Juni 2011

110608

ENERGIE-CHRONIK


Italiener kippen Gesetz zum Wiedereinstieg in die Kernenergie

Die italienischen Wähler votierten am 12. und 13. Juni in einer Volksabstimmung mit 94,05 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen das Gesetz zum Wiedereinstieg in die Kernenergie, das Regierungschef Silvio Berlusconi im Juli 2009 mit seinen parlamentarischen Hilfstruppen durchgesetzt hatte (090706). Das Gesetz muß damit rückgängig gemacht werden. Der Ausgang des Referendums wird allgemein als Indiz dafür gewertet, daß Berlusconis Herrschaft in Italien zu Ende geht. Die ihn unterstützende "Lega Nord" scheint sich bereits von ihm und seiner "Popolo della Libertad" abzuwenden.

Bis Fukushima konnten Berlusconi und die Atom-Lobby darauf vertrauen, daß die schon seit längerem angesetzte Volksabstimmung an der vorgeschriebenen Beteiligung von fünfzig Prozent der Wahlberechtigten scheitern werde. Als sich das Ausmaß der Katastrophe abzeichnete, hatten sie die Rückgängigmachung des Gesetzes versprochen und eine einjährige Aussetzung des Atomprogramms verfügt. Trotz dieses taktischen Schachzugs erreichte die Beteiligung an dem Referendum 54,79 Prozent, womit erstmals seit 2001 wieder eine Volksabstimmung gültig war.

Mit ähnlichen Mehrheiten lehnten die Wähler drei weitere Gesetze ab, die ebenfalls Gegenstand der Volksabstimmung waren: Zwei davon zielten auf die Privatisierung der Wasserversorgung. Das dritte Gesetz sollte den in zahlreiche Skandale und Prozesse verstrickten Ministerpräsidenten und seine Minister davor bewahren, sich während ihrer Amtszeit vor Gericht verantworten zu müssen.

Der ehemalige Staatskonzern Enel hat sich an mehr als einem Dutzend ausländischen Reaktoren beteiligt

Auch der Ausstieg Italiens aus der Kernenergie war im November 1987 durch eine Volksabstimmung zustande gekommen. Bei einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent sprachen sich die Wähler damals zu 72 bzw. 80 Prozent gegen den Weiterbetrieb der vier Kernkraftwerke aus, die der staatliche Energiekonzern Enel errichtet hatte. Es handelte sich um die zwischen 1963 und 1978 in Betrieb genommenen Anlagen Latina (bei Latina, 153 MW), Garigliano (bei Caserta, 150 MW), Enrico Fermi (bei Vercelli, 260 MW) und Caorso (bei Piacenza, 860 MW).

Ersatzweise beteiligte sich der italienische Staatskonzern, der mit der Liberalisierung des europäischen Energiemarktes stufenweise privatisiert wurde, an ausländischen Kernkraftwerken. Schon 2001 bot er für den tschechischen Stromversorger CEZ (011205), der damals am Standort Temelin gerade seinen sechsten Reaktor baute (030418). Anfang 2005 wurde die Enel Mehrheitseigentümer des slowakischen Energiekonzern Slovenske Elektrarne (050203), der in Bohunice und Mochovce insgesamt sechs Reaktoren betreibt. Zwei Jahre später übernahm sie mit der spanischen Endesa (070403) auch deren Beteiligungen an sieben der acht spanischen Reaktoren (Almaraz 1 + 2, Asco 1 + 2, Santa Maria de Garona, Trillo 1 und Vandellos 2). Ende 2007 kam dazu noch der Atompakt mit der französischen EDF, der neben einer Beteiligung am Neubau des Reaktors in Flamanville die Option auf fünf weitere solcher Gemeinschaftsunternehmen enthielt (071207).

Auch in Frankreich ist die Mehrheit der Bevölkerung für den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie

In Frankreich ist es mit der Kernkraft-Begeisterung der Bevölkerung ebenfalls nicht so weit her, wie aufgrund der Politik von Regierung und Parteien sowie der konformen Haltung der Medien üblicherweise angenommen wird. Bei einer Meinungsumfrage, die das Institut Ifop im Auftrag der Zeitung "Journal du Dimanche" im Juni durchführte, sprachen sich 62 Prozent der Befragten für die schrittweise Stillegung der insgesamt 58 Reaktoren in den nächsten 25 bis 30 Jahren aus. Auch solche Franzosen, die 2007 im ersten Wahlgang für Nicolas Sarkozy gestimmt hatten, waren zu 59 Prozent für den Ausstieg aus der Kernenergie. Der amtierende Präsident, der oft in Personalunion als oberster Reaktor-Verkäufer des Nuklearkonzerns Areva auftritt (080910), wird deshalb dieses Ergebnis nicht einfach ignorieren können.

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