Oktober 2011

111004

ENERGIE-CHRONIK


Große Verbraucher zahlen kein Netzentgelt – kleine dafür umso mehr

Die neu eingeführte Befreiung bestimmter Großverbraucher von den Netzentgelten haben die übrigen Verbraucher über eine entsprechende Erhöhung der Strompreise zu tragen. Darauf machte am 27. Oktober das ARD-Fernsehmagazin "Monitor" aufmerksam. Zuvor hatte die Bundesnetzagentur am 11. Oktober einen "Sonderkundenaufschlag" auf die Netzentgelte angekündigt, mit dem die durch die Privilegierung der Großverbraucher entfallenden Erlöse kompensiert werden sollen. Er wird die Stromverbraucher im neuen Jahr zusätzlich zur Anhebung der Netzentgelte belasten, die von den Netzbetreibern aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs vorgenommen wird (111003).

Die Bundesnetzagentur schätzt die durch die Befreiung der Großverbraucher entstehenden Einnahmenausfälle auf 500 Millionen Euro jährlich. Der Bund der Energieverbraucher geht dagegen von einer Mehrbelastung der übrigen Verbraucher in Höhe von rund einer Milliarde Euro aus, da etwa 80 Terawattstunden befreit würden, für die sonst ein Netzentgelt von rund 1,2 Cent/kWh zu zahlen gewesen wäre.

Netzentgelte wurden erst halbiert und entfielen dann ganz

Die Begünstigung von Großverbrauchern wurde bereits mit der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) vom 25. Juli 2005 eingeführt: Sie sah in § 19 die Gewährung eines verminderten "individuellen Netzentgelts" vor, wenn die Höchstlast des Letztverbrauchers voraussichtlich erheblich von der zeitgleichen Jahreshöchstlast abweicht. Dieselbe Regelung galt, wenn die Stromabnahme über mindestens 7500 Stunden im Jahr erfolgte und zehn Gigawattstunden überstieg. Das "individuelle Netzentgelt" durfte aber nicht weniger als die Hälfte des normalen Netzentgelts betragen und war von der Regulierungsbehörde zu genehmigen.

Im Juli dieses Jahres kam es dann zu einer Neufassung des § 19 StromNEV, die Großverbraucher grundsätzlich von den Netzentgelten befreit, sofern die Stromabnahme mindestens 7000 Stunden im Jahr erfolgt und mehr als 10 Gigawattstunden beträgt. In der Öffentlichkeit wurde diese Änderung kaum wahrgenommen, da sie Teil des "Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften" vom 26. Juli 2011 war, das zur Umsetzung von EG-Vorschriften mehr oder weniger kleine Änderungen an diversen Gesetzen vornahm, vom Wertpapiergesetz bis hin zum KWK-Gesetz. Eine Änderung der Stromnetzentgeltverordnung war in den insgesamt sieben Artikeln des Gesetzentwurfs zunächst gar nicht vorgesehen. Sie wurde erst nachträglich und kurz vor der Verabschiedung im Bundestag über die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses vom 29. Juni eingefügt. Als Berichterstatter fungierte dabei der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Hempelmann.

"Wirtschaftsausschuß ließ sich vor den Karren der Großindustrie spannen"

Zur Begründung hieß es in der Beschlußempfehlung: "Stromintensive Unternehmen mit einer hohen Bandlast (über 7 000 Benutzungsstunden im Jahr sowie ein Jahresverbrauch größer 10 Gigawattstunden) sollen von den Netzentgelten befreit werden, da sie aufgrund ihrer Bandlast netzstabilisierend wirken. Örtliche Gegebenheiten sollen keine Rolle spielen für die Frage der Befreiung von den Netzentgelten nach § 19 Absatz 2 Satz 2 StromNEV. Zur Vermeidung überproportionaler regionaler Belastungen wird ein bundesweiter Ausgleich installiert."

Für den Bund der Energieverbraucher (BdEV) entbehrt diese Begründung jeder Logik: "Es mutet wie ein schlechter Witz an, dass ausgerechnet die Firmen, die die Netze am intensivsten nutzen, dafür nun nichts mehr zahlen müssen", erklärte der BdEV-Vorsitzende Aribert Peters am 18. Oktober. "Der Wirtschaftsausschuß hat sich vor den Karren der Großindustrie spannen lassen."

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