November 2011

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ENERGIE-CHRONIK


Hamburg gibt 544 Millionen Euro für Viertelbeteiligung an Netzen aus

Hamburg beteiligt sich mit jeweils 25,1 Prozent an den lokalen Netzen für Strom, Fernwärme und Gas. Wie der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am 29. November mitteilte, gibt der Senat für den Erwerb dieser Beteiligungen insgesamt 544 Millionen Euro aus. Davon entfallen 138,5 Millionen Euro auf die Vattenfall Stromnetz Hamburg GmbH, 325,05 Millionen Euro auf die Vattenfall Wärme Hamburg GmbH und 80,4 Millionen Euro auf die E.ON-Hanse-Tochter Hamburg Netz GmbH. Die neuen Geschäftspartner Vattenfall und E.ON haben ihrerseits ein umfangreiches Investitionsprogramm mit allerlei "Energiewende"-Zutaten sowie die Zahlung einer Garantiedividende in Höhe von 4,2 Prozent (bei Fernwärme 4,5 Prozent) zugesichert. Außerdem verzichtet Vattenfall eventuell auf den umstrittenen Bau einer Fernwärmeleitung, die vom neuen Steinkohlekraftwerk Moorburg quer durch Hamburg nach Altona führt. Stattdessen soll ein neues GuD-Kraftwerk das Heizkraftwerk Wedel ersetzen.

Möglicher Volksentscheid wird angeblich nicht präjudiziert

Die Vereinbarungen sind vor dem Hintergrund der Volksinitiative "Unser Hamburg - Unser Netz" zu sehen, die für die Rekommunalisierung der Netze eintritt. Die Energieversorgung der Hansestadt oblag einst vollständig den "Hamburgischen Electricitätswerken" (HEW), ehe der kommunale Versorger von der damals regierenden SPD sukzessive an Vattenfall und E.ON verkauft wurde. Die Initiative hat im Juni dieses Jahres mit einer erfolgreichen Unterschriftensammlung die rechtlichen Hürden für die Durchführung eines Volksentscheids gemeistert. Wie sie am 30. November erklärte, hält sie an ihrer Forderung nach einer hundertprozentigen Rekommunalisierung der Netze fest. Der Volksentscheid darüber soll erst 2013 stattfinden. Der Senat behauptet, bei der Ausarbeitung der Beteiligungsverträge sei "darauf geachtet worden, daß ein möglicher Volksentscheid in keiner Weise präjudiziert wird".

Absage an weitergehende Rekommunalisierung der Energieversorgung

Seit den letzten Bürgerschaftswahlen im Februar dieses Jahres kann die SPD in Hamburg wieder mit absoluter Mehrheit regieren. Sie will nun offenbar zusammen mit Vattenfall und E.ON eine echte Rekommunalisierung verhindern. Unklar bleibt, ob der Senat bereits vertraglich auf die Rückkaufoption nach dem Auslaufen der Konzessionsverträge verzichtet hat, was mit Blick auf das erfolgreiche Volksbegehren für den Volksentscheid problematisch wäre. In seiner Mitteilung bezeichnet er aber die jetzt getroffenen Vereinbarungen als "die Alternative sowohl gegenüber dem Verzicht auf eine Beteiligung als auch der vollständigen Übernahme der Netze". Eine vollständige Übernahme der Netze lehnt er ausdrücklich ab, weil sie "weitreichende und unübersehbare negative Folgen für den Haushalt der Stadt" hätte. Der SPD-Senat distanziert sich damit von der Forderung nach einer weitergehenden Rekommunalisierung, die in der Bürgerschaft von den Fraktionen der Grün-Alternativen Liste (GAL) und der Linken unterstützt wird. Zumindest ungewiß ist nun auch die Zukunft des kommunalen Strom- und Gasvertriebs "Hamburg Energie", der im Mai 2009 gegründet wurde, als die GAL noch zusammen mit der CDU regierte (090511).

"Lukratives Weihnachtsgeschenk für Vattenfall"

"Mit dieser Einigung macht der Bürgermeister noch vor der Adventszeit Vattenfall ein lukratives Weihnachtsgeschenk", sagte der GAL-Fraktionsvorsitzende Jens Kerstan. "In der zentralen Frage, ob ein natürliches Monopol von der Stadt oder von privaten Konzernen betreiben werden sollte, hat Herr Scholz sich für die Konzerne entschieden. Schlimmer noch: Er tritt mit dem Fernwärmenetz ein unreguliertes und damit lukratives Monopol endgültig an Vattenfall ab. Damit privatisiert die SPD diesen Bereich der HEW zum zweiten Mal und für immer. Das werden die Fernwärmekunden in Zukunft teuer bezahlen müssen."

Der Verzicht auf die Fernwärmetrasse und viele der Nebenabreden im Bereich der erneuerbaren Energien entsprächen durchaus den Vorstellungen seiner Partei, meinte der GAL-Sprecher weiter. Allerdings halte Vattenfall sich ein Hintertürchen offen, indem das als Alternative geplante Gaskraftwerk von einer erfolgreichen Wirtschaftlichkeitsprüfung abhängig gemacht werde. Es bleibe zudem vollkommen offen, wie die Stadt als Minderheitseignerin die geplanten Investitionen durchsetzen wolle. Mit der Beteiligung von nur 25,1 Prozent könne das nicht gelingen.

"Parlamentarische Mindeststandards untergepflügt"

Die Fraktion der Linken kritisierte vor allem, daß die vom SPD-Senat geschaffenen Fakten "den Volksentscheid ins Leere laufen lassen". Das sei nicht nur schlechter politischer Stil, sondern eine Mißachtung des Parlaments. "Nicht nur die demokratischen Gepflogenheiten im Parlament, auch die Anstandsregeln für die direkte Demokratie werden von der SPD mit Füßen getreten", erklärte die Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn. "Die parlamentarischen Mindeststandards werden von den Sozialdemokraten mit ihrer absoluten Mehrheit untergepflügt."

"Finanzielles Abenteuer"

CDU und FDP können der von der SPD betriebenen "Energiewende" aus ihrer Sicht ebenfalls nichts abgewinnen. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Birgit Stöver, hält es für "äußerst bedenklich und aus unserer Sicht ordnungspolitisch falsch, wenn der Staat Marktteilnehmer ist – egal ob mit 25,1 oder 100 Prozent". Darüber hinaus sei der geplante Rückkauf ein "finanzielles Abenteuer". Die Finanzierung trage sich nur, wenn die historisch niedrigen Zinssätze weiterhin Bestand haben. Die FDP argumentiert ähnlich und sieht "unkalkulierbare Risiken für Hamburg".

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