Februar 2022

220207

ENERGIE-CHRONIK


Stromio & Co. drohen Schadenersatzklagen

Der Stromio GmbH mit ihren Tochterfirmen Gas.de und Grünwelt drohen Schadenersatzklagen von Verbrauchern und Grundversorgern, weil sie im Dezember von heute auf morgen die Belieferung ihrer Strom- und Gaskunden eingestellt hat (211201). Den Hintergrund bildet, dass der "Energiediscounter" sein Geschäftsmodell auf die kurzfristige Beschaffung von Strom und Gas gegründet hatte. Nachdem er damit wegen des enormen Anstiegs der Preise am Spotmarkt keinen Gewinn mehr machen konnte, hatte er sich kurzerhand der Kunden entledigt, indem er sie in die gesetzlich vorgeschriebene Ersatzversorgung fallen ließ. Neben den betroffenen Verbrauchern hat dies auch die zuständigen Grundversorger empört, weil beiden zusätzliche Kosten entstanden. Sie wollen nun Stromio zivilrechtlich haftbar machen. Möglicherweise birgt die Affäre aber auch noch strafrechtliche Aspekte.

Verbraucherzentrale Hessen plant Musterfeststellungsklage

Wie die Verbraucherzentrale Hessen am 11. Februar mitteilte, will sie gerichtlich feststellen lassen, dass Stromio den Kunden die entstandenen Schäden ersetzen muss. Es handele sich hier um einen klaren Vertragsbruch: "Preissteigerungen zählen zum normalen unternehmerischen Risiko. Dieses muss der Anbieter tragen und darf es nicht ungefragt auf seine Kundschaft abwälzen." Die Anwälte würden derzeit eine entsprechende Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Hamm vorbereiten. Nächste Instanz wäre gegebenenfalls der Bundesgerichtshof. Betroffene können der Klage durch Eintragung ins Klageregister beitreten und so von den Wirkungen eines positiven Urteils profitieren. Nähere Auskünfte erteilt die Verbraucherzentrale unter Tel. 069-972010-900.

EnBW will Ersatz für Mehraufwendungen in der Ersatzversorgung

Die Energie Baden-Württemberg, die in zahlreichen südwestdeutschen Gemeinden der Grundversorger ist, hält die Kündigungen durch Stromio ebenfalls für rechtswidrig. Wie sie am 31. Januar mitteilte, will sie Ersatz für die Mehraufwendungen verlangen, die ihr durch Strombeschaffung zur Ersatzversorgung von nicht mehr belieferten Stromio-Kunden entstanden sind. Klagen gegen weitere "Energiediscounter" seien nicht ausgeschlossen.

Legal-Tech-Firmen werben um Abtretung der Schadenersatzansprüche

Zwei sogenannte Legal-Tech-Unternehmen werben sogar regelrecht um die Geschädigten, um sie zu veranlassen, ihre Ansprüche an sie abzutreten. Das eine nennt sich "Rightnow" und verspricht die Zahlung einer Vorabentschädigung, die der Kunde unabhängig vom Ausgang der Klage behalten darf. Angeblich beträgt diese Zahlung im Durchschnitt 80 bis 100 Euro. Allerdings gibt es sie nur dann, wenn dem Unternehmen der Ankauf lohnend erscheint. Das andere Unternehmen namens "Veneko" zahlt hingegen erst, falls die Klage gegen die Stromio-Firmen erfolgreich sein sollte, wobei es von der erstrittenen Entschädigung eine Erfolgsprämie von 33 Prozent abzieht.

Allein die Stromio-Firmen sollen über eine Million Kunden geschädigt haben

"Wir verzeichnen einen riesigen Zulauf", erklärte der "Rightnow"-Geschäftsführer Phillip Eischet gegenüber der FAZ (22.2.). "in den letzten Wochen sind mehrere 10.000 Fälle reingekommen". Er gehe davon aus, dass insgesamt mehr als eine Million Verbraucher Schadenersatzsansprüche gegenüber Stromio, Gas.de und Grünwelt hätten. Sein Konkurrent Tobias Hirt von "Veneko" sprach von etwas mehr als 7000 Interessenten, zu denen jede Woche ein weiteres Tausend hinzukomme. Die Belastbarkeit dieser Zahlenangaben dürfte freilich ebenso zweifelhaft sein wie der Erfolg der Schadenersatzklagen, falls der ganze Stromio-Komplex inklusive der beiden Holding-Gesellschaften doch noch Insolvenz anmelden sollte.

Wurde Kunden gekündigt, um ihre Strom- und Gasmengen an der Börse verkaufen zu können?

Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Vorermittlungen aufgenommen, um zu klären, was mit Strom- und Gasmengen passiert ist, über die Energieanbieter wie Stromio noch verfügten, nachdem sie ihre Kunden der Ersatzversorgung überantwortet haben, ohne Insolvenz zu beantragen. Grundsätzlich wäre in einem solchen Fall zu prüfen, ob die Belieferung der Kunden deshalb eingestellt worden sein könnte, um die so freiwerdenden Energiemengen zu den beispiellos hohen Preisen am Spotmarkt verkaufen zu können. Die Staatsanwaltschaft hat offenbar entsprechende Hinweise von der Bundesnetzagentur bekommen.

 

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