Mai 2006

060501

ENERGIE-CHRONIK


Überschuß an Emissionsberechtigungen läßt Preise für CO2-Zertifikate abstürzen

An der Leipziger Strombörse EEX hat der EEX Carbon Index (Carbix) Ende April mit 29,95 Euro pro Tonne CO2 einen neuen Höchststand erreicht, um dann Anfang Mai auf bis zu 11,49 Euro abzustürzen. Ursache des anfänglichen weiteren Preisauftriebs war anscheinend der am 13. April veröffentlichte Entwurf für den Nationalen Allokationsplan 2, der in der zweiten Zuteilungsperiode von 2008 bis 2012 eine Verknappung der kostenlos ausgegebenen Emissionszertifikate um rund drei Prozent vorsieht (060401). Der anschließende Preissturz war dagegen eindeutig eine Reaktion auf Berichte, wonach im Rahmen der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 innerhalb der EU erheblich mehr Emissionszertifikaten ausgegeben wurden als dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Ende Mai pendelte der EEX Carbon Index bei 18 Euro.

Die EU-Kommission bestätigte am 15. Mai, daß in den EU-Staaten für die erste Handelsperiode Emissionsberechtigungen für insgesamt 1.829.476.015 Tonnen CO2 ausgegeben wurde, während 2005 der tatsächliche Ausstoß an CO2 nur 1.785.337.819 Tonnen betrug. Somit ergibt sich eine Differenz von 44 Millionen Emissionsberechtigungen, die von ihren Inhabern beim gegenwärtigen Stand der Emissionen nicht benötigt werden (siehe Tabelle).

Deutschland hat den größten Überschuß an Emissionsberechtigungen

Wie aus diesen EU-Zahlen hervorgeht, hatte Deutschland im Jahr 2005 den absolut höchsten Überschuß an Emissionsrechten (siehe Grafik). Die für die erste Handelsperiode zugeteilte Menge an Zertifikaten überstieg hier den tatsächlichen Bedarf um 21,4 Millionen Tonnen CO2 oder 4,5 Prozent. Noch großzügiger war Frankreich bei den Zuteilungen: Hier betrug der Überschuß 19,4 Millionen Tonnen CO2 und lag um 14,8 Prozent über dem tatsächlichen Bedarf. Ebenfalls Überschüsse im zweistelligen Millionenbereich ergaben sich für Tschechien und Finnland. Ferner haben die Niederlande, Belgien, Dänemark, Schweden, Ungarn, die Slowakei und die drei baltischen Staaten deutlich mehr Zertifikate zugeteilt, als im Jahr 2005 dem tatsächlichen Bedarf entsprach. Prozentual am höchsten war die Überversorgung mit CO2-Zertifikaten in Litauen (73,7 Prozent).

Großbritannien fühlt sich düpiert

Dagegen fehlten der englischen Industrie Zertifikate für 33 Millionen Tonnen CO2 oder im Umfang von 13,6 Prozent, um ihre tatsächlichen Emissionen abdecken zu können. Die englische Regierung hat damit die Vorgabe einer möglichst knappen Zuteilung der Zertifikate überaus konsequent befolgt, muß sich nun aber düpiert fühlen, da die meisten anderen EU-Staaten nicht mitgezogen haben. Die Politik der Verknappung, die den Handel mit Emissionsberechtigungen überhaupt erst sinnvoll macht, unterstützten ansonsten nur Irland (85,9 %), Spanien (89,5 %), Italien 96,3 %) und Österreich (97,9 %).

"Dem Teufelskreis der Einpreisungspraxis endgültig einen Riegel vorschieben"

Für den Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) wird damit offenbar, daß die Stromversorger "eine gar nicht bestehende, sondern nur angenommenen CO2-Zertifikats-Knappheit" zum Anlaß genommen haben, um "den Stromkunden Finanzkraft im Umfang von einigen Milliarden Euro zu entziehen". Dem "Teufelskreis der Einpreisungspraxis der kostenlos zugeteilten CO2-Zertifikate" müsse nun endgültig ein Riegel vorgeschoben werden, forderte VIK-Geschäftsführer Alfred Richmann am 4. Mai. Sonst sei eine Wiederholung des CO2-bedingten Strompreisanstiegs "so sicher wie das Amen in der Kirche". Der derzeitige Preis für Grundlastlieferungen an der Leipziger Börse liege immer noch bei 49 Euro/MWh und damit mehr als doppelt so hoch wie etwa die Vollkosten für 80 Prozent des von RWE produzierten Stroms, die das Unternehmen selbst mit 24 Euro/MWh beziffere.

Als die Leipziger Strombörse EEX Ende Oktober 2004 erstmals einen Referenzpreis für den europaweiten Handel mit Emissionszertifikaten ermittelte, lag dieser bei 8,75 Euro pro Tonne CO2 (041005). Er kletterte dann bis Juli 2005 auf nahezu 30 Euro, um sich dann im Bereich zwischen 20 und 30 Euro einzupendeln (051116). Wie die obere Grafik zeigt, gingen Anfang 2006 die Preise pro Tonne CO2 am Spotmarkt der EEX nochmals deutlich nach oben, um am 19. April mit 29,70 einen Rekordstand zu erreichen. Unmittelbar danach stürzte der "Intraday Auction Price", der seit 2006 als EEX Carbon Index (Carbix) firmiert, wegen des Bekanntwerdens eines Überangebots von CO2-Emissionszertifikaten auf bis zu 11,49 Euro ab.

Die untere Grafik zeigt die Entwicklung der Zertifikatspreise (blau) im selben Zeitraum, aber mit erweiterter Skalierung, um einen Vergleich mit der Anzahl der gehandelten Emissionsrechte in Tausend (gelb) und der Anzahl der Handelsgeschäfte (lila) zu ermöglichen. Es fällt auf, daß bei den gehandelten Mengen teilweise enorme Ausschläge auftreten, während sich die Preiskurve eher gleichmäßig nach oben entwickelt. Da die Akteure des Börsengeschehens reichlich mit Zertifikaten zur Abdeckung des eigenen Bedarfs ausgestattet wurden, dürfte es sich dabei hauptsächlich um spekulative Geschäfte handeln, die vor allem das Hochtreiben des CO2-Preises bezwecken. Das gelingt allerdings nur solange, wie die Preisbildung abseits der Realität bzw. des tatsächlichen Bedarfs erfolgt: Als dann im Frühjahr 2006 der Überschuß an Emissionszertifikaten bekannt wird, korrespondiert der Absturz des CO2-Preises deutlich mit einem Rekordstand an Handelsgeschäften und gehandelten Emissionsrechten, weil offenbar alle versuchen, die wertlos gewordenen Emissionszertifikate noch schnell loszuwerden, bevor ihr Preis gegen Null tendiert.

Überschuß an CO2-Zertifkaten entstand größtenteils durch überhöhte Zuteilungen

Der Überschuß an Emissionsberechtigungen, der sich im Jahr 2005 für Deutschland auf 21 Millionen Tonnen CO2 belief (siehe oben), ist nur zum kleineren Teil auf tatsächliche Minderungen der CO2-Emissionen zurückzuführen. Dies ergibt sich aus einer Mitteilung des Bundesumweltamtes vom 15. Mai 2006. Demnach entfallen nur 9,1 Millionen Tonnen CO2 auf solche Anlagen, deren Betreiber die Zuteilung aufgrund der "historischen Emissionen" gemäß § 7 des Zuteilungsgesetzes 2007 (ZuG 2007) erhalten haben. Der größere Teil des Überschusses in Höhe von 12 Millionen Tonnen CO2 entstand aus überhöhten Zuteilungen, die durch einzelne Bestimmungen des Zuteilungsgesetzes ermöglicht wurden. Vor allem nennt das Umweltbundesamt hier die sogenannte Optionsregel in § 7 Abs. 12: Sie erlaubte es den Anlagenbetreibern, für bestehende Anlagen nicht die tatsächlichen Emissionen in der Vergangenheit anzugeben, sondern wie für Neuanlagen (§ 11) eine Prognose der zu erwartenden Emissionen. Großen Spielraum für die Beantragung einer überhöhten Anzahl von Zertifikaten eröffneten ferner die Sonderregelungen nach § 7, Abs. 10, 11(mangelnde Kapazitätsauslastung in der Vergangenheit) und § 8 (Inbetriebnahme neuer Anlagen in den Jahren 2003 bis 2004). Zum Überschuß trugen zusätzlich jene Bestimmungen bei, die nach § 14 einen Bonus für Kraft-Wärme Kopplung gewähren, nach § 15 die Stillegung von Kernkraftwerken honorieren oder nach § 10 die Zuteilung für Neuanlagen als Ersatzanlagen regeln. Anteil an dem kräftigen Plus hatte ferner die Sonderregelung in § 12, die "frühzeitige Emissionsminderungen" belohnt und damit vor allem den modernisierten Kraftwerkspark in Ostdeutschland von Abstrichen am "Erfüllungsfaktor" verschonte.

Nach § 8 Abs. 4 des Zuteilungsgesetzes kann jener Teil des Überschusses an Emissionszertifikaten, der unter Ausnutzung der Optionsregel durch überhöht angesetzte CO2-Prognosen entstanden ist, zurückgefordert werden. Dasselbe gilt gemäß § 9 Abs. 1 für die vorzeitige Einstellung des Betriebs und § 14 Abs. 5 für KWK-Anlagen, die unzureichend ausgelastet wurden. Allerdings hat die EU-Kommission dieses Bestimmungen von der Genehmigung des deutschen Zuteilungsplans ausdrücklich ausgenommen, weil sie eine nachträgliche Anpassung der Zertifikatsmengen bedeuten würden, was nicht zulässig sei (040704). Die Bundesregierung hat deshalb Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erhoben (040905). Sie betonte, daß diese Klauseln nur der Vermeidung von Überallokation und Mißbrauch dienen sollen. Es gehe nicht um eine nachträgliche Ausgabe von zusätzlichen Zertifikaten, zumal das Zuteilungsgesetz in § 4 Abs. 4 eine Obergrenze von 495 Millionen Tonnen CO2 verbindlich festlege. Es gehe vielmehr darum, daß ein Betreiber nicht Emissionsrechte behalten dürfe, die er mit falschen Zahlen erschwindelt hat. Nach Angaben des Bundesumweltamtes müssen die Anlagenbetreiber Emissionsberechtigungen für mindestens zehn Millionen Tonnen CO2 zurückgeben, wenn der Europäische Gerichtshof die entsprechenden Bestimmungen des Zuteilungsgesetzes für rechtens erklärt.

Wie diese Statistik des Umweltbundesamtes zeigt, wurde die Optionsregel von den Kraftwerksbetreibern am weitaus stärksten strapaziert: Unter den 519 Anlagen aus allen Tätigkeiten, die nach § 7 Abs. 12 ZuG 2007 ihre Zuteilung aufgrund von Produktionsprognosen erhalten hatten, erreichen Feuerungsanlagen der Energiewirtschaft den größten Überschuss an Emissionsberechtigungen.