November 2007

071106

ENERGIE-CHRONIK


Hessische Gesetzesinitiative zum Zwangsverkauf von Kraftwerken

Der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) stellte am 12. November in Berlin einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vor, den er Anfang 2008 in den Bundesrat einbringen möchte. Er würde das Bundeskartellamt zu "wettbewerbsstimulierenden Eingriffen in die Marktstruktur" berechtigen. Die Behörde könnte künftig sogar einen Zwangsverkauf von Kraftwerken anordnen, wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen und dadurch Wettbewerb verhindern. Eine weitere neue Vorschrift im GWB soll den nachträglichen Widerruf der Freigabe von Fusionen erlauben, wenn die Fusion zum Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geführt hat.

Rhiel erneuerte und präzisierte damit einen Vorschlag, den er bereits vor einem Jahr gemacht hat (061001). Der Zwangsverkauf von Kraftwerkskapazitäten ginge noch über die Vorstellungen der Monopolkommission hinaus, die in ihrem jetzt vorgelegten Sondergutachten ein Moratorium für den Bau neuer Kraftwerke durch die marktbeherrschenden Großstromerzeuger vorschlägt (071102). Mit zwei Gutachten will Rhiel belegen, daß die Verwirklichung seines Gesetzentwurfs verfassungsrechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll wäre. Das eine Gutachten zur Frage der Verfassungskonformität verfaßte der Jurist Prof. Dr. Christoph Engel, Direktor am Bonner Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Im zweiten Gutachten beschreibt der Ökonom Prof. Dr. Christian von Hirschhausen von der TU Dresden positive Erfahrungen im Ausland nach Marktstruktureingriffen. Bei einem Fachkongreß am 6. Dezember 2007 in Wiesbaden soll der Gesetzentwurf öffentlich diskutiert werden. Unter Berücksichtigung der Fachdiskussion möchte Rhiel den jetzt vorgestellten Gesetzentwurf in modifizierter Form Anfang 2008 in den Bundesrat einbringen.

Der Minister sprach sich ferner für eine Senkung der Stromsteuer um mindestens die Hälfte aus. Zur Gegenfinanzierung sollten die CO2-Zertifikate für Kraftwerke komplett versteigert und nicht überwiegend verschenkt werden werden, wie dies für die nächste Handelsperiode 2008 bis 2012 leider vorgesehen sei.

Wegen der Engpässe bei Kraftwerkslieferanten geraten neue Anbieter zusätzlich ins Hintertreffen

Den Hintergrund von Rhiels Vorstoß bildet, daß die vier Energiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW mehr als vier Fünftel der deutschen Stromerzeugungskapazitäten besitzen und diese Position zur Erzielung möglichst hoher Großhandelspreise ausnutzen, statt sich Konkurrenz zu machen (siehe 071105). Dieses inoffizielle Kartell könnte nur durch neue, wirklich unabhängige Anbieter aufgebrochen werden, die über entsprechende Kraftwerkskapazitäten verfügen. Die seit Juli 2007 geltende Kraftwerksanschlußverordnung (070602) soll verhindern, daß die Netzgesellschaften der vier Konzerne den Anschluß solcher konkurrierenden Kraftwerke bremsen oder gar blockieren. Sie ändert aber noch nichts an der erdrückenden Marktmacht der vier Großstromerzeuger. Zu Beginn der Liberalisierung hatten diese in großem Umfang Kraftwerke stillgelegt, um über eine Verknappung des Angebots die Preise nach oben zu treiben (001003). Seit dem Jahr 2003 haben die Investitionen in Kraftwerke dann wieder zugenommen (050113). Es begann sogar ein regelrechter "Wettlauf um neue Kraftwerke in Deutschland" (060112). Eine der Hauptursachen für das neu erwachte Interesse der Konzerne am Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken war die drohende Konkurrenz durch neue Anbieter, die wegen der enorm in die Höhe getriebenen Großhandelspreise mit guten Gewinnspannen rechnen konnten. Zugleich konnten die Konzerne mit der Erteilung zahlreicher Großaufträge die vorhandenen Kapazitäten der Kraftwerksbauer mehr als auslasten und so für die Ausführung anderer Aufträge blockieren. Wenn konkurrierende Anbieter überhaupt einen Kraftwerks-Lieferanten finden, müssen sie zumindest mit Boom-Preisen und Verzögerungen rechnen.

Der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer MVV Energie AG, Rudolf Schulten, warnte deshalb im Oktober vor dem Scheitern vieler unabhängiger Kraftwerksprojekte in Deutschland. "Die großen Energiekonzerne haben sich für ihre Kraftwerksprojekte offensichtlich die Kapazitäten der Anlagenbauer schon langfristig gesichert", sagte er dem Wirtschaftsmagazin "Euro" (17.10.) Die große internationale Nachfrage nach Kraftwerksteilen wie Kesseln oder Turbinen habe zu Engpässen bei den Lieferanten führt. "Die Wartezeiten für Anlagen von großen Herstellern wie Siemens betragen derzeit fünf bis sechs Jahre", stellte er fest.

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