Juli 2016

160704

ENERGIE-CHRONIK


 

Für den dreimonatigen Stillstand der beiden Kernkraftwerke Isar 1 (links) und Unterweser (rechts) wollte E.ON von den Ländern Bayern und Niedersachsen sowie dem Bund gesamtschuldnerisch eine Entschädigung von 3,2 Millionen Euro. Beide Kernkraftwerke wurde mit Inkrafttreten des novellierten Atomgesetzes (110601) am 6. August 2011 ohnehin endgültig abgeschaltet.

E.ON scheitert mit Schadenersatzklage wegen des "Moratoriums"

Ebenso wie die EnBW (160404) ist jetzt auch E.ON mit dem Versuch gescheitert, aus dem rechtswidrigen "Moratorium", mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima eine dreimonatige Abschaltung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke erzwang (siehe Hintergrund), nachträglich noch einen Anspruch auf Schadenersatz herauszuschlagen. Am 4. Juli wies das Landgericht Hannover die Klage zurück, die E.ON vor knapp zwei Jahren gegen die Länder Niedersachsen und Bayern sowie die Bundesregierung eingereicht hatte, weil die Kernkraftwerke Unterweser bzw. Isar 1 abgeschaltet worden waren (141002). Schon in der mündlichen Verhandlung am 28. April hatte das Gericht die Schlüssigkeit der E.ON-Klage bezweifelt, weil der Energiekonzern es seinerzeit unterließ, die Stillegungsverfügungen anzufechten (160404). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Energiekonzern verlangte 382,2 Millionen Euro für den Stillstand von zwei Kernkraftwerken

E.ON wollte für den erzwungenen Ausfall der Stromproduktion im KKW Unterweser vom Land Niedersachsen und der Bundesrepublik gesamtschuldnerisch mit 228.427.912,52 Euro nebst Zinsen entschädigt werden. Im Fall des KKW Isar 1 sollten das Land Bayern und die Bundesrepublik gesamtschuldnerisch 153.786.724,67 Euro nebst Zinsen zahlen. Zusätzlich zu diesen 382,2 Millionen Euro wollte E.ON einen Haftungsanspruch für sämtliche weitere Schäden durchsetzen, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Einstellung des Leistungsbetriebes der Kernkraftwerke entstanden.

CDU-Regierungen sollen aus wahltaktischen Gründen einen abgestimmten Gesamtplan verfolgt haben

Die E.ON-Anwälte warfen den CDU-geführten Regierungen der beiden Länder und des Bundes vor, daß die vorläufigen Betriebseinstellungen rechtswidrig gewesen seien und sie damit ihre Amtspflichten verletzt hätten. Außerdem hätten die Beklagten von Anfang an einen Gesamtplan mit dem Ziel verfolgt, die sieben ältesten Kernkraftwerke erst vorläufig und dann endgültig stillzulegen. Hintergrund seien wahltaktische Gründe gewesen. Es sei ihnen nur darum gegangen, die Zeit bis zur 13. Atomgesetz-Novelle zu überbrücken und eine öffentlich akzeptierte Begründung für die Abschaltung zu geben.

E.ON unterließ die Anfechtung der Stillegungsverfügungen angeblich aus Angst vor Politik und Medien

Andererseits konnten und wollten die Anwälte nicht bestreiten, daß E.ON gegen die Stillegungsverfügungen vom 17. März 2011 überhaupt nichts unternommen hatte, obwohl deren Anfechtung vor dem Verwaltungsgericht möglich gewesen wäre. Sie begründeten dies unter anderem damit, daß ein vorläufiger Stopp der Stillegungen durch die Anfechtungsklage nicht zumutbar gewesen sei, weil die Stilllegung der Kernkraftwerke politisch gewollt gewesen sei. Von dem Energiekonzern habe nicht verlangt werden können, sich gegen die fast einmütige Haltung der Politik und der medialen Berichterstattung zu stellen. Durch diese öffentliche Prangerwirkung sei eine Zwangslage entstanden, die es E.ON unzumutbar gemacht habe, gegen das Moratorium rechtlich vorzugehen.

Bund und Länder schieben sich wechselseitig die Verantwortung zu

Die Beklagten bestritten eine Amtspflichtverletzung sowie einen Gesamtplan zur Durchsetzung des Moratoriums, obwohl der von der CDU-geführten Bundesregierung am 14. März 2011 gefaßte Stillegungsbeschluß am folgenden Tag mit den CDU-Ministerpräsidenten der betroffenen Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein abgestimmt und von den Atomaufsichtsbehörden dieser Länder bis zum 18. März über entsprechende Anordnungen exekutiert worden war (110302). Zugleich schoben sich die beiden Länder und der Bund wechselseitig die unmittelbare Verantwortung für die Durchführung des Stillegungsbeschlusses zu.

Nach § 839 BGB hat E.ON den Anspruch auf Schadenersatz verwirkt

Die 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover begründete ihre Abweisung der E.ON-Klage mit § 839 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wonach die Ersatzpflicht nicht eintritt, "wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden". Die Klägerin hätte deshalb Anfechtungsklage gemäß § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erheben müssen. Diese Anfechtungsklage hätte gemäß § 80 VwGO aufschiebende Wirkung gehabt, da die Bescheide nicht mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen waren. E.ON hätte somit die Kernkraftwerke nicht herunterfahren müssen oder zumindest sofort wieder hochfahren dürfen. Zu einer Ausnutzung dieses "Suspensiveffektes" sei die Klägerin im Hinblick auf ihre Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB auch verpflichtet gewesen. Die Gefahr erheblicher und risikobehafteter Aufwendungen der Klägerin zur Schadensvermeidung sei nicht ersichtlich. Sie hätte vielmehr nur ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit weiter nachgehen müssen, wobei ihr die dadurch erzielten Gewinne unabhängig von der späteren Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügungen zugestanden hätten.

E.ON wußte schon immer, daß die Kernenergie in Deutschland umstritten ist

Eine Unzumutbarkeit der Ausnutzung des Suspensiveffekts ergebe sich auch nicht aus dem Einwand, die Stilllegung der Kernkraftwerke sei politisch gewollt gewesen, weshalb der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke von der Klägerin als besonders in der öffentlichen Wahrnehmung stehendes Unternehmen nicht habe verlangt werden können. Die Nutzung der Kernenergie sei seit jeher in Deutschland umstritten und dieser Umstand der Klägerin von Anfang ihrer geschäftlichen Tätigkeit an bekannt gewesen.

Keine Hinweise auf eine verschwörerische "Gesamtmaßnahme"

Ebensowenig komme eine Haftung unter dem Gesichtspunkt eines angeblich unzulässigen Gesamtplans bzw. "Gesamtmaßnahme" in Betracht. Die diesbezügliche Abstimmung zwischen den Beklagten sei nicht über die ihnen durch die Verfassung zugewiesene Aufgabe zur Staatsleitung hinausgegangen. Sie habe keine Grundrechtspositionen der Klägerin beeinträchtigt, die durchaus in der Lage blieb, den Rechtsschutz für ihre bestandskräftig genehmigten Anlagen in Anspruch zu nehmen.

 

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