Juli 2016

160707

ENERGIE-CHRONIK


Rückabwicklung der Netzentgelt-Befreiungen wird durch rückwirkende Gesetzesänderung vermieden

Die Rückabwicklung des bisherigen Umlageverfahrens für die Netzentgelt-Befreiungen der Großstromverbraucher, die aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs notwendig geworden wäre (160616), hat die Große Koalition durch eine Gesetzesänderung vermieden, die sie rückwirkend dem Energiewirtschaftsgesetz einfügen ließ. Wie sich jetzt herausstellte, erfolgte diese Änderung im Rahmen des "Strommarktgesetzes", das der Bundestag kurz vor der Sommerpause unter so großem Zeitdruck verabschiedete, daß den Abgeordneten eine ausreichende Prüfung des Gesetzentwurfs überhaupt nicht mehr möglich war (160604).

Dem bundesweiten Umlageverfahren fehlte genauso die Rechtsgrundlage wie der Totalbefreiung der Großstromverbraucher von den Netzentgelten

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hatte am 12. April das seit 2011 praktizierte Umlageverfahren gekippt, mit dem die Kosten der damals neu eingeführten Totalbefreiung der Großstromverbraucher von den Netzentgelten bundesweit gleichmäßig auf die kleineren Stromverbraucher umgelegt wurden. Er begründete dies damit, daß es für dieses bundesweite Umlageverfahren ebensowenig eine gesetzliche Grundlage im Energiewirtschaftsgesetz gegeben habe wie für die mittlerweile wieder abgeschaffte Totalbefreiung.

Aufgrund eines Urteils des Oberlandesgerichts Düsseldorf und unter Druck der EU-Kommission (130303) hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2013 diesen Nulltarif wieder gestrichen und durch einen extrem hohen Netzentgelt-Nachlaß von achtzig bis neunzig Prozent ersetzt (130714). Das dazugehörige Umlageverfahren war aber unverändert beibehalten worden, obwohl es im Zusammenhang mit der Totalbefreiung eingeführt wurde, um die teilweise sehr starken Belastungen, die es auf regionaler Ebene für die übrigen Stromverbraucher gehabt hätte, auf ein bundesweites Mittelmaß zu senken.

Bundesregierung darf nun per Verordnung regeln, wie sie um die Rückabwicklung herumkommt

Mit einer Neuformulierung von § 24 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 5 EnWG sowie in § 118 Abs. 9 EnWG wird nun die fehlende Rechtsgrundlage im Energiewirtschaftsgesetz nachträglich hergestellt (siehe Übersicht). Die Bundesregierung wird ermächtigt, den ganzen Schlamassel, der sich aus der Ungültigkeit des bisher praktizierten Umlageverfahrens zu ergeben drohte, durch Erlaß einer Verordnung in den Griff zu bekommen und so die überaus aufwendige Rückabwicklung des bisherigen Umlageverfahrens zu vermeiden.

Es handelt sich jedoch um rückwirkende Gesetzesänderungen, was mehr als ein Schönheitsfehler ist, weil nachträgliche Korrekturen des geltenden Rechts verfassungsrechtlich nur in sehr engen Grenzen zulässig sind. Bedenklich ist aus Sicht der Stromverbraucher auch, wie damit eine weitgehende Befreiung der Großindustrie von den Netzentgelten zementiert wird, die gar nicht weit von einer Totalbefreiung entfernt ist.

Der Paragraph 24 EnWG ermächtigt die Bundesregierung zur Regelung von Netzzugangsbedingungen, Entgelten für den Netzzugang sowie zur Erbringung und Beschaffung von Ausgleichsleistungen per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats. In Satz 1 Nr. 3 geht es dabei um die Gewährung jener "individuellen Netzentgelte" für Großstromverbraucher, die unter der schwarz-gelben Koalition zum Nulltarif ausgewalzt wurde. In der neuen Fassung ermächtigt der Passus die Bundesregierung nun zusätzlich zur Regelung, "wie Erstattungspflichten der Transportnetzbetreiber für entgangene Erlöse von Betreibern nachgelagerter Verteilernetze, die aus individuellen Netzentgelten für die Netznutzung folgen, ausgestaltet werden können und wie die daraus den Transportnetzbetreibern entstehenden Kosten als Aufschlag auf die Netzentgelte anteilig auf die Letztverbraucher umgelegt werden können". Ferner läßt sich die Bundesregierung durch eine Änderung in Satz 2 Nr. 5 ausdrücklich zur Gewährung eines Super-Rabatts für Großstromverbraucher ermächtigen, der das Netzentgelt auf höchstens 0,05 Cent bzw. 0,025 Cent pro Kilowattstunde beschränkt.

Wirtschaftsausschuß sieht sich innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen

Damit diese Änderungen nicht erst mit dem "Strommarktgesetz" in Kraft treten, sorgt eine weitere Änderung der "Übergangsregelungen" in § 118 Abs. 9 dafür, daß sie rückwirkend zum 1. Januar 2012 gelten. Solche rückwirkenden Gesetzesänderungen sind nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 17. Dezember 2013 (1 BvL 5/08) nur dann zulässig, wenn sie geltendes Recht nachträglich "klarstellend präzisieren". Der Wirtschaftsausschuß des Bundestags betonte deshalb in seiner Beschlußempfehlung, daß damit kein neues Recht geschaffen werde. Vielmehr werde "der gesetzgeberische Wille, der bereits in dem damaligen Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 2011 zum Ausdruck kam, mit der vorgesehenen Ergänzung nochmals bekräftigt". Eine Rückwirkung der neu erlassenen Regelung sei verfassungsrechtlich zulässig, "da sich ein schutzwürdiges Vertrauen von Netznutzern und Letztverbrauchern darauf, daß kein anteiliger Aufschlag auf die Netzentgelte erfolgen würde, nicht bilden konnte".

 

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