220705). Eine auf dieser neuen Basis am 13. Juli erlassene Verordnung erlaubt insgesamt 27 mit Steinkohle oder Mineralöl betriebenen Kraftwerken bis zum 30. April 2023 die Rückkehr an den Strommarkt (220706). Mit insgesamt 8 Gigawatt verfügen diese Kraftwerke über eine mehr als doppelt so hohe und flexibler einsetzbare Leistung wie die drei letzten Kernkraftwerke, die zum Jahresende abgeschaltet werden sollen. Das reale Risiko von Lastspitzen, die sich aus einem aktuellen Run auf elektrische Heizgeräte ergeben könnte (220707), dürfte damit begrenzbar sein. Die Bundesregierung lässt aber nochmals prüfen, ob bei diesen drei Kernkraftwerken im Einzelfall ein kurzfristiger Weiterbetrieb sinnvoll sein könnte (220709).

Umlage verteilt Mehrkosten für Ersatzbeschaffung von Gas gleichmäßig auf alle Verbraucher

In der nun beschlossenen Fassung enthält das "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz" noch weitere Artikel mit Vorsorgemaßnahmen. Für die Verbraucher besonders wichtig ist eine erneute Änderung am soeben erst novellierten Energiesicherungsgesetz, die alternativ zum bestehenden Preisanpassungsrecht in § 24 mit dem neuen § 26 die Verordnungsermächtigung für einen Umlagemechanismus schafft. Damit sollen ab 1. Oktober die Mehrkosten der Ersatzbeschaffung für Gas gleichmäßig auf die Endkunden verteilt werden. Nach einer vorläufigen Prognose des Bundeswirtschaftsministers würde sich daraus im Einzelfall – je nach Preisgünstigkeit des derzeit noch geltenden Liefervertrags – eine Mehrbelastung zwischen 1,5 bis 5 Cent pro Kilowattstunde ergeben (220705). Damit kann dann vor allem Uniper die enormen Mehrkosten der Ersatzbeschaffung für die von Gazprom vorenthaltenen Gasmengen weiterreichen. Bisher war das nicht möglich, weil hierzulande eben nicht Putins Faustrecht gilt, sondern Lieferverträge eingehalten werden müssen. Die Bundesregierung sah sich deshalb im Juli genötigt, Deutschlands größten Gasimporteur, der zahllose Stadtwerke und industrielle Großkunden beliefert, mit bis zu 15 Milliarden Euro vor dem Zusammenbruch zu retten (220702).

 

Links (intern)