Oktober 2021

211004

ENERGIE-CHRONIK


Bundesnetzagentur nimmt Abstriche an Abstrichen vor

Die Bundesnetzagentur hat den Strom- und Gasnetzbetreibern nun doch noch eine höhere Netzrendite zugestanden, als zunächst vorgesehen war. Wie sie am 10. Oktober mitteilte, beträgt der neue Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen 5,07 statt 4,59 Prozent und für Altanlagen 3,51 statt 3,03 Prozent (jeweils vor Körperschaftssteuer). Die neuen Zinssätze gelten ab der vierten Regulierungsperiode, die für die Gasnetzbetreiber 2023 und für die Stromnetzbetreiber 2024 beginnt. Aktuell betragen die Zinssätze noch 6,91 bzw. 5,12 Prozent.

Wagniszuschlag wurde nach oben korrigiert

Die Behörde begründete ihre Abstriche an den Abstrichen mit einer Veränderung des sogenannten Wagniszuschlags, der Bestandteil des Eigenkapitalzinssatzes ist und zunächst mit drei Prozent angesetzt wurde. Aufgrund der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens sei er um 0,395 Prozentpunkte anzuheben gewesen. "Ergänzt durch steuerliche Folgen" habe dies zu einer Gesamterhöhung des zunächst vorgesehenen Wertes von 4,59 Prozent um 0,48 Prozentpunkte auf 5,07 Prozent geführt.

Basiszins ist nur noch ein kleiner Teil der Eigenkapitalverzinsung

Dieses Endergebnis ergibt sich aus einem "Basiszinssatz" von 0,74 Prozent plus dem "Wagniszuschlag" von 3,395 Prozent, multipliziert mit dem "Steuerfaktor" 1,226. Der Basiszins entspricht dabei der durchschnittlichen Umlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere in den vergangenen zehn Jahren. Der Wagniszuschlag soll gemäß § 7 Abs. 5 der Stromnetzentgeltverordnung der "Abdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse" dienen. Der Steuerfaktor berücksichtigt die noch nicht abgeführte Körperschaftssteuer. Die Eigenkapitalverzinsung für Altanlagen ergibt sich bei dieser Berechnungsmethode, wenn von Basiszinssatz plus Wagniszuschlag die durchschnittlichen Preisänderungsrate der vergangenen zehn Jahre abgezogen wird.

Infolge der Niedrigzinspolitik ist also inzwischen der Wagniszuschlag der wesentliche Bestandteil der Eigenkapitalverzinsung geworden. Seine Berücksichtigung und Berechnung sind umstritten, da der Netzbetrieb staatlich garantierte Renditen abwirft. Für die derzeit noch andauernde dritte Regulierungsperiode wurde er von der Bundesnetzagentur mit 3,15 Prozent festgelegt. Aus Sicht der Netzbetreiber war das zu wenig. Ihre diesbezüglichen Klagen wurden aber sowohl vom Oberlandesgericht Düsseldorf als auch vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen (190710).

Netznutzer kritisieren "Milliardengeschenk an Konzerne und Stadtwerke"

Aus Sicht der Netznutzer ist dagegen die von der Bundesnetzagentur zugestandene Eigenkapitalverzinsung entschieden zu hoch, weil sie die Netzentgelte entsprechend belastet. Der zum niederländischen Eneco-Konzern gehörende Stromanbieter Lichtblick (181209) und der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) ließen deshalb im August durch den Volkswirt Prof. Thomas Wein (Universität Lüneburg) ein Gutachten erstellen, wonach für Neuanlagen 3,79 Prozent möglich und angemessen gewesen wären (siehe PDF).

"Die Bundesnetzagentur verteilt ohne Not Milliardengeschenke an Konzerne und Stadtwerke", kritisierte Lichtblick die nachträgliche Korrektur, mit der die Behörde auch einer Forderung ihres Beirats entsprach (210809). "Die staatlich garantierten Renditen werden auch in Zukunft deutlich zu hoch angesetzt. Dabei gibt es kaum risikoärmere Investitionen. Offenbar ist die Behörde vor dem massiven Druck aus Politik und Netz-Lobby eingeknickt."

Beschlusskammer orientierte sich trotz des EuGH-Urteils am bestehenden nationalen Recht

Die zuständige 4. Beschlusskammer der Bundesnetzagentur begründete die Festlegung der neuen Eigenkapitalverzinsung in einem 50 Seiten umfassenden Beschluss. Ein Großteil der Ausführungen bezieht sich dabei auf das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach es der Bundesnetzagentur an der notwendigen Unabhängigkeit mangelt, weil ihr Entscheidungsspielraum zu sehr vom Energiewirtschaftsgesetz und anderen gesetzlichen Vorgaben eingeschränkt wird (210901). Die Beschlusskammer bekräftigte die Ankündigung des Behördenchefs Jochen Homann, das geltende deutsche Recht vorerst weiter anzuwenden: "Die Pflicht zur Anwendung dieser nationalen Vorgaben folgt aus Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz und gilt auch angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fort, bis sie vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber außer Kraft gesetzt oder neu geregelt werden." Das Luxemburger Urteil wird somit frühestens bei der Festlegung der Eigenkapitalverzinsung für die fünfte Regulierungsperiode zum Tragen kommen, die 2028 bzw. 2029 beginnt.

 

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