April 2021

210403

ENERGIE-CHRONIK


Berlin kauft sein Stromnetz für 2,14 Milliarden Euro zurück

Der Berliner Senat akzeptiert das Angebot zum Rückkauf des Stromnetzes, das ihm der Vattenfall-Konzern im Oktober vorigen Jahres überraschend gemacht hat (201010). Wie er am 27. April mitteilte, beschloss er den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile an der Stromnetz Berlin GmbH durch eine landeseigene Gesellschaft. Der Kaufpreis entspricht mit 2.063,4 Millionen Euro dem Vattenfall-Angebot, das bis zum 31. Juli 2021 bindend ist. Hinzu kommen Anschaffungsnebenkosten in Höhe von voraussichtlich 79,8 Mio. Euro. Die Rekommunalisierung muss nun noch vom Abgeordnetenhaus gebilligt werden, mit dessen Zustimmung jedoch zu rechnen ist.

Zusätzliche Kosten durch Übernahme von Vattenfall-Beschäftigten

Die Überprüfung des Vattenfall-Angebots durch das Land ergab, dass es den Rückerwerb des Stromnetzes zu finanziell angemessenen Bedingungen ermögliche und deshalb angenommen werden sollte. Der Unternehmenskauf kann innerhalb der gesetzten Frist im Sommer 2021 abgeschlossen werden. Er soll fremdfinanziert über Kredite in Verbindung mit der Übernahme von Landesbürgschaften umgesetzt werden. Die zusätzlichen Anschaffungskosten von rund 80 Millionen Euro ergeben sich aus der vorgesehenen Übernahme von Beschäftigten aus dem Vattenfall-Konzern, die schon bisher Service-Aufgaben für die Stromnetz Berlin GmbH wahrgenommen haben, sowie anderen Transaktionskosten.

Gewinne bleiben jetzt in Berlin, statt nach Stockholm überwiesen zu werden

Der Kaufpreis wird sich langfristig durch die Gewinne aus dem Netzbetrieb amortisieren. In der Vergangenheit hat die Stromnetz Berlin GmbH jährlich einen Gewinn von rund hundert Millionen Euro an die Konzernzentrale in Stockholm abgeführt. Im vergangenen Jahr waren es allerdings nur noch knapp 90 Millionen Euro, da wegen der überall herrschenden Niedrigzinsen die Regulierungsbehörde auch die Renditen der Netzbetreiber gestutzt hat.

Bürgerbewegung "Energietisch" bereitete den Weg

Die regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linken hat in ihrem 2016 geschlossenen Koalitionsvertrag vereinbart, die Berliner Strom- und Gasnetze vollständig zu rekommunalisieren (161211). Sie machte sich damit zum politischen Vollstrecker der Bürgerbewegung "Energietisch", die 2013 gegen den Willen des damaligen Senats aus SPD und CDU ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Berliner Stromversorgung durchsetzte (130612). Bei dem anschließenden Volksentscheid stimmte eine große Mehrheit diesem Verlangen zu. Das klare Votum erlangte aber keine Rechtskraft, weil sich "nur" 24,1 Prozent aller wahlberechtigten Berliner an der Abstimmung beteiligt hatten und damit das erforderliche Quorum um 0,9 Prozentpunkte verfehlt wurde (131104). Als Reaktion auf diese breite Bürgerbewegung, die es in ähnlicher Weise auch in Hamburg gab, hat Vattenfall dann seine Verteilnetzbetreiber aus PR-Gründen wenigstens dem Namen nach rekommunalisiert: Aus der Vattenfall Distribution Berlin GmbH wurde die Stromnetz Berlin GmbH und aus der Vattenfall Stromnetz Hamburg die Stromnetz Hamburg GmbH (130309).

Die Konzession der Stromnetz Berlin GmbH war 2014 abgelaufen. Nach einem langwierigen Ausschreibungsverfahren bekam der landeseigene Betrieb Berlin Energie im vergangenen Jahr den Zuschlag für 20 Jahre (190313). Vattenfall erwirkte daraufhin per Eilantrag die vorläufige Suspendierung der Konzessionsvergabe (191108). Am 24. September vorigen Jahres wurde diese Entscheidung auch vom Berliner Kammergericht in letzter Instanz bestätigt. Allerdings stand die Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Berliner Landgericht erst noch bevor. Die Aussicht auf einen weiteren jahrelangen Rechtsstreit hat wesentlich zum Einlenken von Vattenfall beigetragen.

Verhandlungen über Rekommunalisierung der Gasag gehen weiter

Damit kann die Privatisierung des einstigen Berliner Stromversorgers Bewag, die Ende der neunziger Jahre von einer aus CDU und SPD bestehenden Senatskoalition vollzogen wurde (970501), wenigstens soweit wieder rückgängig gemacht werden, wie dies im Rahmen des neoliberalisierten Strommarktes möglich ist. Bei der fast gleichzeitig erfolgten Privatisierung der Berliner Gaswerke AG – Gasag (980209) gelang dies dagegen bisher noch nicht. Vor kurzem wurde der Senat sogar vom Bundesgerichtshof verurteilt, die Konzession für das Gasnetz erneut der Gasag statt der landeseigenen Berlin Energie GmbH zu übertragen (210303).

Indessen will die rot-grün-rote Koalition auch hier nicht lockerlassen. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) lud nach dem BGH-Urteil die Gasag-Aktionäre E.ON, Vattenfall und Engie zu einem Gespräch ein. Zugleich kündigte er ein neues Konzessionsverfahren für das Gasnetz an. Im Unterschied zu früher scheinen die drei Gasag-Aktionäre einen Verkauf des Unternehmens nicht mehr grundsätzlich abzulehnen. Allerdings dürfte es für den Senat schwierig sein, noch in der laufenden Legislaturperiode eine Lösung herbeizuführen: Am 26. September – gleichzeitig mit der Bundestagswahl – wird in Berlin das Abgeordnetenhaus neu gewählt.

 

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