März 2011

110306

ENERGIE-CHRONIK


Schwarz-gelb verliert Regierungsmehrheit in Stuttgart an grün-rot

Bei den Landtagswahlen am 27. März verloren CDU und FDP ihre bisherige Mehrheit im Landtag von Baden-Württemberg. Der Stimmenanteil der CDU sank von 44,2 auf 39,0 Prozent. Die FDP, die vor fünf Jahren noch 10,7 Prozent erreichte, überwand mit 5,3 Prozent nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde. Zugleich konnten die Grünen ihren Stimmenanteil von 11,7 auf 24,2 Prozent mehr als verdoppeln. Die SPD verringerte ihr Ergebnis von 25,2 auf 23,1 Prozent. Die Linke gelangte mit 2,8 Prozent erneut nicht ins Parlament.

Damit kann die CDU zum ersten Mal seit 58 Jahren in Stuttgart nicht mehr den Regierungschef stellen. Stattdessen wird mit dem Oberstudienrat Winfried Kretschmann zum ersten Mal ein Grünen-Politiker zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt. Ein weiteres Novum ist, daß die SPD in einer Koalition mit den Grünen den schwächeren Partner stellt.

CDU-Spitzenkandidat galt als besonders eifriger Verfechter der Kernenergie

Das für CDU und FDP niederschmetternde Wahlergebnis wurde vor allem durch die Reaktorkatastrophe in Japan (110301), die unglaubwürdige Wende von Bundes- und Landesregierung in der Atompolitik (110303), den umstrittenen Kauf des Energiekonzerns EnBW (110208) und die Vorgänge um den Stuttgarter Bahnhof-Neubau bestimmt. Eine wesentliche Rolle spielte dabei, daß sich der amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) als enragierter Verfechter der Kernenergie gebärdete (100705). Vor einem Jahr hatte Mappus sogar seinem Parteifreund Norbert Röttgen den Rücktritt nahegelegt, weil der Bundesumweltminister nur eine mäßige Verlängerung der KKW-Laufzeiten durchsetzen wollte (100509). Die FDP hat sich als Speerspitze eines neoliberalen Marktradikalismus wie auch als besonders eifriger Taschenträger der Atomlobby noch unbeliebter gemacht. Das für den Südwesten typische liberale Wählerpotential ist der FDP inzwischen weitgehend abhanden gekommen und den Grünen zugeströmt.

Oettingers Abschiebung nach Brüssel hat Erosion der Macht nicht gestoppt

Nach dem Debakel in Nordrhein-Westfalen, wo die Landtagswahl im Mai 2010 ebenfalls stark vom Streit um die Laufzeiten-Verlängerung sowie der Kontroverse um den Kraftwerksneubau Datteln geprägt war (100509), haben Union und FDP damit erneut die Regierungsmehrheit in einem der wichtigsten Bundesländer verloren. In Baden-Württemberg geht der Einschnitt noch erheblich tiefer, weil die Grünen ihren enormen Stimmenzuwachs, soweit er nicht von bisherigen Nichtwählern stammt, hauptsächlich CDU und FDP verdanken. Diese Erosion einer tradierten "bürgerlichen" Machtbasis zeichnete sich schon seit längerem ab. Von der CDU wurde sie freilich der mangelnden Ausstrahlung ihres Ministerpräsidenten Günther Oettinger angelastet, den man deshalb als EU-Energiekommissar nach Brüssel abschob (091113). Dort setzt sich Oettinger inzwischen deutlich erfolgreicher für die Kernenergie ein, als dies seinem Nachfolger Mappus in Stuttgart gelungen ist (110304).

EnBW wird der neuen Regierung noch viel Kopfzerbrechen bereiten

Mit der frisch erworbenen EnBW hinterläßt Mappus der neuen grün-roten Koalition ein heikles Erbe. Der südwestdeutsche Energiekonzern betreibt insgesamt vier Reaktoren in den Kernkraftwerken Neckarwestheim und Philippsburg, mit denen er fast sechzig Prozent seiner Stromerzeugung bestreitet. Kein anderer der vier Konzerne hat einen so hohen Anteil an Kernenerge. Zumindest Neckarwestheim 1 wird die neue Landesregierung stillegen müssen, nachdem dies sogar bereits Mappus angekündigt hatte (110302). Möglicherweise kommt noch der Siedewasserreaktor von Block 1 in Philippsburg hinzu. Diese und andere Eingriffe werden Wert und Ertragskraft der EnBW mindern, so daß die von Mappus versprochene Finanzierung der Zinsbelastung allein aus den Erträgen der EnBW (101201) vollends illusorisch wird. Ferner muß die Landesregierung als Eigentümer künftig für die Preiserhöhungen gerade stehen, die der Energieversorger bisher fast jedes Jahr seinen Kunden abverlangt hat (101102). - Eine gewisse Entspannung des Konflikts könnte allerdings dadurch bewirkt werden, daß die Landesregierung auf die Aufstockung des von der EDF erworbenen Kapitalanteils verzichtet und die Rolle des Mehrheitsaktionärs den von CDU-Lokalpolitikern dominierten OEW überläßt.

In Rheinland-Pfalz spielte die Reaktorkatastrophe keine so große Rolle

Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, die am selben Tag stattfand, konnten die Grünen ebenfalls einen erheblichen Stimmenzuwachs um 10,8 auf 15,4 Prozent verbuchen. Die SPD verschlechterte ihr Ergebnis um 9,8 auf 35,7 Prozent. Dagegen konnte die CDU um 2,5 auf 35,2 Prozent der Stimmen zulegen, während die FDP mit 4,2 Prozent – ein Minus von 3,8 Prozent – nicht mehr in den Landtag gelangte. Die Linke scheiterte mit 3,0 Prozent ebenfalls an der Fünf-Prozent-Hürde.

Die Reaktorkatastrophe und die Laufzeiten-Verlängerung erklären auch hier den Erfolg der Grünen, der zum großen Teil mit den Verlusten der SPD korrespondiert. Im übrigen spielte dieses Thema aber eine geringere Rolle als in Baden-Württemberg, was zum guten Teil damit zu tun haben dürfte, daß in Rheinland-Pfalz seit der Abschaltung von Mülheim-Kärlich im Jahr 1988 (030906) kein einziges Kernkraftwerk in Betrieb ist. Die Abstrafung der FDP schwächte zusätzlich die Position des FDP-Landesvorsitzenden und Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle, der sich just vor den Wahlen mit einer vertraulichen Bemerkung zum atompolitischen Schwenk der Kanzlerin in die Nesseln gesetzt hatte (110305). Unter Brüderles Führung hatte die FDP ab 1991 mit der SPD koaliert, bis diese 2006 die absolute Mehrheit errang. Nun braucht der Mainzer SPD-Ministerpräsident Kurt Beck die Grünen als neuen Koalitionspartner. Brüderle kündigte am 28. März seinen Rückzug vom FDP-Landesvorsitz an.

In Sachsen-Anhalt können CDU und SPD ihre Koalition fortsetzen

Eine Woche vor Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde am 20. März in Sachsen-Anhalt gewählt. In dem ostdeutschen Bundesland gab es bei den großen Parteien CDU, Linke und SPD keine wesentlichen Verschiebungen. Wahrscheinlich kommt es erneut zu einer Koalition aus CDU und SPD, mit der LInken als zweitstärkster Partei in der Opposition. Allerdings setzte die FDP ihren 2006 begonnenen Sinkflug fort und schied aus dem Landtag aus, während es umgekehrt die Grünen erstmals seit 1994 wieder schafften, im Parlament vertreten zu sein. Insofern ist die Reaktorkatastrophe in Japan, die am Wahlsonntag seit einer Woche andauerte, auch an diesem ostdeutschen Landesparlament nicht spurlos vorübergegangen.

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