August 2016

160801

ENERGIE-CHRONIK


Förderung von L-Gas schrumpft schneller als die Umstellung auf H-Gas vorankommt

Die schrittweise Umstellung von L-Gas auf H-Gas (siehe 160802) gestaltet sich problematischer und teuerer als bisher angenommen wurde. Der Hauptgrund ist das sinkende Aufkommen an L-Gas, das schneller zurückgeht als die Umstellung auf H-Gas vorankommt. Einen dramatischen Akzent setzt dabei die Drosselung der niederländischen Förderung, die nach den Erdbeben in der Provinz Groningen von 40 auf 30 Milliarden Kubikmeter reduziert wurde (150605). Ende Juni hat die niederländische Regierung eine weitere Kürzung auf 24 Milliarden Kubikmeter verfügt. Die zunächst problemlos funktionierende Konvertierung von H-Gas zu L-Gas wird dadurch im Handelsgebiet von Net Connect Germany schon seit 2015 übermäßig strapaziert und verursacht erhebliche Zusatzkosten. Es gibt aber auch Indizien für einen eventuellen Mißbrauch der bestehenden Möglichkeiten zur Konvertierung von H-Gas zu L-Gas durch einflußreiche Marktakteure.

Marktgebiete von NCG und Gaspool umfassen beide Gasqualitäten


Seit Oktober 2011 gibt es in Deutschland nur noch die Gas-Marktgebiete von Net Connect Germany (rot) und Gaspool (blau). Die Zuständigkeitsbereiche der beiden Marktverantwortlichen sind aber geografisch nicht eindeutig abgrenzbar, sondern überlagern sich teilweise (lila).
Grafik: BNA

Seit Oktober 20111 gibt es in Deutschland nur noch zwei Marktverantwortliche für den Gashandel: Der eine ist die Net Connect Germany GmbH & Co. KG (NCG), in der sich sechs Fernleitungsnetzbetreiber mit rund 500 nachgelagerten Verteilnetzen zusammengeschlossen haben. Der andere ist die Gaspool Balancing Services GmbH mit fünf Fernleitungsnetzbetreibern als Gesellschaftern und etwa 400 nachgelagerten Verteilnetzen (siehe Tabelle). Beide Marktverantwortliche sind für H-Gas wie für L-Gas zuständig. Sie haben diese technisch unterschiedlichen und separat voneinander betriebenen Netze aber in jeweils einem Marktgebiet zusammengefaßt, so daß beide Gasarten qualitätsübergreifend gehandelt werden können.

Konvertierung einer Gasqualität zur anderen kostet Extra-Entgelt

Das bedeutet, daß ein L-Gas-Kunde sich auch mit H-Gas beliefern lassen kann oder umgekehrt. Voraussetzung ist allerdings ein Mengenausgleich durch den Marktgebietsverantwortlichen, der den unterschiedlichen Brennwert beider Gasarten berücksichtigt. Dieser Ausgleich kann technisch oder kommerziell erfolgen. Die Einzelheiten regelt eine von der Bundesnetzagentur erlassene "Festlegung zur Einführung eines Konvertierungssystems in qualitätsübergreifenden Handelsgebieten", die seit 1. Oktober 2012 in Kraft ist. In Branchenkreisen wird sie als "Konni Gas" bezeichnet.

Nach dieser "Konni Gas" erhalten die beiden Marktgebietsverantwortlichen NCG und Gaspool ein "Konvertierungsentgelt" für die qualitätsübergreifenden Gasmengen, die in einem Bilanzkreis anfallen. Die Höhe dieses Konvertierungsentgelts ist jährlich so abzuschmelzen, daß es zum Ende des vierten Gasjahres am 1. Oktober 2016 ausläuft. Falls das Entgelt dauerhaft nicht ausreicht, kann der Marktgebietsverantwortliche zusätzlich eine "Konvertierungsumlage" verlangen.

Anstatt auszulaufen, wird die "Konni Gas" nun verlängert und wahrscheinlich neugefaßt

Zunächst schien dieses System ganz gut zu funktionieren, was wohl damit zusammenhing, daß die "Konni Gas" kaum genutzt wurde. Im Laufe des letzten Jahres kam es aber im Marktgebiet von NCG zu einem massiven Anstieg der Nutzung des Konvertierungssystems und dadurch zu unverhältnismäßig hohen Kosten. Aus diesem Grund und zur Abwendung möglicher Versorgungsengpässe bei L-Gas haben die beiden Marktverantwortlichen NCG und Gaspool bei der Bundesnetzagentur beantragt, die "Konni Gas" bis 31. März 2017 weiter verwenden zu dürfen, anstatt sie mit Beginn des neuen Gasjahres am 1. Oktober 2016 auslaufen zu lassen. Darüber hinaus drängten sie auf eine "Konni Gas 2.0", die den veränderten Umständen Rechnung trägt und das Konvertierungsentgelt dauerhaft verankert.

Die Bundesnetzagentur teilte daraufhin Anfang Mai mit, daß sie die Beibehaltung der "Konni Gas" für die Konvertierung von H-Gas zu L-Gas bis Ende März 2017 tolerieren und auch die Notwendigkeit einer neuen, dauerhaften Regelung prüfen werde. Somit entfällt ab 1. Oktober das Entgelt lediglich für die Konvertierung von L-Gas zu H-Gas, die offenbar kaum genutzt wird und keine Probleme bereitet. Dagegen kann für die Konvertierung von H-Gas zu L-Gas vorläufig weiterhin ein Entgelt in Höhe der mittlerweile erreichten Obergrenze erhoben werden, die bei NCG 0,453 Euro/MWh und bei Gaspool 0,441 Euro/MWh beträgt. Aufgrund einer bereits im Februar ergangenen Anordnung der Bundesnetzagentur darf NCG zudem die genannte Obergrenze bis zu einer Höhe von 1,811 Euro/MWh überschreiten, "um Anreize zu einer gasqualitätsspezifischen Bewirtschaftung der Bilanzkreise zu setzen".

Bei vielen Gasversorgern stimmt nachträglich die Kalkulation nicht mehr

Die nachträgliche Änderung der "Konni Gas" dürfte wohl unumgänglich zu sein, um einem sonst drohenden Mangel an L-Gas vorzubeugen. Andererseits wirft sie aber auch Probleme auf, weil viele Gasversorger ihre Beschaffungs- und Lieferverträge zu einer Zeit abgeschlossen haben, als noch mit einer völligem Abschmelzung des Konvertierungsentgelts bis 1. Oktober 2016 zu rechnen war. Nun stimmt die ursprüngliche Kalkulation nicht mehr. "Jede Abweichung von diesem Abschmelzungspfad bringt erhebliche Mehrkosten seitens unserer Kundenlieferverpflichtungen mit sich, sodaß diese höchst unrentabel werden", klagte zum Beispiel die Nürnberger N-Ergie bei einer Branchenumfrage, die von der Bundesnetzagentur Anfang des Jahres gestartet wurde. Damit schwinde sukzessive der Wettbewerb auf dem Markt für L-Gas. Begünstigt würden dagegen jene privilegierten Marktteilnehmer, die über gesonderte Importverträge für L-Gas verfügen. Wie die auf die Vertretung kommunaler Klienten spezialisierte Anwaltskanzlei Becker-Büttner-Held wissen ließ, gibt es bereits die ersten (schiedsgerichtlichen) Auseinandersetzungen um die Weitergabe von Konvertierungsentgelt und -umlage entlang der Lieferkette.

Hoher Anteil an Regelenergie zur Deckung des L-Gas-Bedarfs wirkt verdächtig

Im Zusammenhang damit stellt sich die Frage, ob der Anstieg der Konvertierungskosten auch durch die mangelnde Transparenz des über die Börse abgewickelten Marktgeschehens bzw. durch mißbräuchliche Arbitragegeschäfte verursacht oder zumindest gefördert worden sein könnte. Zum Beispiel könnten Transportkunden durch gezielte Veränderung ihres Transportverhaltens künstlich Netzungleichgewichte erzeugen, um sodann dem Marktgebietsverantwortlichen die zum Ausgleich erforderliche Regelenergie anzubieten. Dafür spricht vor allem der hohe Anteil an kommerzieller Konvertierung, der bei NCG durch den Einsatz von Regelenergie entstanden ist. Die Bundesnetzagentur hatte diese Möglichkeit ebenfalls im Blick, als sie von den beiden Marktverantwortlichen im Mai eine detaillierte Analyse der Hintergründe verlangte und insbesondere von NCG wissen wollte, ob "ein Fehlverhalten oder sogar ein mißbräuchliches Verhalten einzelner Marktakteure feststellbar ist".

Die deutschen Gas-Fernleitungsnetzbetreiber*

Unternehmensbezeichnung Vorgänger/Eigentümer Netzlänge Kilometer Mitarbeiter Anzahl Grenz-
übergangs-
punkte
Ausspeise-
punkte


TWh/a****


Net Connect Germany (NCG)**

Open Grid Europe GmbH
Kallenbergstraße 5
45141 Essen
vormals E.ON Ruhrgas, 110806, 120507 12.000 1.650 17 ca 1.000 ca 679
Thyssengas GmbH
Kampstraße 49
44137 Dortmund

vormals RWE Transportnetz Gas, 101204

4.236 283 5 1.092 67
terranets bw GmbH
Am Wallgraben 135
70565 Stuttgart
vormals Gasversorgung Süddeutschland, 140707 1.934 210 3 194 70
bayernets GmbH
Poccistraße 7
80336 München
vormals Bayerngas GmbH 1.333 124 4 155 103
GRTgaz Deutschland GmbH
Zimmerstraße 56
10117 Berlin
vormals Gaz de France Deutschland Transport 1.161 30 3 16 199
Fluxys TENP GmbH
Elisabethstraße 11
40217 Düsseldorf
vormals TENP KG, 100204 1.010 11 3 22 88


Gaspool***

ONTRAS Gastransport GmbH
Maximilianallee 4
04129 Leipzig
vormals VNG Verbundnetz Gas, 090315 7.000 312 4 447 148
Gasunie Deutschland Transport Services GmbH
Pelikanplatz 5
30177 Hannover
vormals BEB Transport, 071120, Dong Energy Pipelines, 090315 3.627 249 7 183 214
GASCADE Gastransport GmbH
Kölnische Straße 108-112
34119 Kassel

vormals Wingas Transport, 121101, (gehört Wintershall/Gazprom)

2.400 350 7 81 134
Nowega GmbH
Nevinghoff 20
48147 Münster
vormals Erdgas Münster Transport 1.568 33 0 105 24
Gastransport Nord GmbH
Cloppenburger Straße 363
26133 Oldenburg
vormals EWE Netz 322 36 1 76 28


Weitere FNB-Mitglieder

OPAL Gastransport GmbH & Co. KG
Emmerichstraße 11
34119 Kassel
(gehört Wintershall/Gazprom) 090306 470 7 2 nur markt-
gebiets-
intern
0
Lubmin-Brandov Gastransport GmbH
Ruhrallee 80
45136 Essen
(hält für E.ON 20 % an Opal) 080907 470 3 2 1 k.A.
Fluxys Deutschland GmbH Elisabethstraße 11
40217 Düsseldorf
(hält NEL-Beteiligung von Fluxys) 131011 440 5 1 nur markt-
gebiets-
intern
0
NEL Gastransport GmbH
Kölnische Straße 108-112
34119 Kassel
(gehört Wintershall/Gazprom) 131011 440 5 1 1 171
jordgasTransport GmbH*****
Promenade Am Alten Binnenhafen 6
26721 Emden
vormals StatoilHydro Deutschland, 090315 (betreibt NETRA) 408 5 1 0 0


*    Mitglieder der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas e.V. (FNB)
**   Gesellschafter der NetConnect Germany GmbH & Co. KG
***  Gesellschafter der Gaspool Balancing Services GmbH
****  jährliche Ausspeisungsmenge an Letztverbraucher und Weiterverteiler
***** Jordgas
kooperiert mit Gaspool, ohne Gesellschafter zu sein

Quelle: Entwurf Netzentwicklungsplan Gas 2016

 

Binnen fünf Jahren verringerte sich die Anzahl der Gas-Marktgebiete von 19 auf 2

Aufgrund des 2005 neugefaßten Energiewirtschaftsgesetzes (050601) hatte die Bundesnetzagentur zunächst die Bildung von 19 Handelszonen für H-Gas oder L-Gas durchgesetzt – gegen den Widerstand der Branche, die 28 Marktgebiete für notwendig hielt. Davon entfielen vier auf E.ON Ruhrgas und jeweils drei auf RWE und Wingas. Die übrigen neun Netzbetreiber besaßen jeweils ein eigenes Marktgebiet (060603).

Bis 1. Oktober 2007 verringerte sich die Anzahl dieser Marktgebiete auf 15, da E.ON, RWE und Wingas ihre insgesamt fünf Gebiete für H-Gas zusammenlegten (070311, 070511). Zwei Jahre später waren es nur noch sechs, da ENI, GRT und GVS sich dem gemeinsamen H-Gas-Gebiet von E.ON und bayernets anschlossen, das unter der Bezeichnung "Net Connect Germany" seit 1. Oktober 2008 existierte (080109), während VNG, Wingas und Gasunie/Statoil/Dong ihre H-Gas-Gebiete in die Neugründung "Gaspool" einbrachten. Ferner verringerte sich die Zahl der L-Gas-Gebiete weiter, da EWE, Erdgas Münster und Gasunie unter dem Druck der Bundesnetzagentur die "Aequamus" als gemeinsame Tochter für das Bilanzkreismanagement gründeten (090911).

Damit gab es in Deutschland ab 1. Oktober 2009 nur noch sechs Marktgebiete, wobei Net Connect Germany, Gaspool und Thyssengas über jeweils ein Gebiet für H-Gas und L-Gas verfügten. Die im August 2010 erlassene Gasnetzzugangsverordnung sah jedoch eine weitere Reduzierung auf nur noch zwei Marktgebiete vor, die bis spätestens 2013 zu verwirklichen war (100811). Diese Forderung wurde bereits zum 1. Oktober 2011 erfüllt: Zunächst gab die Thyssengas ihre eigenständige Rolle auf und trat Net Connect Germany bei. Anschließend vereinigten die beiden noch verbliebenen Marktverantwortlichen Net Connect Germany und Gaspool ihre bislang noch separaten Handelsgeschäfte mit H-Gas und L-Gas in jeweils einem einzigen Marktgebiet.

 

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