August 2021

210804

ENERGIE-CHRONIK


 


Die Gazprom-Speicher haben die saisonale Wiederauffüllung nach dem Frühjahr nicht mitvollzogen. Deshalb war Ende August auch der durchschnittliche Füllstand sämtlicher deutscher Speicher so gering wie noch nie.

Die deutschen Gazprom-Speicher sind noch fast leer

Schon vor Jahresanfang lag der Füllstand der beiden Erdgasspeicher Rehden und Jemgum, die der Gazprom-Tochter Astora gehören, unter dem Durchschnitt aller in Deutschland vorhandenen Speicher. Seit dem Frühjahr hat sich dieser Abstand aber enorm vergrößert, weil die beiden Astora-Speicher die saisonübliche Wiederauffüllung der in der kalten Jahreszeit geleerten Speicher nicht mitvollzogen (siehe Grafik1). Noch kurz vor Herbstbeginn waren sie Ende August (20.8.) nur zu knapp zehn Prozent gefüllt. Beim Speicher Rehden, der mit einer Kapazität von 43,6800 Terawattstunden der größte deutsche Speicher ist, waren es sogar nur 4,4 Prozent.

Dadurch sank auch der durchschnittliche Füllstand sämtlicher Speicher, der in den zurückliegenden zehn Jahren zu diesem Zeitpunkt immer zwischen 70,72 Prozent (2013) und 93,25 Prozent (2019) gelegen hatte, auf nur noch 55,81 Prozent. Denn die beiden Gazprom-Speicher verfügen mit einem Arbeitsgasvolumen von 51,8871 Terawattstunden über fast ein Viertel der gesamten deutschen Speicherkapazität von 229,4077 Terawattstunden. Außerdem war beispielsweise auch der Speicher "Katharina", der jeweils zur Hälfte Gazprom und der EnBW-Tochter VNG gehört (090509), nur zu 47,88 Prozent gefüllt.

Seit Jahresanfang fließt weniger Gas über die Ukraine nach Westeuropa

Zur Ursache dieser Speicher-Tiefstands gibt es verschiedene Erklärungen: Die eine lautet, dass die Gazprom ursprünglich davon ausging, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 schon vor Anfang dieses Jahres in Betrieb nehmen zu können. Daraus wurde bekanntlich nichts, weil die Trump-Regierung Ende 2019 mit Brachialgewalt den Abschluss der Verlegearbeiten verhinderte (191201). Bei den Verhandlungen über ein neues Transitabkommen mit der Ukraine (180704) hatte die Gazprom aber eine starke Absenkung der bisherigen Transitmenge von 90 Milliarden Kubikmeter jährlich durchgesetzt: Für 2020 sollte sie nur noch 65 Milliarden betragen und in den folgenden vier Jahren sogar auf 40 Milliarden sinken. Unklar blieb dabei, wie es nach 2024 weitergehen soll. Infolge der Verzögerung der Fertigstellung von Nord Stream 2 hätte Gazprom nun dieses Abkommen neu verhandeln und die Transite zumindest für dieses Jahr wieder erhöhen müssen, nachdem die neue US-Regierung die Vollendung der Pipeline nicht mehr verhindern will (210701). Dies passte aber gar nicht in das politische Konzept des Kreml, die Transite über die beiden festländischen Pipeline-Trassen Brotherhood und Jamal sowie die damit verbundenen Erlöse für die Ukraine und Polen möglichst zu minimieren. Deshalb floss ab Januar dieses Jahres deutlich weniger Gas durch die Ukraine nach Westeuropa und reichte nicht mehr aus, um die in Deutschland gelegenen Gazprom-Speicher wieder aufzufüllen.

Will der Kreml die jetzige und die neue Bundesregierung unter Druck setzen?

Eine andere Erklärung lautet, dass diese Kapazitätsprobleme durchaus zu lösen wären und der Kreml sie nur zum Vorwand nimmt: Im Grunde wolle er mit der bislang ausgebliebenen Wiederauffüllung der Speicher die deutsche Regierung unter Druck setzen, damit sie ihn bei der Vollendung von Nord Stream 2 sowie bei der Freischaufelung der Ostsee-Anschlussleitungen von allen Kapazitätsbeschränkungen (210707) noch mehr unterstützt als dies schon bisher der Fall war. Zugleich sende er damit noch vor der Bundestagswahl eine Warnung an die künftige Bundesregierung, in der die Grünen – die Nord Stream 2 vehement ablehnen – eine wichtige oder sogar entscheidende Rolle spielen könnten.

OMV-Chef Rainer Seeele spricht von "technischen Schwierigkeiten"

Eine in Moskau sicher wohlgefällig aufgenommene Erklärung verbreitete dagegen der OMV-Vorstandsvorsitzende Rainer Seele (210415), der auch Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer ist und in dieser Eigenschaft am 24. August in der "Frankfurter Allgemeinen" für eine "Wasserstoff-Allianz mit Russland" plädieren durfte. Er schrieb zunächst mal ganz allgemein von "niedrigen Speichermengen". Als deren Ursache nannte er an erster Stelle den "strengen Winter" und an zweiter "die geringeren Mengen von Flüssiggas". Er tat also, als ob es gar nicht speziell um die leeren Speicher von Gazprom ginge, die gewiss nicht mit Flüssiggas gefüllt werden. Aber dann erwähnte er doch noch "reduzierte Importmengen aus Russland": Diese seien indessen darauf zurückzuführen, dass es "technische Schwierigkeiten in einer Kondensat-Anlage in Nordsibirien" gegeben habe. Vor allem seinen Schlusssatz, der sich wahlweise als harmlose Feststellung oder als Drohung verstehen lässt, hätte die deutschsprachige russische Propaganda nicht besser formulieren können: "Wäre Nord Stream 2 schon in Betrieb und nicht aus politischen Gründen verzögert worden, hätte es diese Lieferprobleme nicht gegeben."

 

Von allen westeuropäischen Staaten verfügt Deutschland über die größten Erdgasspeicher.

 

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