November 2016

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ENERGIE-CHRONIK


Preiskampf mit "Strom-Flatrate" in Aurich

In der ostfriesischen Stadt Aurich kommt es zu einer Kraftprobe zwischen den neu gegründeten Stadtwerken und dem Kommunalkonzern EWE, nachdem die Stadtwerke angekündigt haben, ab Januar 2017 mit dem Strom- und Gasvertrieb zu beginnen. Mitte November reagierte die EWE auf die drohende Abwerbung ihrer Grundversorgungs-Kunden mit der Einführung einer "Strom-Flatrate". Das neuartige Angebot beschränkt sich vorerst auf Kunden in Aurich. Es soll aber auf andere Teile des EWE-Versorgungsgebiets ausgedehnt werden, wenn es Erfolg hat.

Die "Flatrate", mit der die EWE das Eindringen der Stadtwerke Aurich in ihren Kundenstamm verhindern will, gibt es für solche Stromkunden, deren bisheriger Jahresverbrauch bekannt und damit vorhersehbar ist: Bis zu 2.000 Kilowattstunden kosten 45 Euro monatlich, bis zu 3.500 Kilowattstunden 75 Euro und bis zu 5.000 Kilowattstunden 110 Euro. Ein Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden kostet auf diese Weise 900 Euro. Gegenüber dem Grundversorgungstarif der EWE ergibt das einen Vorteil von 160 Euro. Auch der "Ostfriesenstrom" der Stadtwerke wird um 122 Euro unterboten.

Andere Anbieter sind günstiger als EWE oder Stadtwerke

Im Grunde handelt es sich bei dem EWE-Angebot nicht um eine echte Flatrate, sondern um eine aufgehübschte Variante der bekannten Paketpreise. Hier wie dort erhält der Kunde keine Erstattung, falls er weniger verbraucht. Bei dem EWE-Paketpreis muß er zwar nicht nachzahlen, falls der Jahresverbrauch höher war. Er muß aber damit rechnen, in eine höhere Preisgruppe eingestuft zu werden.

Billiger als die EWE und die Stadtwerke sind nach wie vor diverse andere Angebote. Bei einem im November durchgeführten Tarifvergleich war der von den Stadtwerken angebotene Strom von fast fünfzig anderen Anbietern günstiger zu haben. Zum Beispiel ergab sich für einen Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden "Ostfriesenstrom" ein Preis von 1022 Euro (ohne Boni bei einjähriger Laufzeit). Das billigste Vergleichsangebot kostete dagegen nur 788 Euro. Es war also auch um 112 Euro billiger als die entsprechende "Flatrate" von EWE.

Enercon hat auf Stromkonzession für den Landkreis Aurich verzichtet

Am 15. November eröffneten die Stadtwerke ein Kundenzentrum, in dem Interessenten die Gelegenheit haben, Strom- und Gaslieferverträge abzuschließen. Außerdem wollen sie im kommenden Jahr das Strom- und Gasnetz der ostfriesischen Stadt übernehmen, wie dies der Stadtrat vor längerem beschlossen hat (131112). Beides rührt an den Besitzstand des Kommunalkonzerns EWE, der in Aurich Grundversorger ist und sonst bisher kaum Konzessionsverluste hinnehmen mußte.

Daß Aurich derart aus der Reihe tanzt, ist nicht zuletzt auf den Windkraftanlagen-Hersteller Enercon zurückzuführen, der in dieser Stadt seinen Sitz hat und mit beherrschendem Abstand das größte Unternehmen ist. Enercon ist mit 40 Prozent an den Stadtwerken beteiligt. Zunächst wollte sich das Unternehmen außerdem um die Stromkonzession für den Landkreis Aurich bewerben. Es hätte damit die Netzintegration von Windkraftanlagen vor der eigenen Haustür erproben können. Im Dezember 2015 kam es aber zu einem Arrangement mit der EWE: Beide Seiten verständigten sich auf die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das anhand der Verhältnisse im Landkreis Aurich die Elemente eines "Energiewende-Baukastens" entwickeln soll. Das operative Netzgeschäft bleibt von dieser Vereinbarung unberührt. Enercon verzichtete auch ausdrücklich auf eine Bewerbung um die Neuvergabe der Konzession.

Gelsenwasser organisiert für die Stadtwerke den Vertrieb und Veolia den Netzbetrieb

Die Stadtwerke Aurich GmbH sind seit Dezember 2010 im Handelsregister eingetragen. Bisher standen sie aber größtenteils auf dem Papier. Auch im November verfügten sie erst über sechs Mitarbeiter. Um den nun begonnenen Einstieg ins Vertriebsgeschäft und die geplante Übernahme des städtischen Strom- und Gasnetzes bewältigen zu können, haben sie sich die Unterstützung durch Unternehmen gesichert, die bereits in diesen Bereichen tätig sind. Beim Vertriebsgeschäft ist das die Gelsenwasser AG und beim Netzbetrieb der Veolia-Konzern mit seiner Tochter BSEnergy (früher Stadtwerke Braunschweig).

Die Gelsenwasser AG bekam im September unter sieben Bewerbern den Zuschlag als "Dienstleister, der die erforderlichen Systeme und Prozesse (Marktrolle Lieferant und Beschaffung/Bilanzkreismanagement) einrichtet und für das laufende Vertriebsgeschäft bereitstellt". Die Veolia setzte sich im Juni in einem europaweit ausgeschriebenen Angebotsverfahren ebenfalls gegen mehrere andere Interessenten durch. Sie und ihre Braunschweiger Tochter werden zwanzig Jahre lang für die komplette Instandhaltung, Wartung und Errichtung von Hausanschlüssen in Aurich verantwortlich sein, sofern es zur Netzübernahme von der EWE kommt.

Das erwähnte Stromangebot, das mit 788 Euro für einen Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden sowohl den "Ostfriesenstrom" der Stadtwerke als auch die "Flatrate" von EWE konkurrenzlos übertrumpft, stammt übrigens von dem Anbieter "energiehoch3.de" – einer hundertprozentigen Vertriebstochter der Gelsenwasser AG.

 

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