Dezember 1995

951209

ENERGIE-CHRONIK


Schwerer Störfall zwingt Japan zur Abschaltung seines Schnellen Brüters

Im japanischen Kernkraftwerk Monju, das als "Schneller Brüter" konstruiert ist, hat sich am 8.12. ein schwerer Störfall ereignet, der die Brüter-Technologie nunmehr auch in Japan in Frage stellen könnte. Das Kernkraftwerk befand sich erst seit 29. August 1995 am Netz. Es wurde mit 43 Prozent seiner Leistung von 280 MW betrieben, als um 19.47 Uhr ein Alarmsignal ertönte und die Instrumente auf überhöhte Temperatur im Kühlsystem aufmerksam machten. Als Ursache wurde der Austritt flüssigen Natriums aus einem Sekundärkreislauf festgestellt, das bei einer Temperatur um 500 °C mit der Luft reagierte und unter Bildung weißer Rauchschwaden zu Natriumoxid verbrannte. Daraufhin wurde ab 20.00 Uhr die Reaktorleistung schrittweise gesenkt und der Reaktor um 21.20 Uhr per Hand abgeschaltet. Um 00.15 Uhr wurden aus dem defekten Kühlkreislauf etwa 200 Kubikmeter Natrium in den dafür vorgesehenen Lagertank entleert. Neben der Leckstelle fanden sich etwa drei Kubikmeter ausgetretenes Natrium in erkaltetem, festem Zustand.

Keine radioaktive Verseuchung der Umwelt

Nach Ansicht von Fachleuten war die Kühlung des Reaktors nicht in Gefahr. Die Anlage ist dreikreisig ausgeführt: Ein primärer Natriumkreis überträgt die Wärme auf einen sekundären Natriumkreis, der nicht radioaktiv belastet ist. Dieser gibt dann die Wärme an einen Wasserdampfkreis ab, der in konventioneller Weise die Energie für die Stromerzeugung liefert. Aus Sicherheitsgründen sind alle drei Kreise dreifach vorhanden. Der Störfall betraf einen der insgesamt drei Kreise des sekundären Natriumkreislaufs, so daß die beiden anderen noch intakt waren. Da das Leck nicht im primären, sondern im sekundären Natriumkreis auftrat, erfolgte durch den Austritt des Kühlmittels auch keine radioaktive Verseuchung der Umwelt. Grundsätzlich könnte ein Natriumbrand aber auch den radioaktiven Teil der Anlage gefährden. Eine zusätzliches Risiko liegt darin, daß das austretende Natrium mit Wasser in Berührung kommen und dadurch explosionsartig reagieren könnte.

Als Ursache des Natriumaustritts wird eine undichte Schweißnaht vermutet. Die Reparatur des defekten Brüters dürfte Monate, wenn nicht gar Jahre dauern. Wie Forschungsminister Urano am 11.12. nach einer Besichtigung der Anlage erklärte, will Japan weiterhin an der Brüter-Technologie festhalten. Zuvor hatte die japanische Kommission für Nuklearsicherheit den Natriumaustritt als "sehr schwerwiegend" bezeichnet und eine regierungsunabhängige Untersuchung gefordert (FR, 11.12. u. 12.12.; FAZ, 12.12.; Spiegel, 18.12.).

In Deutschland war schon 1974 mit dem Bau eines natriumgekühlten Schnellen Brüters begonnen wurden, der wie die Anlage in Monju eine Leistung von 280 MW haben sollte. Der Prototyp bei Kalkar am Niederrhein wurde aber nie vollendet, was zum großen Teil mit den Problemen bei der Natriumkühlung zusammenhing. Auf dem Gelände bei Kalkar soll jetzt ein Freizeitpark errichtet werden (siehe 951006). Nachdem sich Großbritannien aus der Brüter-Technologie zurückgezogen hat (siehe 921117) und Frankreich seinen störanfälligen "Superphénix" nur noch zu Forschungszwecken betreiben will (siehe 940312), ist Japan das einzige Land, das noch auf die Brüter-Technologie setzt. Die Anlage in Monju war bereits vor ihrer Inbetriebnahme in die Schlagzeilen geraten, als sie mit Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague bestückt wurde, das ein Frachtschiff unter weltweiten Protesten von Frankreich nach Japan brachte (siehe 921118).

Die Frankfurter Allgemeine (12.12.) kommentierte: "Der Störfall in dem japanischen Reaktor Monju zeigt wieder einmal, wie schwer es ist, die Technik des Schnellen Brutreaktors zu beherrschen. Auch in Frankreich ist das vielfach sichtbar geworden. ... Für einen kommerziellen Betrieb ist das keine gute Grundlage."

In der tageszeitung (13.12.) hieß es: "Im Jahr 2010 wollten japanische Atomtechniker ihren ersten kommerziellen Großbrüter bauen. Nun holen sie die Erfahrungen nach, die andere lange hinter sich haben. Wer nicht hören will, muß fühlen. Das Brüter-Konzept ist nicht nur ökonomisch, es ist auch technisch gescheitert. Das heiße Metall Natrium taugt weniger als Kühlmittel denn als zuverlässiges Abschaltsystem für den Brüter-Irrweg insgesamt."