Oktober 2015

151001

ENERGIE-CHRONIK


EnBW tauscht Beteiligung an EWE gegen Mehrheit an VNG

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) und der norddeutsche Energiekonzern EWE haben ihre seit 2008 bestehende strategische Partnerschaft (080701) aufgelöst und damit zugleich den jahrelangen Streit beendet, der spätestens seit 2011 diese Partnerschaft vergiftete und zu einer Art Zwangsehe machte (111205, 130508). Die Lösung des Konflikts besteht darin, daß die EnBW ihre 26-prozentige Beteiligung an der EWE wieder abgibt und dafür von EWE die Mehrheit am ostdeutschen Ferngasunternehmen VNG erhält. Zusätzlich zahlt sie einen Barausgleich in Höhe von insgesamt 125 Millionen Euro. Die EnBW wird damit zum drittgrößten Gasversorger in Deutschland nach E.ON und Wintershall. Der Handel wurde am 16. Oktober bekanntgegeben und soll bis 2019 schrittweise abgewickelt werden.

Schadenersatzforderung von 500 Millionen Euro ruht vorläufig und wird dann zurückgezogen


Gütliche Trennung: Der EnBW-Vorstandsvorsitzende Frank Mastiaux und der EWE-Vorstandsvorsitzende Matthias Brückmann unterzeichnen die Vereinbarung zur Beilegung des jahrelangen Streits, der unter ihren Vorgängern Hans-Peter Villis und Werner Brinker entstanden war. Hinter ihnen der EWE-Aufsichtsratsvorsitzende Stephan-Andreas Kaulvers und der Geschäftsführer des EWE-Verbands, Heiner Schönecke (v.l.n.r)
Foto: EnBW

Die Gesamttransaktion erfolgt in drei Schritten: Im ersten erwirbt EnBW die 74,2-Prozent-Beteiligung der EWE AG an VNG. Zeitgleich erwirbt EWE zehn Prozent eigene Aktien zu einem Preis von 504,8 Mio. Euro von EnBW. Im zweiten Schritt übernimmt der EWE-Verband von der EnBW im Jahr 2016 weitere zehn Prozent EWE-Aktien zu einem fest vereinbarten Preis. Der EWE-Verband verpflichtet sich zudem, die restlichen sechs Prozent EWE-Aktien bis zum Jahr 2019 von EnBW zu erwerben. Mit dem Abschluß der Transaktion erledigt sich auch die Klage vor einem Schiedsgericht, mit der die EWE über 500 Millionen Euro Schadenersatz von der EnBW verlangte (130508). Bis dahin ruht das Verfahren.

Beide Energiekonzerne gehören der öffentlichen Hand

Die in Oldenburg ansässige EWE AG ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, die nach dem Ausscheiden der EnBW wieder zu hundert Prozent niedersächsischen Städten und Landkreisen gehören wird. Die Aktien der EnBW werden zwar an der Börse gehandelt, befinden sich aber bis auf einen unwesentlichen Streubesitz (0,39 Prozent) fest in der Hand von baden-württembergischen Kommunen und Landesregierung, wobei die in in der Beteiligungsgesellschaft OEW zusammengeschlossenen Kommunen und die Landesregierung über eine paritätische Beteiligung von jeweils 46,75 Prozent verfügen. Als die EnBW 2008 ihre strategische Beteiligung von 26 Prozent an der EWE erwarb (080701), gehörten der heutige Landesanteil sowie die unternehmerische Führung allerdings noch der Electricité de France (EDF), welche die EnBW als ihre deutsche Tochter betrachtete und so auch bezeichnete ("filiale").

Mit der Beteiligung an EWE wollte EnBW ihre Position im Gasbereich ausbauen

Mit dem Einstieg bei der EWE wollte die EnBW schon damals ihre Position im Gasbereich ausbauen, denn der niedersächsische Kommunalkonzern schien beste Chancen zu haben, den ein Jahr zuvor ausgebrochenen Machtkampf um die unternehmerische Führung beim ostdeutschen Ferngasversorger VNG (070504) durch eine Aufstockung seines Aktienanteils von 47,9 Prozent bis zur Mehrheit zu entscheiden (080701). Der Erwerb der noch fehlenden 2,2 Prozent scheiterte dann aber am hartnäckigen Widerstand der Minderheitsaktionäre BASF-/Wintershall (15,79 Prozent) und Gazprom (5,26 Prozent) sowie der in der Beteiligungsgesellschaft VUB zusammengeschlossenen ostdeutschen Kommunen (25,79 Prozent) (080817, 090109). Die rund zwei Milliarden Euro, die EnBW für den Einstieg bei EWE ausgegeben hatte, drohten damit zu einer Fehlinvestition zu werden.

Statt der EnBW schnappte sich die Gazprom das VNG-Paket der Gaz de France

Daraufhin vereinbarte die EWE mit der EnBW die Übertragung ihres VNG-Anteils von 47,9 Prozent (090504). Anscheinend gingen die beiden strategischen Partner davon aus, daß es der EnBW als Tochter des französischen Staatsunternehmens EDF leichter gelingen würde, die Phalanx der kleineren VNG-Aktionäre aufzubrechen, denn zu den Minderheitsaktionären zählte auch das EDF-Schwesterunternehmen Gaz de France mit 5,2 Prozent, das sich damals soeben in GDF Suez umbenannt hatte und heute als "Engie" firmiert (090901). Der damalige französische Präsident Sarkozy machte dieses Kalkül jedoch zunichte, indem er im November 2009 mit Kremlchef Putin eine neunprozentige Beteiligung der GDF Suez an dem Pipeline-Projekt "South Stream" vereinbarte und als Gegenleistung die VNG-Aktien des französischen Gasunternehmens der russischen Gazprom überließ (091102). Die Gazprom konnte so ihre Beteiligung an VNG auf 10,52 Prozent verdoppeln (100211).

EWE scheiterte mit dem Zwangsverkauf und verklagte die EnBW vor Schiedsgericht

Von da an war es mit der strategischen Partnerschaft zwischen EnBW und EWE vorbei. Für die Baden-Württemberger war nicht nur die teuer erworbene Beteiligung an EWE perspektivisch wertloser geworden. Sie hatten auch mit Zitronen gehandelt, was die Vereinbarung zur Übernahme der EWE-Beteiligung an VNG für 1,4 Milliarden Euro betraf. Im ENBW-Vorstand soll es deshalb zu einem handfesten Krach gekommen sein, der mit dem Rücktritt des Finanzvorstands aus gesundheitlichen Gründen endete (091216). Die EWE bestand indessen auf der Erfüllung der Übereinkunft, obwohl diese aus Sicht der EnBW keine Kaufverpflichtung, sondern lediglich eine Option darstellte. Sie betrieb sogar den Zwangsverkauf ihres VNG-Pakets an EnBW, scheiterte damit jedoch an der VNG-Hauptversammlung, deren Zustimmung sie in jedem Fall benötigt hätte, da es sich um vinkulierte Aktien handelte (111205). Sie blieb somit notgedrungen der größte Aktionär der VNG, dem weiterhin nur kümmerliche 2,2 Prozent fehlten, um auch das unternehmerische Sagen zu haben. Ersatzweise strengte sie ein schiedsgerichtliches Verfahren an, in dem sie von der EnBW eine Entschädigung von 500 Millionen Euro verlangte (130508).

Durch den Rückzug von Wintershall und Gazprom erlangte EWE doch noch die VNG-Mehrheit

Im Frühjahr 2014 offerierten dann ausgerechnet Wintershall und Gazprom, die bislang die schärfsten Widersacher der EWE waren, ihre Beteiligungen dem langjährigen Rivalen. Zunächst überließ die BASF-Tochter ihren Anteil von 15,79 Prozent (140301). Ein Jahr später übernahm EWE auch die Gazprom-Beteiligung von 10,52 Prozent (150402). Über den Kaufpreis wurde in beiden Fällen Stillschweigen gewahrt. Die EWE ließ von Anfang an offen, ob sie die neu errungene Mehrheit an VNG behalten oder weiterverkaufen würde. Aussichtsreichster Bewerber schienen zeitweilig die Stadtwerke Leipzig zu sein, die sich mit dem australischen Finanzkonzern Macquarie zusammengetan hatten, um ein Kaufangebot in zehnstelliger Höhe zu unterbreiten (150710).

Der in Leipzig ansässige VNG-Konzern ist das flächendeckende Ferngasunternehmen in Ostdeutschland. Im vergangenen Jahr erzielte er mit über 1400 Mitarbeitern einen Umsatz von 7,7 Milliarden Euro und einen Jahresüberschuß von 224 Millionen Euro. Hauptaktivitäten sind Import, Handel, Transport und Speicherung von Erdgas. Über die Tochtergesellschaft ONTRAS betreibt er das Gasfernleitungsnetz in den ostdeutschen Bundesländern mit mehr als 7.200 Kilometer Länge. Darüber hinaus ist er in der Erdgasförderung in Norwegen und in Dänemark sowie in weiteren fünf europäischen Ländern tätig. Seit 2013 gehört ihm außerdem der Gasvertrieb "Goldgas".

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