April 2016

160412

ENERGIE-CHRONIK


Titisee-Neustadt muß Stromnetzkonzession neu ausschreiben

Die Gemeinde Titisee-Neustadt im Schwarzwald muß die Konzession für ihr Stromverteilnetz neu ausschreiben. In einem jetzt bekanntgewordenen Urteil bestätigte der Bundesgerichtshof ein entsprechende Verfügung des Bundeskartellamtes vom Januar 2015. Die Stadt hatte gegen diesen Beschluß Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt, war aber im Juli vorigen Jahres abgewiesen worden. Mit der jetzt ergangenen höchstinstanzlichen Entscheidung bekräftigt der Bundesgerichtshof seine restriktive Rechtsprechung, die es Kommunen nur in sehr engen Grenzen ermöglicht, die anstehende Neuvergabe von Konzessionen für Strom- oder Gasnetze zur Rekommunalisierung ihrer Energieversorgung zu nutzen (Beschluß des Kartellsenats vom 26.1.2016, KVZ 41/15).

Seit vier Jahren wird das Netz wieder in kommunaler Regie betrieben

Die Schwarzwaldgemeinde hatte ihre Stromversorgung 1983 für rund zwölf Millionen Mark verkauft. Als der Konzessionsvertrag mit der EnBW-Tochter Energiedienst GmbH Ende 2011 auslief, nutzte sie diese Gelegenheit zur Rekommunalisierung des Netzbetriebs. Mit Unterstützung der benachbarten Elektrizitätswerke Schönau (EWS) gründete sie eigene Stadtwerke und erteilte diesen im Bieterverfahren den Zuschlag. Anstelle der Energiedienst GmbH betreibt deshalb seit Frühjahr 2012 die neu gegründete Energieversorgung Titisee-Neustadt GmbH (EvTN) das Stromverteilnetz.

Gesellschafter dieser EvTN sind zu sechzig Prozent die Stadt Titisee-Neustadt, zu dreißig Prozent die Schönauer EWS und zu zehn Prozent eine lokale "Bürgergenossenschaft". Die rekommunalisierte Stromversorgung funktioniert reibungslos. Allerdings zeigten sich etliche Mitglieder der Bürgergenossenschaft enttäuscht darüber, daß die erwarteten Gewinnausschüttungen vorerst ausgeblieben sind.

Bundeskartellamt will kommunales Eigeninteresse bei Konzessionsvergaben nicht gelten lassen

Die EnBW-Tochter Energiedienst GmbH wollte diesen weiteren Verlust eines Konzessionsgebiets indessen nicht hinnehmen und beschwerte sich beim Bundeskartellamt. Die Behörde befand daraufhin im Januar 2015, daß die Konzessionsvergabe wiederholt werden müsse. Die Auswahlkriterien und deren Gewichtung bei der Konzessionsvergabe seien einseitig auf die kommunale EvTN zugeschnitten gewesen und hätten die EnBW-Tochter als einzigen Mitbewerber diskriminiert. So seien weder die preisgünstige Versorgung noch deren Effizienz oder die Versorgungssicherheit im Kriterienkatalog berücksichtigt worden. Zugleich sei eine ganze Reihe von Auswahlkriterien unzulässig gewesen. Als Beispiele nannte das Bundeskartellamt "Einflußnahme der Gemeinde auf die Netzgesellschaft", "Möglichkeit des Einstiegs in den Stromvertrieb", "Erzielung von Synergien für den Gemeindehaushalt" oder"möglichst geringe Belastung des Gemeindehaushalts".

Die Schwarzwaldgemeinde sah dagegen in dieser Sichtweise einen Angriff auf das im Grundgesetz-Artikel 28 garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung und verwies auf die diesbezügliche Kommunalverfassungsbeschwerde, die sie mit Blick auf die zu erwartende Intervention des Bundeskartellamts im Dezember 2014 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat (141215). Indessen wollten weder das Oberlandesgericht Düsseldorf noch der Bundesgerichtshof dieser Argumentation folgen. Sie bezweifelten sogar, ob die Kommunalverfassungsbeschwerde überhaupt zulässig sei.

"Kartellrechtliches Regime der Konzessionsvergabe ist am Gesetzgeber vorbei entstanden"

Die Gemeinde Titisee-Neustadt erhob ihre Verfassungsbeschwerde bereits vor der endgültigen Entscheidung des Bundeskartellamts, weil sie sich keine Illusionen über deren Inhalt sowie den Ausgang des anschließenden Rechtsstreits machte. "Das Bundeskartellamt wird dieser Argumentation aber angesichts der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht folgen", schrieb sie in der Begründung. "Auch der ordentliche Rechtsweg ist aussichtlos. Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist die einzige und letzte Möglichkeit für die Beschwerdeführerin, die ihr von Verfassung wegen zustehenden Rechte zu verteidigen."

Grundsätzlich richtet sich die Verfassungsbeschwerde der Stadt gegen das "kartellrechtliche Regime der Konzessionsvergabe", wie es über die Kartell- und Verwaltungsgerichte in die Rechtsprechung gelangte und 2013 auch höchstrichterlich abgesegnet wurde (131208). Das so entstandene Gewohnheitsrecht sei am Gesetzgeber vorbei entstanden. Es installiere "ein kategorisches Primat des Wettbewerbs", das verfassungsrechtlich nicht zulässig sei, weil damit das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ausgehebelt werde. Ein derart gravierender Eingriff in verfassungsmäßige Rechte hätte zumindest vom Gesetzgeber ausdrücklich beschlossen werden müssen, argumentiert die Stadt.

Die Beiläufigkeit, mit der das Oberlandesgericht Düsseldorf und der Bundesgerichtshof sogar die Zulässigkeit der erhobenen Kommunalverfassungsbeschwerde bezweifeln, unterstreicht diese Warnung vor einem durch Behörden- und Gerichtsentscheidungen entstandenen Gewohnheitsrecht. Es wäre nun in der Tat die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts oder des Gesetzgebers, dem im Grundgesetz verankerten Recht auf kommunale Selbstverwaltung wieder zu klaren Konturen zu verhelfen.

Konzessionsgebiet der EnBW-Tochter bröckelt schon seit den neunziger Jahren

Schon in den neunziger Jahren war der Energiedienst GmbH bzw. ihrem Vorläufer Kraftwerke Rheinfelden (KWR) die Gemeinde Schönau abhanden gekommen, als die dortigen "Stromrebellen" in einer bundesweit beachteten Aktion die EWS gründeten und damit die Kommunalisierung der Stromversorgung auf genossenschaftlicher Basis erreichten (960308). Ab 2012 verlor sie in gleich sechs Gemeinden die Konzessionen für das Stromnetz. Vier davon sicherte sich der Konkurrent Badenova (120112). Zwei weitere Konzessionen gingen an die neugegründeten Stadtwerke Müllheim-Staufen (090413) und an die Energieversorgung Oberes Wiesental (EOW) der Gemeinde Todtnau.

In Müllheim-Staufen und Todtnau betreibt die Energiedienst GmbH dennoch bis heute bzw. erneut das Stromnetz, weil es ihr im Wege der Rückverpachtung übertragen wurde. In Müllheim-Staufen ist dies allerdings nur als Übergangslösung gedacht, damit sich die Stadtwerke bis 2018 auf ihr neues Aufgabengebiet besser vorbereiten können (150115). In Todtnau hatte dagegen die kommunale EOW ab 2012 tatsächlich den Netzbetrieb übernommen. Die Rückverpachtung an die früheren Konzessionsinhaber Energiedienst (Strom) bzw. Badenova (Gas) erfolgte erst mit Beginn dieses Jahres. Als Begründung nannte die EOW den "erheblich gestiegenen Aufwand, um ein Gas- oder Stromverteilnetz marktgerecht und wirtschaftlich zu betreiben". Die Energiedienst GmbH ist mit 24 Prozent an der EOW beteiligt.

 

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