September 2020

200915

ENERGIE-CHRONIK


Schiedsverfahren in Washington kostete Steuerzahler bereits 22 Millionen Euro

Der schwedische Vattenfall-Konzern verlangt von der Bundesrepublik inzwischen mehr als sechs Milliarden Euro Entschädigung, weil durch die im Juni 2011 beschlossene Änderung des Atomgesetzes die sofortige Stilllegung seiner beiden Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel verfügt wurde (110601). Die Schadenersatzklage, die er deshalb vor neun Jahren beim ICSID-Schiedsgericht der Weltbank in Washington angestrengt hat (141001), ist dort noch immer anhängig, ohne dass die mehrfach verschobene Entscheidung der drei Schiedsrichter mittlerweile absehbar wäre. Allein die Prozesskosten, die der Bundesrepublik und damit den Steuerzahlern entstanden sind, belaufen sich aber inzwischen auf rund 22 Millionen Euro. Dies ergibt sich aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Fraktion, die das Bundeswirtschaftsministerium am 16. September übermittelte.

Regierung geht weiter davon aus, dass die Vattenfall-Klage abgewiesen wird

Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, hat ICSID inzwischen einen zweiten Befangenheitsantrag der Bundesregierung wegen erheblichen Zweifeln an der Unvoreingenommenheit der drei privaten Schiedsrichter abgewiesen (190308). Die Bundesregierung habe keine Erkenntnisse darüber, wann ein Schiedsspruch ergehen werde. Es gebe derzeit auch keine Verhandlungen mit Vattenfall über eine Beilegung des Verfahrens. Man gehe weiterhin davon aus, dass die Schiedsklage abgewiesen werden müsse, weil sie unzulässig und unbegründet sei. Im übrigen müssten finanzielle Vorteile, die der Vattenfall-Konzern aufgrund eines ICSID-Spruchs erlangen würde, auf die Reststrommengen-Entschädigungen angerechnet werden, die ihm aufgrund der §§ 7e bis 7g des 2018 novellierten Atomgesetzes zustehen (180601). Am 22. März 2019 habe Vattenfall seine Klageforderung gegen die Bundesrepublik mit rund 4.381.938.000 Euro netto und rund 6.095.521.000 Euro mit Prozesszinsen beziffert.

Entschädigung nach dem Atomgesetz wäre wesentlich geringer als die angemeldeten Forderungen

Nach § 7f Atomgesetz darf Vattenfall einen "angemessenen Ausgleich in Geld" für die Hälfte der Reststrommengen verlangen, die das Kernkraftwerk Krümmel nicht verbraucht oder auf einen anderen Reaktor übertragen hat. Bei Brunsbüttel sind es zwei Drittel der Reststrommenge. Nach Angaben des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurden am 5. Februar dieses Jahres 6 Terawattstunden des Kontingents von Krümmel auf den Reaktor Isar 2 übertragen. Am 21. Februar erfolgte die Übertragung von weiteren 5 Terawattstunden auf den Reaktor Brokdorf. Beide Kernkraftwerke werden vom E.ON-Konzern betrieben, der an Krümmel zur Hälfte beteiligt ist. Zuvor fand am 11. Juli 2019 die Übertragung von 10 Terawattstunden auf das Kernkraftwerk Grohnde statt, das ebenfalls vom E.ON-Konzern betrieben wird und der sich die Überlassung dieser Reststrommenge von Vattenfall erst vor Gericht erstreiten musste (190907). Insgesamt verringerte sich so die Reststrommenge von Krümmel auf 67.245 Gigawattstunden, wovon die Hälfte bzw. 33,7 Terawattstunden entschädigungsfähig wären. Bei Brunsbüttel beträgt die Reststrommenge weiterhin unverändert 11 Terawattstunden, wovon zwei Drittel bzw. 7,3 Terawattstunden zu Buche schlagen würden. Summa summarum ergibt das 41 Terawattstunden oder einen Schadenersatzanspruch in der Größenordnung von 1,2 Milliarden Euro, wenn man für die Entschädigung einen durchschnittlichen Marktpreis von 30 Euro pro Megawattstunde in den vergangenen Jahren zugrunde legt. Das entspräche auch ungefähr den 27,80 Euro pro Megawattstunde, die E.ON für die Überlassung der 10 Terawattstunden aus dem Krümmel-Kontingent an den Reaktor Grohnde gezahlt hat. Allerdings müsste die Entschädigung wesentlich niedriger ausfallen und höchstens im dreistelligen Millionenbereich liegen, wenn lediglich entgangene Gewinne vergütet werden. Der Vattenfall-Konzern könnte in jedem Fall ein mehrfaches der nach dem Atomgesetz zu leistenden Entschädigung herausschlagen, wenn das Washingtoner Schiedsgericht seiner exorbitanten Forderung von sechs Milliarden Euro auch nur zum Teil stattgeben würde.

Verhandlungen über "Modernisierung" der Energie-Charta haben begonnen

Die Missbrauchsmöglichkeiten der sogenannten "Energie-Charta", auf die sich die Vattenfall-Klage in Washington stützt, will die Bundesregierung nicht durch eine Kündigung dieses Investitionsschutzabkommens beheben, sondern durch "Verhandlungen zur Modernisierung". Diese hätten am 6. Juli dieses Jahres begonnen und stünden noch am Anfang, heißt es in der Antwort auf die Anfrage der Linken-Fraktion. Das EU-Verhandlungsmandat umfasse unter anderem auch die Ablösung des Schiedsgerichts durch einen internationalen Investitionsgerichtshof. Außerdem habe die EU-Kommission bereits klargestellt, dass es gegen europäisches Recht verstößt, wenn ein Investor aus einem EU-Mitgliedsstaat gegen einen anderen EU-Mitgliedsstaat auf Grundlage der "Energie-Charta" eine Schadenersatzklage erhebt.

Bei der Vattenfall-Klage ist dieser Verstoß gegen europäisches Recht besonders ausgeprägt, weil hier praktisch der schwedische Staat als Eigentümer des Konzerns und EU-Mitglied die "Energie-Charta" gegen das EU-Mitglied Deutschland in Stellung bringt. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort darauf, dass Schweden auch die gemeinsame Erklärung von 22 EU-Staaten zum Vorrang des Unionsrechts (190107) nicht unterzeichnet hat. Ebenso sei Schweden – aber auch Österreich – einem völkerrechtlichen Übereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den EU-Mitgliedern ferngeblieben, das die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten am 5. Mai dieses Jahres in Brüssel unterzeichnete und dem Bundestag demnächst zur Ratifizierung vorgelegt wird.

 

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