Februar 2022

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ENERGIE-CHRONIK





Die französische Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du nucléaire" warnt mit dieser Abbildung vor den "falschen Versprechungen" (promesses bidons), mit denen etliche Kandidaten der bevorstehenden Präsidentschaftswahl die Kernenergie als ideale Energiequelle lobpreisen und zu verharmlosen versuchen. Der Redner hinter dem "bidon" mit radioaktivem Müll ist bewußt neutral gehalten. Er symbolisiert nicht nur Macron, sondern steht ebenso und geschlechtsübergreifend für dessen rechtsextremistische Konkurrentin Marine Le Pen.

Macron will mit Neubelebung der Kernenergie seine Wiederwahl sichern

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat am 10. Februar erneut angekündigt, den überalterten Bestand von gegenwärtig 56 am Netz befindlichen Kernkraftwerken (siehe Liste) zu modernisieren, anstatt ihn schrittweise durch einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Stromquellen zu verringern, wie das ein vor knapp sieben Jahren beschlossenes Gesetz vorsah (150704). Ähnlich äußerte er sich bereits im Oktober vorigen Jahres (211008). Beide Male bestätigte er so indirekt seine bislang noch nicht offiziell erklärte Absicht, bei den im April 2022 stattfindenden Präsidentenschaftswahlen erneut zu kandidieren: Denn solche Ankündigungen ergäben keinen Sinn, wenn er als Staatschef nicht mindestens fünf weitere Jahre in der Lage wäre, für entsprechende energiepolitische Weichenstellungen zu sorgen.

Zugleich will Macron seiner Hauptrivalin Marine Le Pen so weit wie möglich den Wind aus den Segeln nehmen, sowie anderen Präsidentschaftskandidaten aus dem rechtsextrem-konservativen Milieu, die ebenfalls einen noch stärkeren Ausbau der Kernenergie verlangen. Er hat bisher zwar gute Chancen auf eine Wiederwahl. Zur Sicherung dieses Vorsprungs präsentiert er sich aber lieber in der Pose des erhabenen Staatslenkers als in der Rolle eines Wahlkämpfers, der mit einem guten Dutzend Mitbewerber um die Gunst des Publikums buhlen muss.

Der Präsident verkündet eine "nukleare Renaissance"

"Wir müssen den Faden des großen Abenteuers der zivilen Kernenergie in Frankreich wieder aufnehmen", tönte der Präsident jetzt bei seiner Rede in Belfort und wandte sich gegen Zweifler, die "behaupten, dass wir Kernenergie nicht brauchen würden". Zugegeben: Das letzte Jahrzehnt sei geprägt gewesen von internationalen Zweifeln an der Atomkraft, gewissermaßen von einer "Eiszeit nach dem schrecklichen Ereignis in Fukushima". Einige Nationen – und hier zielte Macron deutlich auf Deutschland – hätten in dieser Zeit radikale Entscheidungen getroffen, indem sie der Kernenergie den Rücken kehrten. Frankreich habe diese Wende nicht mitvollzogen, sondern vielmehr Widerstand geleistet. Dennoch habe es aber leider nicht weiter in die Kernenergie investiert, "weil dieser Zweifel da war". Aber nun gebe es "einen Bruch mit der vergangenen Zeit", die Bedingungen für die "nukleare Renaissance" seien nun gegeben.

"Großspurige Show mit gaullistischer Inszenierung"

"Der Kandidat Emmanuel Macron entscheidet sich für das Atomfiasko", hieß es in einer Stellungnahme von Greenpeace Frankreich. Es handele sich hier nicht um "die Aussagen eines Präsidenten, der sich um die Dringlichkeit des Klimawandels und der Energiewende sorgt, sondern die eines Präsidenten, der sich im Wahlkampf für seine Wiederwahl befindet". Macron versuche, die politische Agenda zu prägen, "indem er sich dem Überbietungswettbewerb der rechten und rechtsextremen Kandidaten in der Atomfrage anschließt".

Die Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du Nucléaire" charakterisierte den Auftritt Macrons als "großspurige Show mit gaullistischer Inszenierung". Sie rief zur Mobilisierung gegen diesen Neustart der Kernenergie auf, der nicht nur das Atomrisiko über Jahrzehnte aufrechterhalten würde, sondern auch hinsichtlich der klimapolitischen Notwendigkeiten in eine totale Sackgasse führe.

Bis 2050 sollen sechs neue EPR-Reakoren gebaut werden

Grundsätzlich enthielt Macrons Ankündigung allerdings nichts neues: Letztendlich bestätigte er nur das Neubauprogramm für insgesamt sechs Reaktoren vom Typ EPR, das der Staatskonzern Electricité de France (EDF) seit längerem verfolgt und mit einem Kostenaufwand von insgesamt 46 Milliarden Euro bis 2040 verwirklichen wollte. Dabei sollten jeweils zwei EPR an den bereits vorhandenen Standorten Penly, Gravelines und Le Bugey (ersatzweise Tricastin) errichtet werden.

Der französische Rechnungshof bezweifelte schon im Sommer 2020, dass Zeitplan und Kosten realistisch seien (200806). Nun sprach Macron davon, die sechs Reaktoren bis 2050 ans Netz zu bringen, wobei der erste um das Jahr 2035 fertiggestellt sein soll. Außerdem soll der Bau von acht weiteren Reaktoren zumindest ins Auge gefasst werden. Den bisherigen Planungen zufolge würde der erste dieser neuen Reaktoren am Standort Penly entstehen, wo EDF und GDF/Suez schon 2009 den zweiten inländischen EPR errichten wollten (090105). Dieses Projekt scheiterte dann noch vor Baubeginn. Und der erste inländische EPR am Standort Flamanville (041006), mit dessen Bau vor vierzehn Jahren begonnen wurde, ist bis heute nicht fertig geworden.

"Zwei Monate vor der Wahl legt sich der Präsident auf Reaktoren fest, die bestenfalls nicht vor 2040 in Betrieb gehen"

Die geplanten EPR will Macron durch kleine modulare Reaktoren (SMR) und "innovative" Reaktoren ergänzen, die angeblich weniger radioaktive Abfälle produzieren (211008). Bis 2050 sollen so 25 Gigawatt an neuen nuklearen Kapazitäten entstehen. Zugleich will er die Laufzeit aller Reaktoren möglichst über fünfzig Jahre hinaus verlängern, wobei er vorsichtshalber versichert, dass dies "ohne Abstriche bei der Sicherheit" erfolgen werde.

"Sich zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen auf den Bau von 6 oder sogar 14 EPRs festzulegen, ist völlig unsinnig!" hieß es dazu in der Stellungnahme von Greenpeace Frankreich. "Während die Zukunft des EPR in Flamanville ungewiss bleibt, werden diese ersten Reaktoren, falls sie jemals gebaut werden, bestenfalls nicht vor 2040 in Betrieb gehen, und das zu exorbitanten Kosten."

Erneuerbare würden weiterhin nur untergeordnete Bedeutung haben

Die erneuerbaren Stromquellen sollen ebenfalls ausgebaut werden, aber nur Hilfsdienste leisten. "Wir müssen die erneuerbaren Energien massiv ausbauen", erkannte Macron mit unschlagbarer Logik, "ganz einfach, weil sie das einzige Mittel sind, um unseren unmittelbaren Strombedarf zu decken, während es 15 Jahre dauert, einen Atomreaktor zu bauen". Bis 2050 soll Frankreich deshalb über fünfzig Offshore-Windparks mit einer Nennleistung von 40 Gigawatt verfügen. Bisher gibt es nur sieben Offshore-Projekte, von denen noch kein einziges am Netz ist. Die Kapazität der Onshore-Windkraftanlagen soll bis 2050 verdoppelt und die der Solaranlagen verzehnfacht werden. Bisher sind sie mit sieben bzw. zwei Prozent an der französischen Stromerzeugung beteiligt. Insgesamt ergäbe sich so ein französischer Strom-Mix, der zu einem Drittel aus Erneuerbaren und im übrigen weiterhin aus Kernkraft bestehen würde.

"EPR 2" soll die extrem langen Bauzeiten verkürzen

Mit Blick auf die Neubauten sprechen EDF und Regierung neuerdings nur noch vom "EPR 2". Wie aus einem Artikel der "Revue Générale Nucléaire" hervorgeht, den die IAEA in Kurzfassung referierte, handelt es sich dabei um eine "optimierte Version" des EPR, die "modularer" aufgebaut ist. Die Verwendung von mehr vorgefertigten Teilen soll die extrem lange Bauzeit verkürzen helfen, die beim ersten EPR in Finnland sogar 17 Jahre erreichte (211204). Das doppelwandige Containment-Gebäude – das besonderen Schutz vor dem Austritt von Radioaktivität sowie gegen äußere Einwirkungen wie Flugzeugabstürze bieten sollte – werde nun für entbehrlich gehalten und durch eine sehr dicke Wand mit metallischer Auskleidung ersetzt. Eine weitere Vereinfachung des Gebäudekonzepts ergebe sich durch den Verzicht auf Wartungsarbeiten, während der Reaktor mit voller Leistung läuft. Der Wunsch, solche Wartungsarbeiten auch ohne Herunterfahren des Reaktors durchführen zu können, sei einst vom deutschen Partner gekommen, als der EPR noch ein Gemeinschaftsprojekt war. In der französischen Betriebspraxis habe man von dieser Möglichkeit sowieso keinen Gebrauch gemacht. Im übrigen verfüge aber auch der EPR 2 wie sein Vorgänger über eine Nettoleistung von 1670 MW und eine Betriebsdauer von mindestens 60 Jahren.

Mit seinem Auftritt in Belfort wollte Macron gleich zwei Scharten auswetzen

Zu Macrons Wahlkampfinszenierung gehörte, dass er die Neubelebung der französischen Nuklearwirtschaft bei einem Besuch von General Electric Steam Power in Belfort verkündete. Bei diesem Unternehmen handelt es sich um die ehemalige Energiesparte des Alstom-Konzerns, die vor sieben Jahren für 12,4 Milliarden Euro an den US-Konzern verkauft wurde. Die dafür erforderliche Genehmigung hatte Macron im November 2014 als Wirtschaftsminister unter Präsident Francois Hollande erteilt. Die amerikanischen Erwerber verpflichteten sich damals vertraglich zur Neuschaffung von tausend Arbeitsplätzen. Wegen der Flaute im Turbinengeschäft strichen sie jedoch 1.400 Stellen und leisteten lieber die dadurch fällige Strafzahlung. Zumindest in der ostfranzösischen Region um Belfort galt Macron seitdem als Politiker, der erst neue Arbeitsplätze verspricht und dann die vorhandenen vernichtet.

In seiner Rede vor den einstigen Alstom-Beschäftigten verteidigt sich Macron jetzt damit, dass ihm keine andere Wahl geblieben sei. Der Verkauf der Energie-Sparte von Alstom an General Electric habe das Unternehmen vor einem sonst drohenden Zusammenbruch bewahrt. Die Entscheidung zum Verkauf habe der Alstom-Konzern als privates Unternehmen getroffen. Mit der letztendlichen Genehmigung durch den Staat sei er damals nur als "Mitarbeiter" des Präsidenten Hollande befasst gewesen, und das in einer sehr späten Phase, als es nicht mehr möglich gewesen sei, eine andere Lösung zu finden.

Rückkauf der "Arabelle"-Turbine soll Lücke in Frankreichs Nukleartechnologie schließen

Aber nicht nur diesen Makel wollte Macron noch vor den Präsidentschaftswahlen loswerden. Hinzu kam, dass General Electric damals mit dem Turbinengeschäft auch die besonders leistungsfähigen Dampfturbinen vom Typ "Arabelle" erwarb, die 70 Meter lang und 1100 Tonnen schwer sind. Diese werden nämlich für die energetische Kopplung der EPR-Reaktoren mit entsprechend dimensionierten Generatoren benötigt. Schon seit längerer Zeit verhandelte deshalb die EDF mit General Electric über einen teilweisen Rückkauf, um diese Lücke im konventionellen Technik-Bereich ihrer Kernkraftwerke wieder zu schließen. Pünktlich zum Auftritt Macrons in Belfort veröffentlichte sie am 10. Februar eine Pressemitteilung, wonach sie mit General Electric "eine Exklusivvereinbarung über die geplante Übernahme des konventionellen Geschäfts von GE Steam Power im Nuklearbereich" unterzeichnet habe. Macron bekam so Gelegenheit, die erfolgreiche Reparatur einer Fehlentscheidung zu bejubeln, an der er selber mitgewirkt hatte: "Mit diesen Turbinen werden die EPR 2 ausgestattet, die wir bauen werden. Sie werden Frankreich die volle Kontrolle über diese Technologie garantieren."

Ob es tatsächlich dazu kommt, wird sich erst 2023 zeigen

Der Rückkauf ist jedoch noch keineswegs in trockenen Tüchern: "Die finanziellen Bedingungen der geplanten Transaktion wurden nicht präzisiert", hiess am Ende der EDF-Mitteilung. "Nach Abschluss des Informations- und Konsultationsprozesses der betroffenen Personalvertretungsinstitutionen könnten die endgültigen Vereinbarungen getroffen werden. Der Abschluss der Transaktion unterliegt noch den erforderlichen behördlichen Genehmigungen und könnte in der ersten Hälfte des Jahres 2023 erfolgen."

 

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