September 2021

210901

ENERGIE-CHRONIK


Bundesnetzagentur muss unabhängiger werden

Die 2009 in Kraft getretenen neuen EU-Richtlinien für die Binnenmärkte bei Strom und Gas (090401) wurden durch die vor zehn Jahren beschlossene Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (110602) in etlichen Punkten fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt. Zu diesem Befund gelangte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem am 2. September verkündeten Urteil. Er gab damit in vollem Umfang den vier Rügen statt, mit denen die Kommission die Umsetzung der beiden Richtlinien beanstandet hatte. Da die Bundesregierung auf ihre Änderungswünsche nicht einging, hatte sie im Juli 2018 eine entsprechende Klage wegen Vertragsverletzung eingereicht (180705).

Energiewirtschaftsgesetz räumt Regierung zu viele Zuständigkeiten ein

Der wichtigste Punkt betrifft die mangelnde Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde für den Strom- und Gasmarkt. Die Kommission wirft der Bundesrepublik vor, dass § 24 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes der Regierung eine Reihe von Zuständigkeiten überträgt, wenn es um die Festlegung der Übertragungs- und Verteilungstarife, die Bedingungen für den Netzzugang und die Erbringung von Ausgleichsleistungen geht. Dafür seien aber gemäß Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 ausschließlich die nationalen Regulierungsbehörden zuständig. Der beanstandete Passus war bereits in der 2005 beschlossenen Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (050701) enthalten und hat die vier Jahre später erfolgte Neufassung der beiden Richtlinien unbeschadet überstanden.

Begriff "vertikal integriertes Unternehmen" wird geografisch zu eng definiert

Ferner monierte die Kommission die Definition des Begriffs "vertikal integriertes Unternehmen" (VIU) in § 3 Nr. 38 des Energiewirtschaftsgesetzes. Die hier vorgenommenen Beschränkung auf in der EU tätige Unternehmen widerspreche sowohl dem Wortlaut von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 als auch dem Sinn und Zweck der in diesen Richtlinien vorgesehenen Regeln über die wirksame Entflechtung. Nicht ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden seien auch die Karenzzeitregelungen für Führungskräfte der Transportnetzbetreiber in § 10c Abs. 2 und 6 EnWG sowie die Bestimmungen zur Zulässigkeit von Mitarbeiterbeteiligungen an vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen in § 10c Abs. 4 EnWG.

Bundesnetzagentur will das geltende deutsche Recht vorerst weiter anwenden

"Es gilt nun, die Entscheidungsgründe sorgfältig auszuwerten", erklärte der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, in einer ersten Stellungnahme. Seine Behörde werde die Bundesregierung bei der zügigen Auswertung des Urteils unterstützen und rechtliche Unsicherheiten in der Übergangsphase so weit wie möglich reduzieren. Bis die notwendigen energierechtliche Anpassungen erfolgt sind, werde die Bundesnetzagentur für eine Übergangszeit das geltende deutsche Recht weiter anwenden und auf dieser Grundlage die Spruchpraxis der Beschlusskammern und der Abteilung in Energiesachen fortführen (z.B. zur Anreizregulierungsverordnung und zu den Entgeltverordnungen).

Neuformulierung der "Netzstabilitätsanlagen" genügte der Kommission nicht

Verantwortlich für die Umsetzung der beiden Richtlinien war die seinerzeit regierende Koalition aus Union und SPD (Kabinett Merkel 1). Im Mai 2014 leitete die Kommission erste Untersuchungen zu diesem Punkt ein. Im Februar 2015 übermittelte sie der erneuerten schwarz-roten Koalition (Kabinett Merkel 3) ein Aufforderungsschreiben und im April 2016 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihren Standpunkt bekräftigte, dass bestimmte Vorschriften des EnWG nicht mit den beiden Richtlinien vereinbar seien. Die Bundesregierung antwortete darauf im August 2016, dass gewisse Gesetzesänderungen hinsichtlich der erhobenen Rügen im Gange seien. Ein Jahr später übersandte sie dazu die seit 22. Juli 2017 geltende Fassung des Energiewirtschaftsgesetzes. Diese ersetzte zwar die "Netzstabilitätsanlagen" in § 13k des EnWG, die der Kommission inzwischen ebenfalls ein Dorn im Auge waren, durch die "besonderen technischen Betriebsmittel" in § 11 Abs. 3, enthielt aber sonst keine Zugeständnisse (180715). Aus Sicht der Kommission war damit ihren Rügen keineswegs abgeholfen und sie reichte deshalb die Klage beim EuGH ein.

 

Links (intern)