März 2018

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


 


Der Kosovo bestreitet 95 Prozent seiner Stromerzeugung mit zwei veralteten Braunkohle-Kraftwerken nahe der Hauptstadt Pristina. Vor allem die drei noch in Betrieb befindlichen Blöcke von "Kosova A" (Foto) sind ausgesprochene Dreckschleudern. Von der Weltbank wurden sie als "schlimmste punktuelle Quelle von Umweltverschmutzung in Europa" bezeichnet. Ein neues Kraftwerk mit besserem Wirkungsgrad und Rauchgasreinigung ist geplant, konnte bisher aber aus Geldmangel nicht verwirklicht werden.
Foto: Wikipedia

Streit auf dem Balkan stört Netzfrequenz

Der Kosovo will aus der serbischen Regelzone heraus und verlangt seine Aufnahme in die ENTSO–E

(zu 180303)

Wechselstromuhren sind zu Auslaufmodellen geworden, seitdem es Quarzuhren gibt, die per Funk nachreguliert werden. Man findet sie noch am ehesten in Radioweckern, Elektroherden und ähnlichen Geräten, die sowieso ständig am Netz hängen. In der einfachsten Ausführung bestehen sie aus einem Synchronmotor, der exakt der Netzfrequenz von 50 Hertz folgt und seine Drehung auf die Uhrzeiger oder eine digitale Anzeige überträgt. Voraussetzung ist allerdings die korrekte Eingabe der Zeit beim Start der Uhr. Außerdem darf die Normfrequenz nur minimal schwanken, und auch diese Schwankungen müssen so ausgeglichen werden, daß die Unter- und Überschreitungen per Saldo exakt der Norm von 50 Hertz entsprechen.

Das ist nicht in allen Netzen der Fall. Zum Beispiel merkten das die Berliner, als nach dem Fall der Mauer die westlichen Stadtteile Ende 1992 mit dem Netz der Ostberliner Ebag verbunden wurden, wodurch das bisherige Inselnetz der Westberliner Bewag zu einem Teil des osteuropäischen Verbundsystems (VES) wurde (921207). Da im Osten größere Frequenzabweichungen als nach westlichem Standard zulässig waren, mussten nun elektrische Uhren von Zeit zu Zeit manuell nachgeregelt werden. Dieser Zustand dauerte fast drei Jahre: Erst im September 1995 wurde die ostdeutsche Stromversorgung vom VES-Netz abgekoppelt und ins westeuropäische Verbundnetz (UCPTE) überführt (950902).

In ganz Kontinentaleuropa gingen Wechselstromuhren um bis zu sechs Minuten nach


Durch Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini kam im August 2015 eine Vereinbarung über die baldige Aufnahme des Kosovo in die ENTSO-E zustande, die dann aber von Serbien torpediert wurde. Das Foto zeigt Mogherini bei einem weiteren Treffen mit dem Kosovo-Präsidenten Hashim Taci (links) und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic (rechts), das im Juli vergangenen Jahres stattfand.
Foto: EU

Zu Beginn dieses Jahres gingen die Wechselstromuhren wieder falsch. Dieses Mal aber nicht nur in Berlin, sondern gleich in allen Ländern der Regionalgruppe Kontinentaleuropa der ENTSO-E. So heißt der Dachverband der europäischen Verbundnetzbetreiber, der 2009 in enger Anlehnung an die Europäische Union gegründet wurde (090207). Er löste die ETSO ab, die zehn Jahre zuvor als Dachverband der Betreiber elektrischer Übertragungsnetze in Europa entstanden war (990730). Zugleich trat die ENTSO-E an die Stelle der fünf bisherigen Verbundsystem-Verbände in Europa. Der mit Abstand größte dieser Vorläufer-Verbände war die UCTE für Kontinentaleuropa. Die UCTE ging ihrerseits aus der 1951 gegründeten UCPTE hervor, die auch die großen nationalen Stromproduzenten umfaßte, bevor sie im Zuge der Marktliberalisierung ab 1999 auf die Übertragungsnetzbetreiber beschränkt wurde und deshalb das "P" im Namen verlor (010610).

Als am 3. März der Spuk schlagartig aufhörte, gingen alle elektrischen Uhren von Lissabon bis Warschau um sechs Minuten nach, sofern sie nicht manuell nachreguliert wurden und die Stromverbraucher den netztechnischen Mißstand überhaupt mitbekommen hatten. Die Frequenzabweichung war nämlich zu gering, um die Versorgungssicherheit zu gefährden.

Kein heimlicher Stromdiebstahl, sondern demonstrativer Akt

Drei Tage später begann sich erstmals das Dunkel um die Ursache zu lichten: Die ENTSO-E veröffentlichte eine Pressemitteilung, derzufolge die Störung "in den Regelzonen Serbien, Mazedonien, Montenegro (SMM-Block) und insbesondere Kosovo und Serbien" zustande gekommen sei. Das war ziemlich verquast formuliert. Der Dachverband vermied es auch, in die Details zu gehen. Erst aus anderen Quellen erfuhr man, dass der Kosovo insgesamt 113 Gigawattstunden zuwenig in sein Übertragungsnetz eingespeist hatte, um für die Einhaltung der Normfrequenz von 50 Hertz zu sorgen. Für Außenstehende konnte damit leicht der Eindruck entstehen, als habe da ein hinterwäldlerischer Balkanstaat – nämlich der Kosovo – heimlich Strom aus dem kontinentaleuropäischen Verbundsystem abgezapft, bis man ihm endlich auf die Schliche kam.

Ganz so einfach verhält es sich aber nicht. Obwohl die fehlende Strommenge dem Gegenwert von etlichen Millionen Euro entspricht, führt die Vermutung eines klammheimlichen Stromdiebstahls in die Irre. Ganz im Gegenteil: Es handelte sich um einen demonstrativen Akt. Die Kosovaren wollte auf diese Weise den serbischen Regelzonenbetreiber EMS unter Druck setzen, der bisher noch immer für ihr Gebiet zuständig ist und deshalb als Mitglied der ENTSO-E ein dort auftretendes Stromdefizit auszugleichen hat. Sie schickten sozusagen eine Retourkutsche nach Belgrad, weil die Serben bisher die Aufnahme des kosovarischen Übertragungsnetzbetreibers KOSTT in die ENTSO-E und die Anerkennung des Kosovo als eigenständige Regelzone torpediert haben, obwohl beides mit der Europäischen Union fest vereinbart worden war. Sie demonstrierten, dass sie faktisch durchaus eine eigene Regelzone sind, und dass die Serben gefälligst die Rechnung zu übernehmen haben, wenn sie das partout nicht anerkennen wollen. Denn solange die Vormundschaft über KOSTT andauert, ist der serbische Regelzonenbetreiber EMS nach den Statuten der ENTSO-E verpflichtet, im Kosovo auftretende Defizite auszugleichen.

Ersatzweise nahmen die Kosovaren in Kauf, europaweit Aufmerksamkeit zu erregen. Und das ist dann auch passiert, weil die Serben auf stur schalteten und ihre Verpflichtungen als Regelzonenbetreiber nicht erfüllten. Damit wurde gewissermaßen bei der ENTSO-E in Brüssel der Feuermelder eingeschlagen. Die Verbandsoberen sahen sich deshalb veranlaßt, die erwähnte Pressemitteilung herauszugeben, die sicher unterblieben wäre, wenn EMS eingelenkt und den Konflikt stillschweigend geregelt hätte.

Netzbetreiber in Belgrad und Pristina geben sich wechselseitig die Schuld


Just am 2. März, als der Kosovo seine Mindereinspeisung beendete, fiel im Braunkohlekraftwerk "Kosovo B" einer der beiden Blöcke aus. Dem kleinen Land fehlten damit schlagartig dreißig Prozent seiner Erzeugung. Die dadurch erzwungenen Abschaltungen führten im größten Teil des Kosovo zu einem flächendeckenden Stromausfall. Das Land leidet aber auch normalerweise unter einem Erzeugungsdefizit von rund zehn Prozent, das durch Exporte ausgeglichen werden muss.
Foto: Julian Nitzsche/Wikipedia

Die serbische EMS reagierte auf die diplomatisch herumeiernde Verlautbarung der ENTSO-E am 7. März mit einer Erklärung, die dem kosovarischen Netzbetreiber KOSTT die Alleinschuld zuschob: Dieser habe dem europäischen Verbundsystem fortlaufend in unberechtiger Weise elektrische Energie entzogen. Er habe damit seine Verpflichtung verletzt, im Rahmen der serbischen Regelzone den Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch in seinem Bereich selbständig durchzuführen. Dagegen habe die EMS nun "alle Ressourcen bereitgestellt, um dieses Problem schnell und effizient zu lösen".

Unerwähnt ließ der serbische Regelzonenbetreiber, dass er zwei Monate lang nichts unternommen hatte, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre. Die großartige Ankündigung, nun alle Ressourcen zu mobilisieren, besagte dagegen wenig, weil das Problem inzwischen nicht mehr bestand. In der Erklärung wies EMS selber darauf hin, dass der Widersacher KOSTT "ab dem 3. März seine unbefugte Stromentnahme aufgab und damit der Anstieg der synchronen Zeitabweichungen beendet wurde". Dies sei allerdings erst geschehen, "nachdem er dem Druck der relevanten Institutionen ausgesetzt war".

Der kosovarische Netzbetreiber KOSTT veröffentlichte am folgenden Tag, dem 8. März, seine Darstellung der Dinge: Er verwies darauf, dass seine geplante Aufnahme in die ENTSO-E noch immer nicht stattgefunden hat, obwohl sie fest vereinbart wurde, und er über alle technischen Voraussetzungen für den eigenständigen Regelzonenbetrieb verfüge. Schuld daran seien die Serben, weil sie die Erfüllung des diesbezüglichen Vertrags vom 1. Oktober 2015 torpediert hätten. Damit trügen sie aber auch nach wie vor die Verantwortung für die gesamte Regelzone unter Einschluß des Kosovo. Außerdem hätten sie allein im vergangenen Jahr rechtswidrig 9,6 Millionen Euro einbehalten, die dem Kosovo aus der Engpass-Bewirtschaftung seiner Verbindungsleitungen mit den Nachbarländern Montenegro, Albanien und Mazedonien zustünden. Eine finanzielle Belastung in ähnlicher Höhe entstehe ihm durch die vertraglich vereinbarte, aber absichtlich verzögerte Gründung eines Tochterunternehmens des serbischen Stromversorgers EPS, das den überwiegend von Serben bevölkerten Nordzipfel des Kosovo beliefern soll. Dank finanzieller Unterstützung durch die Regierung des Kosovo sei es ihm nun aber möglich geworden, die Frequenzabweichungen ab dem 3. März um 0.00 Uhr zu beenden.

Im Klartext sollte das heißen: Die Serben haben vertragliche Zusicherungen gebrochen und den Kosovo zudem finanziell geschädigt, ohne dass ihr Verhalten durch die ENTSO-E bzw. die Europäische Union genügend sanktioniert wurde. Es blieb dem Kosovo deshalb keine andere Wahl, als sich auf diese Weise zu wehren.

"Eine beispiellose Situation, die sich nicht mehr wiederholen darf"

Am selben Tag meldete sich auch die ENTSO-E nochmals zu Wort, mit nur sechs Sätzen, aber dieses Mal etwas deutlicher: Der Verband habe sich mit EMS und KOSTT auf eine Beendigung der Frequenzabweichungen verständigt. Nun werde es in einem zweiten Schritt darum gehen, die fehlenden Strommengen wieder in das Netz einzuspeisen. Es habe sich um eine bisher beispiellose Situation im kontinentaleuropäischen Verbundsystem gehandelt. Die ENTSO-E werde in enger Abstimmung mit der Europäischen Union versuchen, eine nachhaltige und langfristige Lösung zu finden, damit sich so etwas nicht mehr wiederholt.

Der Kosovo galt schon zu Titos Zeiten als besonders unruhiger Landstrich

Es würde zu weit führen, hier nochmals den ganzen Hintergrund aufzurollen, vor dem diese Auseinandersetzung spielt: Den Zerfall des Viel-Völker-Staats Jugoslawien in den neunziger Jahren, den Bürgerkrieg mit seinen grauenhaften Massakern zwischen verfeindeten Nationalitäten, die Unfähigkeit der Europäischen Union zur Beilegung des Konflikts vor ihrer Haustür und schließlich den daraus resultierenden Krieg der NATO gegen das serbische Rest-Jugoslawien, den man als "humanitäre Mission" verbrämte, weil ihm völkerrechtlich und nach den eigenen Statuten die Legitimation fehlte. Festzuhalten bleibt aber, dass sich der heutige Kosovo, sein besonderer Status und seine besonderen Probleme nur vor diesem Hintergrund verstehen lassen.

Schon vor dem Tod des Diktators Tito, der den Viel-Völker-Staat Jugoslawien nach dem zweiten Weltkrieg neu begründete und als politische Integrationsfigur zusammenhielt, galt die "autonome Provinz Kosovo" mit der Hauptstadt Pristina, die mehrheitlich von Albanern bewohnt wurde, als ein besonders unruhiger Landstrich. Ebenso die angrenzende "Volksrepublik Mazedonien" mit der Hauptstadt Skopje. Während aber Mazedonien bereits 1991 und sogar ohne Blutvergießen den Austritt aus der jugoslawischen Föderation erklärte, verblieb der Kosovo noch länger als ein Jahrzehnt unter der Herrschaft des serbischen Rest-Jugoslawien. Daran konnten auch terroristische Aktionen einer Untergrundorganisation nichts ändern. Als dann 2008 die "Republik Kosovo" ihre Unabhängigkeit proklamierte, wurde sie von Serbien und einer ganzen Reihe weiterer Staaten bis heute nicht anerkannt. Unter dem Schutz von UN-Truppen und mit Hilfe der EU-Staaten brachte es der neue Kleinstaat aber doch zu einer faktischen Unabhängigkeit und zur Anerkennung durch die meisten Länder der Welt. Serbien muss ihn schon deshalb in Maßen respektieren und mit ihm kooperieren, um den vor sechs Jahren erlangten Status eines Beitrittskandidaten der Europäischen Union nicht zu gefährden. Unterhalb des Tischs, an dem beide Länder nun unter internationaler Aufsicht gemeinsam sitzen, treten sie sich aber weiter vors Schienbein, wo sie nur können. Und das zeigte sich jetzt auf dem Gebiet der Stromwirtschaft.

Jugoslawien gehörte seit 1987 zum westeuropäischen Verbundsystem

Üblicherweise ist die Einbeziehung eines Staates in das kontinentaleuropäische Verbundystem nicht nur ein technischer Vorgang. Er signalisiert darüber hinaus eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen, eine politische Annäherung oder sogar die Vorstufe einer Einbindung in die Europäische Union. Ein Sonderfall war die ehemalige DDR, deren technische Eingliederung in das westliche Verbundsystem erst fünf Jahre nach der politischen Eingliederung in die Bundesrepublik erfolgte (950902). Dagegen wurden die sogenannten Centrel-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) schon 2001 Vollmitglieder der UCTE (010610), bevor sie ab 2004 auch der EU angehörten. Mit ähnlichem Vorlauf wurden 2003 die Übertragungsnetze von Rumänien und Bulgarien voll in das westeuropäische Verbundsystem der damaligen UCTE integriert (030509). Sogar Russland drängte zeitweilig auf technische Anbindung an den europäischen Strommarkt (020308).

In ähnlicher Weise hatte das ehemalige Jugoslawien seine Annäherung an den Westen intensiviert, als es 1987 der UCPTE bzw. deren Nachfolgerin UCTE beitrat. Durch den wenig später beginnenden Zerfall des Landes wurden 1991die südöstlichen Länder vom Hauptnetz der UCTE getrennt und bildeten seitdem eine eigene Synchronisations-Zone. Im Gleichtakt mit der Hauptzone blieben nur Slowenien und Kroatien. Erst im Oktober 2004 begann die UCTE mit der Wiedereinbeziehung der südöstlichen Balkanstaaten in den synchronisierten Netzbetrieb (041018).

"Energiegemeinschaft" sollte Balkan-Staaten an EU-Standards heranführen

Die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien wurden so jeweils einzeln zu Mitglieder der UCTE. Mit Ausnahme Sloweniens, das schon seit 2004 der EU angehörte, wurden sie außerdem Mitglieder der "Energiegemeinschaft", die 2005 von der Europäischen Union gegründet wurde, um die Energiewirtschaft der Balkan-Länder an die EU-Standards heranzuführen. Neben Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien und dem Kosovo zählten dazu auch Albanien, Rumänien und Bulgarien (051006). Später kamen noch die Ukraine (100910) sowie Georgien und Moldawien dazu, während Rumänien, Bulgarien und Kroatien zu EU-Mitgliedern avancierten und deshalb ausschieden. Fast alle Nachfolgestaaten betrieben ihre eigenen Regelzonen, wobei Montenegro und Mazedonien den SMM-Verbund mit Serbien als Systemführer eingingen. Nur der Kosovo mußte auf eine eigene Regelzone und die Mitgliedschaft in der ENTSO-E verzichten. Stattdessen gehörte er weiterhin zur serbischen Regelzone.

Serben hintertrieben die vereinbarte Aufnahme des Kosovo in die ENTSO-E

Und hier liegt die Wurzel des Konflikts, der jetzt dazu führte, daß im gesamten kontinentaleuropäischen Netz die Normfrequenz nicht eingehalten wurde: Schon 2015 hatten alle Mitglieder der ENTSO-E beschlossen – auch Serbien stimmte widerwillig zu – , dem Kosovo eine eigenständige Regelzone zuzugestehen und den Übertragungnetzbetreiber KOSTT in ihren exklusiven Klub aufzunehmen. Den Serben gelang es indessen, den vorgesehenen Fahrplan zur Anerkennung des Kosovo als eigenständiger Regelzonenbetreiber und dessen Aufnahme in die ENTSO-E zu hintertreiben. Außerdem nutzten sie alle Möglichkeiten, um der ohnehin schwachbrüstigen Stromwirtschaft des kleinen Nachbarn finanziell zu schaden. Zum einen kassierten sie weiterhin die Erlöse aus der Engpass-Bewirtschaftung der 400-kV-Leitungen, die vom Kosovo in die Nachbarländer Albanien, Montenegro und Makedonien führen. Damit entgehen dem Kosovo jährlich rund 9,5 Millionen Euro an Engpass-Erlösen. Zum anderen verzögerten sie die Gründung einer Tochter des staatlichen serbischen Stromversorgers EPS zur Belieferung des überwiegend von Serben bewohnten Nordzipfels des Kosovo. Der dadurch entstehende Schaden wird mit sieben bis zehn Millionen Euro jährlich beziffert. – Für einen Kleinstaat wie den Kosovo, der ohnehin als Armenhaus Europas gilt, eine unerträgliche Belastung.

Spezieller Stromversorger für die serbische Minderheit kam bisher nicht zustande


Die Serben sind die größte Minderheit im überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo. Im Norden des Landes sind sie sogar die Mehrheit und sollen deshalb durch eine Tochter des staatlichen serbischen Stromversorgers EPS beliefert werden.
Grafik: Wikipedia

Die Gründung eines speziellen Stromvertriebs für den Norden wurde auf serbisches Drängen im September 2013 zwischen den Regierungen in Belgrad und Pristina vereinbart und im August 2015 präzisiert. In beiden Fällen war es die EU-Kommission, welche die Streithähne an einen Tisch brachte. In der detaillierten Vereinbarung, die im Sommer 2015 durch Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zustande kam, wurde vorsichtshalber sogar ein möglichst neutraler Firmenname festgelegt, damit nicht auch noch dieser Punkt zur Reibungsfläche für nationalistisch erhitzte Gemüter wird: "ElektroSever" soll der serbische Name des Stromvertriebs lauten, was auf deutsch "ElektroNord" bedeutet.

Die Gründung von "ElektroSever" ist jedoch bis heute nicht erfolgt, obwohl die Vereinbarung ausdrücklich festhielt, dass der serbische Stromkonzern EPS die entsprechenden Unterlagen bis Ende August 2015 einreicht und die Registrierung innerhalb von sieben Tagen zu genehmigen ist. Die Eintragung ins Handelsregister scheiterte vordergründig daran, daß die Serben das kosovarische Recht nicht anerkennen wollten. Vermutlich suchten sie aber nur nach einem Vorwand, um die Aufnahme des Kosovo in die ENTSO-E zu blockieren, denn diese ist davon abhängig, dass "ElektroSever" tätig werden kann.

Netzbetreiber mußte Defizite übernehmen

Infolge dieser Verzögerungen mußte der kosovarische Stromversorger KESCO weiterhin den Norden des Landes mit Strom beliefern, ohne entsprechende Einnahmen zu erzielen. Die Abwälzung dieser Lasten auf die Gesamtheit der KESCO-Kunden (mit deren Zahlungsmoral es auch nicht gut bestellt ist) widersprach den Bemühungen um eine Entflechtung zwischen Erzeugung, Vertrieb und Netz, zu denen sich der Kosovo im Zuge seines geplanten Beitritts zur ENTSO-E verpflichten musste. Durch Urteil des Verfassungsgerichts in Pristina wurden deshalb diese Kosten ab April vorigen Jahres dem Übertragungsnetzbetreiber KOSTT auferlegt, der als reguliertes Unternehmen keine Wettbewerber hat. Dieser sieht sich indessen ebenfalls außerstande, eine derartige Bürde zu tragen, zumal ihm weiterhin die Erlöse aus der Engpass-Bewirtschaftung vorenthalten werden, die ungefähr der Höhe dieser Belastung entsprechen würden. Schließlich sind für einen armen Kleinstaat wie den Kosovo schon ein- bis zweistellige Millionensummen kein Pappenstiel. Das Land hat gerade mal 1,9 Millionen Einwohner. Von der Fläche her ist es ungefähr viermal so gross wie Luxemburg und halb so groß wie Hessen. Die Weltbank bezifferte das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2010 mit nur 3.300 Dollar. Das war 24-mal weniger als in Luxemburg.

Am 17. März begann das Streitbeilegungsverfahren unter Vorsitz von Klaus Töpfer

Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) soll nun den Streit zwischen dem Kosovo und Serbien schlichten. Im März reiste er in beide Länder, um auf höchster Ebene mit den jeweiligen Regierungschefs zu verhandeln. Sein offizieller Auftraggeber ist die bereits erwähnte "Energiegemeinschaft", zu deren Vertragsparteien Serbien und Kosovo gehören. Die eigentliche Verhandlungsmacht, die er gegenüber den Regierungen in Belgrad und Pristina vertritt, ist aber die Europäische Union bzw. die ENTSO-E.

Formal hat der Kosovo seine Energiewirtschaft inzwischen den einschlägigen EU-Richtlinien aus dem Jahr 2009 angepaßt. Entsprechend überwacht eine nationale Regulierungsbehörde (ERO) den Übertragungsnetzbetreiber KOSTT. Dennoch wäre die Eröffnung des Streitbeilegungsverfahrens am 17. März fast gescheitert, weil der ERO-Vorstand nur aus zwei Mitgliedern bestand. Nach dem Gesetz müssen ihm mindestens drei Mitglieder angehören, um rechtlich bindende Entscheidungen treffen zu können. Das Parlament in Pristina musste deshalb am 16. März schleunigst zwei zusätzliche Mitglieder bestellen. Andernfalls hätte die "Energiegemeinschaft", anstatt mit der Beilegung des Streits zu beginnen, erst einmal ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Kosovo eingeleitet.

Es sieht so aus, als ob sich keiner der beiden Streithähne sonderlich klug verhalten hätte. Zumindest haben sich beide gewiss nicht als zuverlässige Mitglieder der ENTSO-E empfohlen. Trotzdem dürfte kein Weg darum herum führen, die serbischen Quertreibereien zu beenden und den Kosovo mit einer eigenen Regelzone in die ENTSO-E aufzunehmen – vielleicht verbunden mit der netten Geste, dass er dem SMM-Block beitritt, für den die serbische EMS schon jetzt in ähnlicher Weise als Regelzonenführer fungiert wie das in Deutschland die Amprion für die drei anderen Übertragungsnetzbetreiber besorgt.

 

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