August 2023

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ENERGIE-CHRONIK




Obwohl seit 2022 in allen EU-Ländern die Strompreise in die Höhe geschossen sind, vermitteln diese Daten, die Eurostat für das erste Halbjahr 2021 ermittelt hat, weiterhin ein repräsentatives Bild vom Strompreisgefälle innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten. Deutschland lag demnach mit einem Industriestrompreis von durchschnittlich 8,89 Cent um 3,28 Cent unter dem EU-Durchschnitt und an fünfter Stelle hinter Belgien, Bulgarien, Tschechien und Dänemark.

Industrie und Gewerkschaften verlangen gemeinsam "Brückenstrompreis"

Sechs Unternehmerverbände und zwei Gewerkschaften der energieintensiven Industrien haben sich zu einer "Allianz pro Brückenstrompreis" zusammengeschlossen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie am 18. August eine schnelle Entscheidung zugunsten eines stark subventionierten Industriestrompreises, wie ihn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 5. Mai vorgeschlagen hat (230507). Demnach bekämen energieintensive Unternehmen für 80 Prozent ihres Verbrauchs die Mehrkosten erstattet, wenn die Differenz zum normalen Großhandelspreis 6 Cent pro Kilowattstunde übersteigt. Die konzertierte Aktion von Unternehmen und Gewerkschaften richtete sich vor allem gegen die Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich am Vortag ausdrücklich gegen eine derartige Subventionierung ausgesprochen hatte. Scholz hielt an diesem Standpunkt fest, während die SPD-Fraktion die Forderung nach einem besonderen Industriestrompreis ebenfalls unterstützte und dazu einen eigenen Vorschlag vorlegte.

Angeblich drohen Verlagerungen und Verlust von Arbeitsplätzen

Es sei "fünf vor zwölf" für die energieintensiven Industrien, heißt es in dem Appell. Längst drohten Verlagerungen, Standortschließungen und der Verlust von Arbeitsplätzen. Um den Industriestandort Deutschland zu sichern und den Übergang zu einer klimaneutralen Produktion zu gewährleisten, werde Strom immer wichtiger. Bis dieser in ausreichenden Mengen aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehe, sei ein wettbewerbsfähiger, zeitlich begrenzter "Brückenstrompreis" dringend notwendig. Nach monatelangem Hickhack müsse nun eine Entscheidung für die Zukunft der Industrie in Deutschland getroffen werden. Vor allem der Bundeskanzler müsse klar Stellung beziehen.

Unterzeichner sind der Verband der Chemischen Industrie (VCI), die beiden Wirtschaftsvereinigungen Stahl und NE-Metalle sowie die Verbände der Papier-, Glas- und Baustoffindustrie. Seitens der Gewerkschaften unterstützen die IG Metall und die IG Bergbau, Chemie, Energie sowie der Dachverband DGB den Appell.

Wie lang die Brücke werden muss, weiß keiner so genau

Die euphemistische Bezeichnung "Brückenstrompreis" wurde bereits von Habeck verwendet. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass es sich nur um eine Übergangslösung handele, bis der Ausbau der Erneuerbaren und die damit verbundene Verbilligung der Stromerzeugung eine derartige Subventionierung unnötig gemacht haben würde. Vorläufig ist das freilich nicht mehr als eine Hoffnung, und auch die würde sich bestenfalls im nächsten Jahrzehnt erfüllen.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) äußerte sich deshalb Anfang Juni recht skeptisch zu Habecks Vorschlag. Sie gab zu bedenken, dass der voraussichtliche Finanzbedarf von bis zu 30 Milliarden Euro, den Habecks Ministerium bis 2030 veranschlagt, nur "eine kleine Gruppe energieintensiver Wirtschaftszweige" begünstigen würde. Insgesamt würden so "nur die Symptome bekämpft, während die Ursache des fehlenden Stromangebots unberücksichtigt bleibt". Damit seien "Verwerfungen in der Wirtschaft vorprogrammiert". Ein sicherer Weg zur Kostensenkung erfordere stattdessen drei Elemente: "Erstens eine Entlastung der Stromkosten von Steuern und Umlagen, zweitens eine Stärkung des direkten Ausbaus erneuerbarer Energien gemeinsam mit der Wirtschaft und drittens ergänzende Maßnahmen für hochenergieintensive Unternehmen."

Scholz will keine "Dauersubvention mit der Gießkanne", hat aber die eigene Partei gegen sich

Mit zunächst verhaltener Skepsis reagierte auch Bundeskanzler Scholz, als er am 13. August beim "ZDF-Sommerinterview" auf die Forderung nach einem subventionierten Industriestrompreis angesprochen wurde: Wichtiger sei, "dass wir die Strompreise strukturell runterkriegen«", sagte der Kanzler, "denn wir werden ja nicht in der Lage sein, dauerhaft Strompreise zu subventionieren". Dann wurde Scholz aber deutlicher, als er am 17. August beim Unternehmertag NRW in Düsseldorf eine derartige "Dauersubvention mit der Gießkanne" ablehnte, weil sie "ökonomisch falsch" und "fiskalisch unsolide" wäre sowie "sicherlich auch falsche Anreize setzen" würde.

Mit dieser Haltung findet Scholz innerhalb der Koalition nur bei der FDP Unterstützung. Sowohl die beiden SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil als auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Meersicht befürworteten den Brückenstrompreis. "Ich kämpfe dafür, dass er kommt", erklärte Klingbeil am 20. August im "ZDF-Sommerinterview". Er wolle keine Kontroverse mit dem Kanzler, vertrete in dieser Frage aber als Parteichef eine andere Position.

SPD-Fraktion will 5 Cent pro Kilowattstunde für mindestens fünf Jahre

Bei einer Klausurtagung in Wiesbaden sprach sich die SPD-Fraktion am 28. August sogar einstimmig für einen Industriestrompreis von 5 Cent pro Kilowattstunde aus, der mindestens fünf Jahre lang solchen Unternehmen gewährt werden soll, die besonders viel Energie verbrauchen. Bundeskanzler Scholz war bei dieser Sitzung anwesend. Er verließ sie dann aber vor Beginn der Debatte über diese Punkt, weil er anderweitig einen Termin wahrzunehmen habe.

"Klar ist, dass eine Dauersubvention keine Lösung ist"

Bei einer zweitägigen Kabinettsklausur in Schloß Schönberg am 29./30. August kam es auch zwischen den Koalitionspartnern in dieser Frage zu keiner Einigung. Anscheinend wurde sie gar nicht erst groß diskutiert. "Klar ist, dass eine Dauersubvention keine Lösung ist" hieß es lediglich in einem gemeinsam verfassten Papier, das Scholz, Habeck und Lindner zu Beginn der Tagung vorlegten. Diese Formulierung können zur Not alle Beteiligten unterschreiben. Sie ist aber nicht einmal ein Minimalkonsens, solange sie ganz unterschiedlicher Meinung bleiben, ob der angebliche "Brückenstrompreis" auf eine verkappte Dauersubventionierung hinausläuft oder nicht.

Im Vergleich mit dem Jahr 2008 sind die Haushaltsstrompreise bis 2021 um mehr als ein Drittel von 21,72 auf 31,93 Cent/kWh angestiegen. Dagegen sind die Industriestrompreise innerhalb desselben Zeitraums von 11,71 auf 10,9 Cent/kWh gesunken. Grund zur Klage hätten also eher die Kleinverbraucher als die Industrie.


Im Juli lag der Industriestrompreis noch bei durchschnittlich 21,08 Cent pro Kilowattstunde

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lag der durchschnittliche Preis für Mittelspannungs-Stromverträge der Industrie im Juli 2023 noch bei 21,08 Cent pro Kilowattstunde gegenüber 52,79 Cent/kWh im dritten Quartal des Vorjahres (Jahresverbrauch 160.000 bis 20 Mio. kWh, ohne Stromsteuer). Davon entfielen 19,76 Cent auf die Kosten für Beschaffung, Netzentgelte und Vertrieb. Aufgrund des Ende 2022 beschlossenen Strompreisbremse-Gesetzes müssen die Unternehmen diesen Netto-Arbeitspreis nur für jene Strommengen bezahlen, die 70 Prozent ihres vorherigen Verbrauchs überschreiten. Im übrigen übernimmt ab 13 Cent/kWh der Staat die Subventionierung. Für kleine Unternehmen mit einem Stromverbrauch von weniger als 30.000 kWh gilt analog die Entlastungsregelung für Haushalte, die für 80 Prozent des bisherigen Stromverbrauchs einen Bruttopreis von maximal 40 Cent/kWh garantiert (221201). Inzwischen liegen die Neuverträge für Haushaltskunden mehr oder weniger stark unter dieser Strompreisgrenze, und auch bei den Industriestrompreisen bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an.


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