Januar 2011

110114

ENERGIE-CHRONIK


"Stabilitätsgrenzen des elektrischen Systems bereits punktuell erreicht"

Die Versorgungssicherheit beim Strom ist in Deutschland gegenwärtig sehr hoch. Auch die Kraftwerkskapazitäten sind für die nächsten zehn Jahre ausreichend. Die Anforderungen für die Gewährleistung eines sicheren Systembetriebs werden jedoch in den kommenden Jahren steigen. Die Stabilitätsgrenzen des elektrischen Systems sind bereits heute punktuell zeitweise erreicht. Vor allem in der Regelzone des Transportnetzbetreibers "50Hertz Transmission" (früher Vattenfall) ist seit Jahren eine kontinuierliche Zunahme von Netzstabilisierungs-Maßnahmen nach § 13 EnWG festzustellen. Neben einem zügigen Ausbau der Netze werden deshalb auch die erneuerbaren Energien - die bisher nach § 8 EEG Einspeisungsvorrang genießen - zu Systemdienstleistungen beitragen müssen. Dies sind einige der wichtigsten Schlußfolgerungen im "Monitoring-Bericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der Elektrizitätsversorgung", den das Bundeswirtschaftsministerium am 24. Januar veröffentlichte.

Bericht gibt Schützenhilfe für geplanten Netzausbau

Im Unterschied zum ersten Bericht aus dem Jahr 2008, der sich vor allem mit den notwendigen Kraftwerkskapazitäten befaßte, stellt der nun vorgelegte zweite Bericht die Sicherheit des Netzbetriebs in den Mittelpunkt. Er stärkt die Positionen der Bundesregierung und der Transportnetzbetreiber, wie sie in der neuesten Netzstudie (101101) und in der Erleichterung des Baues von Hochspannungsleitungen durch das "Energieleitungsausbaugesetz" (090506) zum Ausdruck kommen. Nach Ansicht der Gutachter sind "bis zum Jahr 2015 keine strukturellen Engpässe und keine Gefährdung der Versorgungssicherheit zu erwarten, falls die geplanten Ausbaumaßnahmen – insbesondere die Maßnahmen nach dem EnLAG-Bedarfsplan – fristgerecht umgesetzt werden". Die im Energieleitungsausbaugesetz vorgesehenen Maßnahmen seien "unbedingt notwendig und zweckmäßig".

"Neue Transportanforderungen durch Erneuerbare und Stromhandel"

Laut dem Bericht droht eine Überlastung des Netzes infolge des "strukturellen Umbaus der Energieversorgung", falls die vorgesehenen Ausbaumaßnahmen unterbleiben. Früher sei die Stromversorgung durch regionale Lastdeckung geprägt gewesen. Nun wandele sie sich "zu einem System mit zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien, ansteigenden Transportmengen und -entfernungen sowie internationalem Stromhandel". Für diese neuen Transportanforderungen seien die bestehenden Netze nicht ausgelegt. Vor allem der Ausbau der Windenergie an Land und auf See, aber auch die Neuansiedlungen von konventionellen Kraftwerken in Küstennähe würden neue und zusätzliche Übertragungskapazitäten für den Strom erfordern.

Einspeisungsvorrang für EEG-Strom soll entfallen

Zur Zeit würden die notwendigen Systemdienstleistungen für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Stromnachfrage und -erzeugung fast ausschließlich durch konventionelle Kraftwerke und Kernkraftwerke erbracht. Schon heute müßten die Übertragungsnetzbetreiber dabei von den Ausnahmeregelungen nach § 13 EnWG Gebrauch machen, um hinreichend Systemdienstleistungen zur Verfügung zu haben. Mit dem zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien werde deren Erzeugung in bestimmten Situationen die Gesamtlast in Deutschland zeitweise erheblich übersteigen. Es sei deshalb "aus Gründen der Netzstabilität unbedingt erforderlich, daß erneuerbare Energien in einem zunehmenden Maße Systemdienstleistungen erbringen". Faktisch plädieren die Gutachter damit für die Abschaffung des in § 8 EEG verankerten Einspeisungsvorrangs für Strom aus erneuerbaren Energien.

"N-minus-1-Regel" gilt als nicht mehr ausreichend

Der Bericht konstatiert eine zunehmende "Anfälligkeit des elektrischen Systems für im Übertragungsnetz auftretende überregionale Mehrfachfehler". Der Grund dafür seien die wachsenden Entfernungen zwischen Stromerzeugung und -verbrauch sowie die Zunahme der transportierten Strommengen. Um auch in Zukunft überregionale Großstörungen sicher vermeiden zu können, reiche deshalb die sogenannte N-minus-1-Regel nicht mehr aus und müsse um eine Risikobewertung in Bezug auf Mehrfachfehler erweitert werden. Bisher gilt die N-minus-1-Regel als Garant eines ausreichenden Sicherheitsniveaus. Sie heißt so, weil sie als Kriterium für Netzplanung und -betrieb vorschreibt, daß auch beim Ausfall eines wichtigen Netzbetriebsmittels innerhalb einer Regelzone (Freileitung, Transformator) die Grenzwerte für einen sicheren Netzbetrieb eingehalten werden können.

Ein weiteres Problem seien "die zunehmende Kurzfristigkeit der Erzeugung und des Handels sowie die teilweise schlechte Prognostizierbarkeit insbesondere dezentraler Einspeisung". Um darauf rechtzeitig reagieren zu können, müsse der Informationsfluß zwischen Übertragungsnetzbetreibern, nachgelagerten Netzen, Erzeugern und Bilanzkreisen verbessert werden.

Keine Begründung für halbjährige Verzögerung des Berichts

Es handelt sich um den zweiten derartigen "Monitoring-Bericht", den das Ministerium gemäß § 63 Abs. 1 EnWG alle zwei Jahre bis spätestens 31. Juli zu erstellen und unverzüglich der EU-Kommission zu übermitteln hat. Er wurde wie der erste aus dem Jahr 2008 im Auftrag des Ministeriums von der Consulting für Energiewirtschaft und –technik GmbH Aachen (Consentec) in Zusammenarbeit mit dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) und dem Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der RWTH Aachen (IAEW) erstellt. Er darf nicht mit den anderen Berichtspflichten verwechselt werden, die nach § 63 EnWG dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur auferlegt sind und die zum Teil ebenfalls als "Monitoringberichte" bezeichnet werden.

Der Bericht datiert offiziell vom Januar 2011, erschien also mit halbjähriger Verspätung. Die Umweltorganisation Greenpeace verdächtigte deshalb das Ministerium, den Bericht absichtlich verzögert zu haben, weil er wie sein Vorgänger bestätigen werde, daß die Versorgungssicherheit auch ohne Laufzeitenverlängerung für die Kernkraftwerke gesichert wäre (100808). Der nunmehr vorliegende Bericht enthält keine Erklärung, weshalb der gesetzlich vorgeschriebene Termin nicht eingehalten wurde. Auch die begleitende Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums schweigt sich dazu aus. Kritik an der Laufzeitenverlängerung für Kernkraftwerke läßt sich aus ihm aber nicht ableiten (was angesichts der beauftragten Gutachter auch verwundern würde). Im Gegenteil: Dem Bericht zufolge wirkt sich die Laufzeitenverlängerung positiv auf den Netzbetrieb aus und verlängert das bereits 2008 konstatierte ausreichende Reservoir an Kraftwerkskapazitäten bis 2020.

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