Januar 2013

130103

ENERGIE-CHRONIK


"Gazelle" ermöglicht Gastransport von der Ostsee nach Bayern durch Tschechien

Nach mehr als zweijähriger Bauzeit wurde am 14. Januar im Nordwesten Tschechiens die Gas-Pipeline "Gazelle" in Betrieb genommen. Die 166 Kilometer lange Leitung führt von der sächsisch-tschechischen Grenze bei Olbernhau zur bayerisch-tschechischen Grenze bei Waidhaus. Sie verbindet die ostdeutsche Pipeline "Opal" mit der "Megal" in Süddeutschland. Dadurch ermöglicht sie es, das bei Lubmin an der Ostsee ankommende Erdgas aus Rußland auf kürzestem Wege nach Süddeutschland und nach Ostfrankreich zu transportieren. Obwohl die neue Leitung auch über Anschlüsse an das tschechische Erdgasnetz verfügt, wird sie im Normalfall nur diesem Gastransit dienen.

Gazprom und Wintershall können nun die Kapazität von "Opal" in größerem Umfang nutzen


Durch die Kombination von "Opal" und "Gazelle" verschiebt sich praktisch der Anlandepunkt des aus Rußland kommenden Erdgases von Lubmin an der Ostsee nach Waidhaus in Bayern. Dennoch tun die Regulierungsbehörden so, als ob es sich um zwei separate internationale Verbindungsleitungen handeln würde (Vergrößern).
Quelle: Netzentwicklungsplan Gas 2013

Die Pipeline "Gazelle" hat mit 1,40 Meter denselben Querschnitt wie die "Opal". Damit können Gazprom und Wintershall die Transportkapazität dieser 470 Kilometer langen Ostsee-Anbindungsleitung erstmals in größerem Umfang nutzen. Offiziell wurde die "Opal" zwar schon im November 2011in Betrieb genommen, parallel zur Eröffnung des ersten Strangs der Ostsee-Pipeline (111101). Die technisch mögliche Transportkapazität von 35 Millionen Kubikmetern stand aber vorläufig nur auf dem Papier, da sie zu sieben Achteln für den Transit nach Süddeutschland vorgesehen ist. Die Fertigstellung von "Gazelle" war deshalb Voraussetzung für die faktische Nutzung der Kapazität. Eigentümerin der "Opal" ist zu 80 Prozent das von Wintershall und Gazprom gegründete Gemeinschaftsunternehmen W & G , dem auch die Betreibergesellschaft Opal Gastransport GmbH gehört. Außerdem hält E.ON Ruhrgas einen Anteil von 20 Prozent.

Die exklusive Nutzung der Gesamtkapazität von 35 Millionen Kubikmetern bleibt Gazprom und Wintershall jedoch verwehrt, da die Bundesnetzagentur ihre im März 2009 erteilte Ausnahmegenehmigung (090306) auf Verlangen der EU-Kommission in diesem Punkt einschränken mußte. Aufgrund des im Juli 2009 erlassenen Änderungsbescheids dürfen beide Unternehmen nur die Hälfte der Ausspeisekapazität belegen, die an der tschechischen Grenze erreicht wird.

"NEL" bleibt vorerst ein Engpaß

Die andere Ostsee-Anbindungsleitung, die als "Nordeuropäische Erdgasleitung" (NEL) von Lubmin nach Westen zum Erdgasspeicher Rehden führt, ist seit November 2011ebenfalls offiziell in Betrieb. Aber auch hier war bisher die Nutzung nur beschränkt möglich, und mit einer Änderung ist kaum vor Jahresende zu rechnen. Der niedersächsische Teil der Trasse konnte nämlich nicht planmäßig fertiggestellt werden, da betroffene Bürger erfolgreich vor Gericht geklagt hatten. Im Bereich südlich von Hamburg wird nun an einer geänderten Trassenführung gebaut. Haupteigentümer der Pipeline ist mit 51 Prozent auch hier das Gemeinschaftsunternehmen W & G von Wintershall und Gazprom, dem außerdem die Betreibergesellschaft NEL Gastransport GmbH gehört. Weitere Anteile halten die niederländische Gasunie (20 Prozent), die belgische Fluxys (19 Prozent) und E.ON Ruhrgas (10 Prozent).

Die Transitgebühren für "Gazelle" kassiert RWE

Eigentümer und Betreiber der nunmehr eröffneten Verbindungsleitung "Gazelle" ist vorläufig der RWE-Konzern, der vor elf Jahren bei der Privatisierung der tschechischen Gaswirtschaft den Zuschlag erhielt und diese seitdem beherrscht (011205). Das Tochterunternehmen Net4Gas (früher RWE Transgas Net), das in Tschechien über ein 3.642 Kilometer langes Ferngas-Netz verfügt, investierte 400 Millionen Euro in den Bau der neuen Verbindungsleitung. Dafür wird die Net4Gas, die RWE schon seit eineinhalb Jahren auf der Verkaufsliste stehen hat (110802), nun die Transitgebühren kassieren dürfen. Dem Vernehmen nach sollen sich die Kosten auf diese Weise binnen zehn Jahren amortisieren. Die technische Durchführung besorgte die Engineering-Gesellschaft RWE Plynoprojekt. Mit Jahresbeginn 2013 hat RWE alle Aktivitäten in Tschechien einer neuen Führungsgesellschaft namens RWE Ceska Republika unterstellt. Neben dem nationalen Ferngasnetzbetreiber Net4Gas kontrolliert sie jeweils vier regionale Gas- und Stromverteiler, zwei Gesellschaften für Gashandel und -speicherung sowie vier andere Unternehmen.

Zur Inbetriebnahme der Pipeline "Gazelle" erschien neben Net4Gas-Geschäftsführer Thomas Kleefuß auch RWE-Chef Peter Terium. Prominentester Ehrengast war der tschechische Ministerpräsident Petr Necas. Das Bundeswirtschaftsministerium und das russische Energieministerium waren durch Staatssekretäre vertreten.

Für die Versorgung Tschechiens ist die Pipeline "Gazelle" (rot) bedeutungslos. Sie stellt lediglich eine Art Bypass dar, weil sonst die vorhandenen Verbindungen des Ferngasnetzes durch den Gasfluß von Sachsen nach Bayern überlastet würden.
Quelle: Net4Gas

Sowohl "Opal" als auch "Gazelle" sind für 22 Jahre von der Regulierung befreit

Auf Antrag von Wingas und E.ON hat die Bundesnetzagentur im Februar 2009 die "Opal" von der Regulierung befreit, weil sie gemäß § 28a EnWG als internationale Verbindungsleitung einzustufen sei (090306). Die Behörde ignorierte dabei den Umstand, daß die Pipeline nicht der Versorgung Tschechiens dient, sondern lediglich eine Transitverbindung zwischen Sachsen und Bayern darstellt. In kühner Umdeutung der tatsächlichen Verhältnisse behauptete sie außerdem, daß die "Opal" den Wettbewerb auf dem tschechischen Gasmarkt beleben werde. Die EU-Kommission hat dieser Sichtweise in ihrer Stellungnahme vom Juni 2009 klar widersprochen und sie sogar regelrecht zerpflückt. Im übrigen sah aber auch sie die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Regulierung als erfüllt an. Sie beließ es bei ein paar Auflagen, mit denen die Ausschaltung von Konkurrenten bei der "Opal"-Nutzung verhindert werden soll.

Im Oktober 2010 genehmigte die tschechische Regulierungsbehörde ERU auch die Befreiung des Projekts "Gazelle" von der Regulierung. Die Kommission stimmte im Mai 2011 zu. Sie begnügte sich in diesem Fall damit, die Befreiung von 23 auf 22 Jahre zu verkürzen, um sie der Laufzeit bei "Opal" anzupassen.

Beide Entscheidungen muten ziemlich willkürlich an. Im Grunde nehmen sie das formale Kriterium einer grenzüberschreitenden Verbindung nur zum Vorwand, um die Befreiung von der Regulierung, die aus anderen Gründen opportun erscheint, begründen zu können. Faktisch hat die "Gazelle" mit der tschechischen Gasversorgung überhaupt nichts zu tun. Sie ist nur eine Art Bypass zur Entlastung bereits vorhandener Leitungen (siehe Karte 2). Auch ohne sie wäre die "Opal" mit dem Transportnetz der Net4Gas verbunden. Eine ersatzweise Versorgung Tschechiens aus der Ostsee-Pipeline wäre deshalb in jedem Falle möglich, falls der Gastransit durch die Ukraine verringert oder unterbrochen würde, wie dies vor vier Jahren geschah (090101). Für mehr Wettbewerb sorgen beide Projekte auch nicht, weil der Lieferant in allen Fällen Gazprom ist und ihre Befreiung von der Regulierung die faktische Marktmacht der beteiligten West-Unternehmen Wintershall, E.ON, RWE, Gasunie und Fluxys sicherlich noch verstärkt. Faktisch handelt es sich bei "Opal" und "Gazelle" nicht um zwei grenzüberschreitende Leitungen, sondern um eine einzige Kombi-Pipeline, die den Anlandepunkt des aus Rußland kommenden Erdgases von der Ostsee nach Bayern verschiebt (siehe Karte 1).

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