Oktober 1996

961006

ENERGIE-CHRONIK


"Autonome" verüben neue Serie von Anschlägen auf Bahnstrecken

Gewalttätige Gegner der Kernenergie verübten im Oktober erneut eine Reihe von Anschlägen auf Bahnstrecken, um die Bahn zu zwingen, die geplanten Transporte von radioaktiven Abfällen mit Castor-Behältern ins Zwischenlager Gorleben zu verweigern. Am 7.10. blockierten sie acht verschiedene Hauptstrecken in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg, wodurch bundesweit mehrere hundert Züge zum Teil erhebliche Verspätungen erlitten. In einem fünfseitigen Brief an Nachrichtenagenturen bekannten sogenannte Autonome Gruppen ihre Täterschaft und kündigten weitere Anschläge an. Die Bundesanwaltschaft leitete daraufhin Ermittlungen wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung ein, weil sie von einer zentralen Steuerung der Anschläge ausgeht (taz, 9.10. u. 11.10.).

Lokführer erlitt Augenverletzungen

In der Nacht zum 23.10. kam es zu zwei weiteren Anschlägen auf die Bahnstrecken Hamburg - Bremen und Hamburg - Kiel, wobei zum erstenmal ein Mensch verletzt wurde. Die Strecken mußten teilweise für mehrere Stunden gesperrt werden. Auch hier verwendeten die Täter wieder sogenannte Wurfanker bzw. Hakenkrallen aus Baustahl, die sie über die Oberleitung warfen, worauf sich die Stromabnehmer der Lokomotiven in dem Hindernis verfingen. So riß auf der Strecke nach Bremen die Lok eines Personenzugs die Oberleitung auf 400 Meter Länge herunter, bevor sie zum Stehen kam. Ein heruntergerissener Eisenträger aus der Halterung der Oberleitung durchschlug dabei das Frontfenster eines Gegenzuges, der in diesem Moment die Unfallstelle passierte. Durch die Splitter erlitt der Lokführer Augenverletzungen (Welt, 24.10.).

Keiner der Täter wurde bisher gefaßt

Allein in Niedersachsen wurden von September 1994 bis Anfang Oktober dieses Jahres insgesamt 27 Wurfanker-Anschläge auf den Bahnverkehr verübt. Wie ein Sprecher des Landeskriminalamtes am 8.10. weiter mitteilte, hat die Polizei bisher keinen einzigen der Täter gefaßt. Es sei der Polizei kaum möglich, in die streng abgeschirmten inneren Kreise militanter autonomer Gruppierungen vorzudringen (Hannoversche Allgemeine, 9.10.; siehe auch 960919).

Verfassungsschutz rechnet auch mit Anschlägen auf Kernkraftwerksbetreiber

Zu den besonderen "Zielobjekten" der militant-kriminellen Kernkraftgegner gehören auch Firmen, die Kernkraftwerke herstellen oder betreiben. Dies geht aus einer Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz hervor, die am 25.10. bekannt wurde. Die Zahl der sogenannten Autonomen werde auf etwa 6000 geschätzt. Häufig handele es sich dabei um Jugendliche, die in Ausbildung oder Studium gescheitert seien. Bei den Akteuren handele es sich offenbar nicht in erster Linie um fanatische Gegner der Kernkraft. Vielmehr sähen diese linksradikalen Gruppen in der Kernenergie ein Instrument des Staates für die Herrschaft über Menschen. In der neuen Szene-Zeitschrift "Der Wurfanker" werde genau beschrieben, wie die Anschläge auf die Bahnstrecken ausgeführt werden sollen (Hannoversche Allgemeine, 26.10.).