November 2016

161106

ENERGIE-CHRONIK


 


Die vier schweizerischen KKW-Standorte liegen in den Kantonen Aargau (Leibstadt, Beznau), Solothurn (Gösgen) und Bern (Mühleberg). Das damit verbundene Risiko scheint die unmittelbar Betroffenen aber nicht übermäßig zu schrecken, denn in allen drei Kantonen überwogen die Nein-Stimmen mit 56 bis 63 Prozent. Für einen schnelleren Atomausstieg votierten nur die französischsprachigen Kantone der Westschweiz sowie Basel-Stadt und Basel-Land.

Schweizer lehnen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie ab

In der Schweiz ist am 27. November eine Volksinitiative für den schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie gescheitert, da sich insgesamt nur 45,8 Prozent der Stimmbürger für eine entsprechende Änderung der Bundesverfassung aussprachen. Allerdings war die Wahlbeteiligung mit 45 Prozent recht niedrig. Dies könnte den Widerspruch zu einer Umfrage des Medienkonzerns Tamedia erklären, die zwei Wochen zuvor unter mehr als 15.000 Bürgern durchgeführt wurde und eine voraussichtliche Mehrheit von 57 Prozent ergab. Andere Umfragen hatten zumindest eine Patt-Situation prognostiziert.

Drei der fünf Reaktoren wären bereits 2017 abgeschaltet worden


Die Stromerzeugung der Schweiz stammt zu 56,6 Prozent aus Wasserkraft und zu 38,4 Prozent aus Kernenergie. Sonstige erneuerbare Energien und konventionell-thermische Kraftwerke spielen nur eine geringe Rolle. Die Gegner eines schnelleren Atomausstiegs argumentieren damit, daß der weitere Ausbau der Erneuerbaren Zeit brauche. Andernfalls müsse das Defizit durch Stromimporte gedeckt werden.

Die Volksinitiative wollte den Artikel 90 der Bundesverfassung, der die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Kernenergie dem Bund überträgt, durch ein generelles Verbot des Betriebs von Kernkraftwerken ersetzen. Eine neue Übergangsbestimmung zu diesem Artikel hätte dafür gesorgt, daß der Reaktor Beznau 1 ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid und die vier anderen Reaktoren 45 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme abgeschaltet worden wären. Da Mühleberg und Beznau 2 schon seit 1971 in Betrieb sind (siehe Tabelle), hätte dies ebenfalls deren unverzügliche Stillegung bedeutet. Nur die Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt hätten noch bis 2024 bzw. 2029 produzieren können.

Auffällig war, daß die Volksinitiative vor allem in der deutschsprachigen Schweiz die Mehrheit nicht erreichte. Hier liegen auch alle fünf Reaktoren des Landes (siehe Karte). Nur die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land sowie die französischsprachigen Kantone der Westschweiz votierten für einen schnelleren Ausstieg.

Auf kantonaler Ebene ergab sich eine noch größere Ablehnung

Um erfolgreich zu sein, hätte die Volksinitiative nicht nur landesweit mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erringen müssen, sondern auch die Mehrheit der "Stände". Damit ist die Mehrheit der Kantone gemeint. Die insgesamt 26 Kantone verfügen indessen nur über 23 Stimmen, weil sechs Kantonen jeweils nur eine halbe Stimme zusteht. Dazu gehören beispielsweise die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land, in denen die Volksinitiative Erfolg hatte. Vor allem haben die Stimmen, mit denen das "Ständemehr" erreicht wird, je nach Bevölkerungszahl der Kantone ein ganz unterschiedliches Gewicht. Die bevölkerungsschwachen Kantone der Innerschweiz sorgten so für ein "Ständemehr" von 18 gegen 5 Stimmen. Das entspricht einer Ablehnung von 78,3 Prozent auf Kantonsebene, obwohl landesweit der Anteil der Nein-Stimmen nur 54,2 Prozent betrug (siehe Tabelle).

Blindlings für die Kernenergie ist nur die Rechtspartei SVP

Die Schweizer Regierung hat schon im Mai 2011 beschlossen, die fünf Reaktoren am Ende ihrer Betriebsdauer stillzulegen, anstatt sie durch neue Kernkraftwerke zu ersetzen. Sie ging dabei von einer sicherheitstechnischen Betriebsdauer von fünfzig Jahren aus (110504). Seitdem dürfen die Schweizer Kernkraftwerke im Prinzip solange laufen, wie sie als sicher gelten. Ob und wieweit diese Voraussetzung zutrifft, ist allerdings heftig umstritten. Als besonders riskant gelten die Reaktordruckbehälter in Beznau und Mühleberg. Für Mühleberg hat der Betreiber BKW inzwischen die Stillegung zum Jahresende 2019 beantragt (160317).

Die Volksinitiative wurde von Grünen und Sozialdemokraten unterstützt, während die Mehrheit des Parlaments und die Bundesregierung einen schnelleren Ausstieg ablehnten. Die Ablehnungsfront verläuft aber nicht einheitlich. Blindlings für die Kernenergie ist lediglich die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei (SVP). Die wirtschaftsnahe Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) nimmt dagegen eine schwankende Haltung ein. Die katholisch geprägte Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), der die Energieministerin Doris Leuthard angehört, hat sich grundsätzlich für den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen. Im Rahmen dieser "Energiestrategie 2050" hat das Parlament am 30. September ein erstes Maßnahmenpaket verabschiedet, um die Energieeffizienz zu erhöhen und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern. Zugleich ging es natürlich auch darum, der Volksinitiative für einen schnelleren Ausstieg den Wind aus den Segeln nehmen. Gegen die Gesetzesvorlage stimmten die SVP und etliche FDP-Abgeordnete.

Nach dem Scheitern der Ausstiegsinitiative dürften Grüne und Sozialdemokraten nun ebenfalls die "Energiestrategie 2050" unterstützen, zumal die SVP den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie durch ein Referendum zu Fall bringen will und es auch innerhalb der FDP solche Bestrebungen gibt. Allerdings sieht es nicht so aus, als ob die Kernenergie-Fans die notwendige finanzielle Unterstützung für einen großangelegten Propagandafeldzug erhalten würden. In maßgeblichen Kreisen der schweizerischen Wirtschaft gilt die Kernenergie ebenfalls als Auslaufmodell. Die beiden Energiekonzerne Alpiq und Axpo, welche die fünf Reaktoren betreiben, wären diese sogar lieber heute als morgen los. Sie befürchten aber, das eine Stillegung noch teurer käme als der Weiterbetrieb. Sie üben sich deshalb weiter in Bekenntnissen zur angeblichen Unverzichtbarkeit des Atomstroms, während sie hinter den Kulissen über Lösungen verhandeln, die ihre Bilanzen möglichst wenig belasten (161107).

 


Betreiber und Eigentümer der fünf schweizerischen Reaktoren

Name Typ MW (netto) Betreiber Eigentümer* am Netz seit
Beznau 1 DWR 365 Axpo Axpo (100 %) 17.7.1969
Beznau 2 DWR 365 Axpo Axpo (100 %) 23.10.1971
Gösgen DWR 1010 KKW Gösgen-Däniken AG (Alpiq) Alpiq (40 %), Axpo (25 %), EWZ (15 %), CKW (12,5 %), EWB (7,5 %) 2.2.1979
Leibstadt SWR 1220 KKW Leibstadt AG (Axpo) Axpo (39,1 %), Alpiq (32,4 %), CKW (13,6 %), BKW (9,5 %), AEW (5,4 %)

24.5.1984

Mühleberg SWR 373 BKW BKW (100 %) 1.7.1971
*)
Alpiq entstand 2009 aus der Fusion der Aare Tessin AG (Atel) mit der Electricité Ouest Suisse (EOS) (090107)
Axpo entstand 2001 aus der Fusion der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) mit den Elektrizitätswerken der Kantone Zürich, Aargau, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell, Glarus und Zug (020504)
AEW = AEW Energie AG (Aarau)
BKW = BKW FMB Energie AG (Bern)
CKW = Centralschweizerische Kraftwerke AG
EWB = Energie Wasser Bern
EWZ = Elektrizitätswerk der Stadt Zürich

 

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