Juni 2014

140608

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Bis zum 31. 8. 2008 gab es am Spotmarkt der Strombörse nur positive Preise. Wenn das Angebot größer war als die Nachfrage, konnte deshalb der Strom allenfalls verschenkt bzw. für 0 Euro/MWh "verkauft" werden (lila Balken). Ab 1. September 2008 wurde dann die technisch mögliche Obergrenze von 3000 Euro pro Megawattstunde spiegelbildlich um 3000 Euro in den Minusbereich erweitert. Seitdem kommt es häufig vor, daß die Anbieter den Strom nur noch gegen mehr oder weniger hohe Zuzahlungen loswerden (grüne Balken). Der Hauptgrund dafür sind Schwachlast-Situationen, in denen die konventionelle Stromerzeugung nicht so zurückgefahren wird, wie es ein gleichzeitig hohes Aufkommen an Wind- oder Solarstrom erfordern würde. Das heißt nun freilich keineswegs, daß auch die Verbraucher den Strom mit einer Zuzahlung, geschenkt oder wenigstens günstiger bekommen würden. Ganz im Gegenteil: Die enormen Kosten dieser Negativpreise belasten ihre Stromrechungen zusätzlich.

Zuviel Kohle- und Atomstrom bewirkt negative Strompreise an der Börse

Die seit Ende 2008 immer wieder auftretenden negativen Preise am Spotmarkt der Strombörse sind "nicht Ausdruck einer Überschußsituation von Strom aus Erneuerbaren Energien, sondern auf mangelnde Flexibilität des Stromsystems zurückzuführen". Zu diesem Schluß gelangt eine Studie, die im Auftrag der Initiative "Agora Energiewende" von dem Consulting-Unternehmen Energy Brainpool erstellt und am 10. Juni veröffentlicht wurde. Sie untersucht die 97 Stunden mit negativen Strompreisen, die zwischen Dezember 2012 und Dezember 2013 bei der vortägigen Auktion an der Expex Spot (091209) auftraten. Sie gelangt zu dem Ergebnis, daß die konventionelle Stromerzeugung nicht so zurückgefahren wurde, wie es die Erzeugung an Wind- und Solarstrom erfordert hätte, und daß die so entstandenen Negativpreise das EEG-Konto um fast 90 Millionen Euro belastet haben. Dabei habe der Erneuerbaren-Anteil an den Verkäufen am Spotmarkt selbst bei Starkwind beziehungsweise hoher Solarstromproduktion zu keinem Zeitpunkt mehr als 65 Prozent des Stromverbrauchs betragen. Ein Erneuerbaren-Anteil in dieser Höhe könne als durchaus angemessen gelten, sofern man das im EEG verankerte Ziel des Ausbaues der Erneuerbaren Energien und deren Einspeisevorrang nicht in Frage stellen wolle.

Bei Braunkohle und Kernkraft fehlt ein ausreichender Druck zum Abschalten

Wie die Studie feststellt, haben in den Zeiten negativer Strompreise nur Gas- und Steinkohlekraftwerke ihre Stromproduktion auf nahe Null gedrosselt. Die Kernkraftwerke blieben dagegen mit 65 Prozent und die Braunkohlekraftwerke mit 50 bis 40 Prozent ihrer Leistung am Netz. Hinzu haben wärmegeführte KWK-Anlagen zwangsläufig weiterhin Strom produziert. Im Ergebnis waren so immer 20 bis 25 Gigawatt konventioneller Kraftwerksleistung am Stromnetz. Die Ursachen dafür lägen unter anderem in den An- und Abfahrkosten dieser Kraftwerke, den aktuellen Regelungen für die Bereitstellung von Systemdienstleistungen sowie dem Gebotsdesign am Spotmarkt. Bei Negativpreisen zwischen null und zehn Euro/MWh könne aus betriebswirtschaftlicher Sicht der Weiterbetrieb konventioneller Wärmekraftwerke sogar über einen längeren Zeitraum lohnender als das Abfahren sein.

Ausbau der Erneuerbaren wird Konflikt weiter verschärfen

Als Folge dieser mangelnden Flexibilität der konventionellen Stromerzeugung entsteht bei hoher Wind- und Solarstromeinspeisung sowie gleichzeitig schwacher Nachfrage ein solches Überangebot an der Börse, daß alle Anbieter den Strom nicht einmal geschenkt losbekommen, sondern hohe Zuzahlungen leisten müsse, um einen Abnehmer zu finden. Die Studie prognostiziert eine Verschärfung dieses Konflikts mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis zum Jahr 2022 sei mit jährlich etwa 1.200 Stunden zu rechnen, in denen der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch den Anteil von 65 Prozent erreicht und übersteigt. Während etwa 150 Stunden könnten die Erneuerbaren dann sogar den gesamten Stromverbrauch abdecken.

Weihnachten 2012 belastete EEG-Konto mit rund 58 Millionen Euro

Leidtragende der Negativpreise sind in allen Fällen die Stromverbraucher, die entweder über die EEG-Umlage oder über die Kalkulation der Stromerzeuger für die Kosten aufkommen müssen. Zum Beispiel kam so Weihnachten 2012 eine Summe von 94 Millionen Euro zusammen, weil an drei aufeinanderfolgenden Tagen insgesamt 23 Stunden lang Zuzahlungen geleistet werden mußten, um den Strom bei der vortägigen Auktion am Spotmarkt überhaupt loszuwerden. Davon entfielen allein 88 Millionen Euro auf die beiden Weihnachtsfeiertage, an denen ein schwacher Verbrauch mit einer besonders hohen Windstromerzeugung zusammentraf (130101). Wie die Studie jetzt ermittelte, mußten von dieser Summe ungefähr 58 Millionen Euro – also ungefähr zwei Drittel – für den Verkauf von EEG-Strom gezahlt werden und belasteten so das EEG-Konto. Der Rest entfiel auf konventionell erzeugte Strommengen.

Was theoretisch sinnvoll ist, könnte es auch in der Praxis werden

Unabhängig vom gesetzlich festgelegten Einspeisevorrang für den Strom aus erneuerbaren Quellen bleibe es grundsätzlich volks- und betriebswirtschaftlich rational, bei niedrigen oder negativen Strompreisen zunächst die Erzeugungsanlagen höheren Grenzkosten abzuregeln. Das seien die konventionellen Kraftwerke, bei denen sowohl Brennstoff- als auch CO2-Kosten entstehen. Dagegen erzeugten Windenergie- und Photovoltaikanlagen den Strom nahezu ohne Grenzkosten.

Um das Stromsystem flexibler zu gestalten und negative Strompreise nach Möglichkeit zu vermeiden, schlägt die Studie eine Reihe von Maßnahmen vor. Der Regulierungsbehörde bzw. den Netzbetreibern wird empfohlen, den Sockel jener konventionellen Kraftwerke zu verringern, die nur deshalb am Netz bleiben müssen, um Systemdienstleistungen zu erbringen. Zum Beispiel lasse sich benötigte Blindleistung auch durch Phasenschieber bereitstellen, ohne daß damit Wirkleistung verbunden ist. Bei KWK-Anlagen könne eine flexiblere Fahrweise durch Speicher erreicht werden, welche die Strom- von der Wärmeabgabe entkoppeln. Der Regelleistungsbedarf lasse sich verringern, indem die Ausgleichsenergiepreise für Bilanzabweichungen erhöht werden. Die Kraftwerksbetreiber könnten ebenfalls zu einem flexibleren Stromsystem beitragen, indem sie die An- und Abfahrzeiten ihrer Anlagen samt der damit verbundenen Kosten verringern. Den Stromkunden sollten zusätzlich solche Tarife angeboten werden, die sich nach dem jeweils geltenden Börsenpreis richten und so das Verbrauchsverhalten beeinflussen.

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