Mai 2021

210502

ENERGIE-CHRONIK


Luftaufnahme des polnischen Tagebaues Turów mit dem dazugehörigen Braunkohle-Großkraftwerk (links). Im Vordergrund ist die sächsische Stadt Zittau zu sehen.
Foto: Wikipedia

Polen muss Tagebau wegen Grundwasserabsenkung in Tschechien schließen

Polen muss den Braunkohle-Tagebau Turów sofort schließen, weil ein Weiterbetrieb den Grundwasserspiegel im benachbarten Tschechien weiter senken würde und damit irreparable Folgen haben könnte. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 21. Mai mitteilte, erließ er auf Antrag der tschechischen Regierung diese einstweilige Anordnung bis zu einer endgültigen Entscheidung. Nach Artikel 259 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann neben der Kommission auch jeder Mitgliedsstaat den Gerichtshof anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedsstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Allerdings kommt dies sehr selten vor. In der Geschichte des Gerichthofs war dies – einschließlich der aktuellen Klage – bisher erst neunmal der Fall.

Verlängerung der Konzession erfolgte ohne Umweltverträglichkeitsprüfung

Der Tagebau Turów und das dazugehörige Braunkohle-Großkraftwerk (1900 MW) befinden sich im südwestlichen Zipfel Polens in der Oberlausitz, im Dreiländereck Deutschland - Polen – Tschechien. Die Konzession für den Betrieb wurde dem Betreiber PGE vor 27 Jahren bis 30. April 2020 erteilt und kurz vor diesem Termin durch das polnische Klimaministerium bis 2026 verlängert. Die tschechische Regierung sah dadurch in mehrfacher Hinsicht EU-Recht verletzt, weil keine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der UVP-Richtlinie stattfand, und wurde in dieser Einschätzung durch die EU-Kommission bestätigt. Am 26. Februar dieses Jahres reichte sie deshalb die Vertragsverletzungsklage in Luxemburg ein, die jetzt zu der einstweiligen Anordnung führte, "um eine schwere und nicht wiedergutzumachende Beeinträchtigung der Interessen des Antragstellers zu vermeiden".

Grundwasserabfluss gefährdet Trinkwasserversorgung in Tschechien

Der Gerichtshof begründete die Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung damit, dass die Fortsetzung der Braunkohleförderung bis zum Erlass des endgültigen Urteils negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel im tschechischen Hoheitsgebiet haben werde. Der Abbau führe nämlich zu einem ununterbrochenen Abfluss einer beträchtlichen Wassermenge aus dem tschechischen Hoheitsgebiet in das polnische Hoheitsgebiet, was zweifellos zu einer Verschlechterung des Grundwasserspiegels in Tschechien führe. Dies könne wiederum die Trinkwasserversorgung der von den betroffenen Gewässern abhängigen Bevölkerung gefährden. Die zu erwartenden Schäden seien schwerwiegend. Die Gefahr einer übermäßigen Ausbeutung des Grundwassers im tschechischen Hoheitsgebiet werde auch dadurch belegt, dass Polen mit dem Bau eines Antifiltrationsschirms ("écran antifiltration") eine wichtige Abhilfemaßnahme ergriffen habe, um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern. Der Bau eines solchen Schirms werde jedoch nicht vor 2023 abgeschlossen sein.

Darüber hinaus erinnerte das Gericht daran, dass Schäden an der Umwelt und der menschlichen Gesundheit grundsätzlich irreversibel sind, da sie in den meisten Fällen nicht rückwirkend behoben werden können. Dies scheine im vorliegenden Fall insofern der Fall zu sein, als die einmal eingetretene Verschlechterung des Grundwasserspiegels und die zahlreichen Folgen, die sich aus der fehlenden Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Trinkwasser ergeben, später nicht mehr behoben werden können, selbst wenn der Klage der Tschechischen Republik in der Sache stattgegeben werden sollte.

Bei Abweisung der Klage könnte das Kraftwerk Turów wieder angefahren werden

Die Interessenabwägung stehe der einstweiligen Anordnung ebenfalls nicht entgegen. Polen habe nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Einstellung des Braunkohleabbaus im Tagebau Turów eine tatsächliche Bedrohung für die Energiesicherheit, die Stromversorgung der polnischen Verbraucher oder den grenzüberschreitenden Stromaustausch darstellen würde. Insbesondere habe Polen die Behauptung nicht belegen können, dass schon die einstweilige Anordnung aufgrund der technologischen Konfiguration des Kraftwerks Turów zu dessen irreversibler Abschaltung führen würde. Die plötzliche Nichtverfügbarkeit eines Kraftwerks könne zwar negative Auswirkungen habe, doch müssten die Stromnetzbetreiber in der Lage sein, sie zu kompensieren.

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