Juni 1991

910604

ENERGIE-CHRONIK


Novellierung des Atomgesetzes

Auf dem 9. Deutschen Atomrechts-Sympo-sium, das vom 24. bis 26. Juni in München stattfand, diskutierten rund 250 Experten aus Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Politik über die von der Bundesregierung geplante Novellierung des Atomgesetzes. Nach Auffassung von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) kann die Bundesrepublik Deutschland trotz aller Bemühungen "derzeit ohne Kernenergie nicht auskommen", weshalb die Regierung einen sinnvollen Energiemix anstrebe und dabei auch den Bau neuer Kernkraftwerke in Betracht ziehe. Demgegenüber will die SPD die Gesetzesnovelle "zum Ausstieg nutzen".

Wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Lennartz auf dem Symposium betonte, will seine Partei den Paragraph 1 des Atomgesetzes durch ein "Kernenergieabwicklungsgesetz" ersetzen. Unter Hinweis auf die SPD-Mehrheit im Bundesrat erklärte Lennartz, die SPD arbeite momentan an einem solchen Entwurf. Töpfer sprach daraufhin von "Verweigerungshaltung" gegenüber dem Reformvorhaben und einer sachwidrigen Verhinderung von Verbesserungen (FAZ, 26.6.; SZ, 27.6.91).

Das bundesdeutsche Atomgesetz, so Töpfer, müsse so verändert werden, daß es nicht mehr ein "Kernenergie-Förderungsgesetz", aber auch kein "Kernenergie-Ausstiegsgesetz" sei (SZ, 25.6.91). Die "nicht mehr notwendige öffentliche Förderung der Atomenergie" werde wegfallen; einen Ausstieg hält der Umweltminister jedoch für falsch, nicht zuletzt weil gerade beim "besorgniserregenden Sicherheitszustand von Kernkraftwerken sowjetischer Bauart" in Mittel- und Osteuropa "deutsche Hilfestellung dringend erforderlich" sei. Bei einem Ausstieg entziehe sich die Bundesrepublik jeglicher Einflußmöglichkeiten auf die gebotenen Modernisierungen (Welt, 26.6.91).

In der Gesetzesnovelle vorgesehen seien u.a. die Privatisierung der Endlagerung nach dem Verursacherprinzip, eine Neuregelung der Deckungsvorsorge und die Schaffung der Voraussetzung für eine direkte Endlagerung. Töpfer erklärte, es gebe keine überzeugenden Gründe, die Endlagerung von Atommüll als Staatsaufgabe zu betrachten und somit die Betreiber aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Auch wolle man einen Nachweis für die Wiederverwertung abgebrannter Kernbrenn-elemente. Wiederaufgearbeitet werden soll nur noch so viel Atommüll, wie auch wiederverwertet werden kann. Die SPD lehnt allerdings jede Wiederaufarbeitung strikt ab und ist ausschließlich für die direkte Endlagerung. Zudem wandte sich Lennartz gegen die geplante Privatisierung der Atommüll-Entsorgung, da er ein steigendes Risiko des "Abfall-Exports" befürchtet (SZ, 25. u. 27.6.; Welt, 26.6.91).

Töpfer hält es nicht mehr für gerechtfertigt, wenn der Staat den Betreiber eines Atomkraftwerks "im Schadensfall kostenlos von Schadenersatzverpflichtungen freistellt". Hier denkt die Bundesregierung an eine "Gebühr", deren Höhe allerdings bisher noch nicht genannt wurde. Die SPD verlangt, daß die Betreiber für Schäden bis 3 Mrd. DM, der Staat für weitere Unfallschäden mit zusätzlichen 10 Mrd. DM haften sollen (SZ, 27.6.91).

Nach Töpfer soll das neue Gesetz das hohe Niveau der Genehmigungs- und Aufsichtspraxis weiter verbessern. So ist geplant, die Pflicht der Betreiber zu periodischen Sicherheitsüberprüfungen von Atomanlagen nach genau beschriebenen Verfahrensregeln gesetzlich zu verankern. Eine "Nutzungsverlängerung" für alte Atommeiler wird es laut Töpfer nicht geben. Auch eine gesetzliche Verpflichtung für eine "Stillegungsvorsorge" ist angedacht: Danach müßten die Betreiber jederzeit einen bestimmten Geldbetrag für ungeplante Stillegungen bereithalten (VWD, 24.6.; FAZ, SZ, 25.6.; SZ, 27.6.91).