April 2016

160401

ENERGIE-CHRONIK


 


Nach dem Erwerb der Vattenfall-Braunkohlekraftwerke plant EPH als nächsten großen Coup die Übernahme der slowakischen Kernkraftwerke Bohunice und Mochovce. Ein entsprechender Handel mit dem italienischen Energiekonzern Enel ist bereits vereinbart. Er kommt aber nur dann komplett zustande, wenn die beiden umstrittenen Blöcke 3 und 4 in Mochovce (auf diesem Foto rechts) in Betrieb gehen dürfen.
Foto: Enel

Vattenfall verschenkt Braunkohle-Kraftwerke und zahlt noch ein hohes Aufgeld

Der schwedische Vattenfall-Konzern unterzeichnete am 18. April eine Vereinbarung zum Verkauf seiner sämtlichen deutschen Braunkohlekraftwerke und der dazugehörigen Tagebaue an den tschechischen Energiekonzern EPH und dessen Finanzpartner PPF Investments. Die Transaktion soll nach ihrer Billigung durch die schwedische Regierung bis Ende August abgeschlossen werden. Der vereinbarte Kaufpreis wurde nicht mitgeteilt. Nach Sachlage kann er aber nur symbolischer Art sein. Faktisch verschenkt Vattenfall sein Braunkohlegeschäft und zahlt obendrein noch ein Aufgeld von 1,6 Milliarden Euro, das die mitübernommenen Schulden und Rückstellungen für die Rekultivierung der Tagebaue in Höhe von 1,9 Milliarden weitgehend abdeckt.

EPH erwirbt 13 Kraftwerks-Blöcke und fünf Tagebaue, hat aber kein Interesse an den sieben Pumpspeicherkraftwerken


"Es hat eine gesunde Entwicklung gegeben, aber wir haben auch viel Geld investiert", erklärte Vattenfall-Chef Magnus Hall auf die Frage, ob der vor 15 Jahren erfolgte Einstieg in die deutsche Braunkohle (010506) ingesamt ein Verlustgeschäft gewesen sei. "Wenn wir jetzt mit diesem Verkauf die Bücher schließen, sehen wir, daß die Investitionen unsere Rentabilitätsvorgaben erreicht haben."

Der Verkauf umfaßt insgesamt 13 Braunkohle-Blöcke an den Standorten Jänschwalde, Boxberg, Schwarze Pumpe und Lippendorf mit einer Gesamtleistung von 7.592 Megawatt netto (siehe 150902). Hinzu kommen die Tagebaue Jänschwalde, Nochten, Welzow-Süd und Reichwalde sowie der kürzlich stillgelegte Tagebau Cottbus-Nord.

An den sieben Pumpspeicherkraftwerken, die Vattenfall in Verbindung mit dem Braunkohlegeschäft wahlweise mit angeboten hat (siehe 150902), zeigten die Tschechen kein Interesse. Diese Anlagen sollten ursprünglich auch nicht verkauft werden. Sie waren erst in das Paket gelangt, nachdem ein anderer Interessent signalisiert hatte, daß der Erwerb des Braunkohlegeschäfts in dieser Kombination attraktiver sein könnte.

Ende mit Schrecken anstelle eines Schreckens ohne Ende

Wie es in der Pressemitteilung von Vattenfall heißt, übernimmt der Käufer EPH das Braunkohlegeschäft einschließlich aller Anlagen, Verbindlichkeiten und Rückstellungen. Die Aktiva enthalten Barmittel in Höhe von 15 Milliarden Schwedische Kronen (1,65 Mrd. Euro). Die Verbindlichkeiten und Rückstellungen – unter anderem für Rekultivierungen – umfassen insgesamt 18 Milliarden Schwedische Kronen (1,98 Mrd. Euro). Im Verkauf nicht inbegriffen sind Termingeschäfte im Umfang von 9 Milliarden Schwedischen Kronen (0,99 Mrd. Euro), die Vattenfall zur Absicherung der Großhandelspreise für die Braunkohleverstromung abgeschlossen hat.

Summa summarum werde sich so der Verkauf in der Vattenfall-Bilanz mit einem Verlust von 22 bis 27 Milliarden Schwedischen Kronen niederschlagen, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Das entspricht 2,4 bis 3 Milliarden Euro. Trotzdem sei dieses Verlustgeschäft in der gegenwärtigen Situation die beste Lösung: "Würde Vattenfall die Braunkohlesparte behalten, wären die negativen Auswirkungen auf die Bilanz von Vattenfall angesichts der prognostizierten Großhandelspreise für Strom noch größer." Auf gut deutsch: Vattenfall entscheidet sich für ein Ende mit Schrecken anstelle eines Schreckens ohne Ende.

Zumindest in Berlin und Hamburg bleibt Vattenfall weiter präsent

Vattenfall betonte, daß die Aufgabe des Braunkohlegeschäfts nicht den Rückzug aus Deutschland bedeute. Deutschland bleibe für den schwedischen Konzern ein wichtiger Markt. Neben den ostdeutschen Wasserkraftwerken mit insgesamt 2.880 MW verfüge man in Berlin und Hamburg weiterhin über die Fernwärmeversorgung und insgesamt rund drei Millionen Vertriebskunden sowie in Berlin über ein 81.000 Kilometer langes Verteilnetz. Hinzu kämen 300 Megawatt an installierter Windkraft und Handelsaktivitäten.

Die starke Präsenz in Berlin und Hamburg verdankt der Vattenfall-Konzern den früheren kommunalen Stromversorgern Bewag und HEW, die er gleich zu Beginn geschluckt hatte, als er sich in Deutschland als "vierte Kraft" neben E.ON, RWE und EnBW zu positionieren begann (051113, 010401). Inzwischen hat er in Hamburg allerdings stark an Terrain verloren (140111), und auch in Berlin sind seine Tage als Stromnetzbetreiber gezählt (160318).

Der neue Eigentümer hat erst nach fünf Jahren unbeschränkte Handlungsfreiheit

Der Vattenfall-Vorstandsvorsitzende Magnus Hall zeigte sich erfreut, "einen anerkannten neuen Eigentümer für das Braunkohlegeschäft und seine etwa 7.500 erfahrenen und motivierten Mitarbeiter gefunden zu haben". Der tschechische EPH-Konzern sei in Deutschland bereits aktiv und habe seine Kompetenz im Bereich des Braunkohlegeschäfts unter Beweis gestellt.

Dennoch wollten die Schweden nicht auf gewisse Vorsichtsmaßnahmen verzichten: Während der ersten drei Jahre nach dem Verkauf dürfen keine Dividenden an den neuen Eigentümer gezahlt, Rückstellungen aufgelöst oder ähnliche vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden. In den folgenden zwei Jahren ist die Gewinnabschöpfung vertraglich auf eine betriebsübliche Rendite begrenzt.

Hinter EPH stehen Finanzmogule aus Tschechien und der Slowakei

Der Energiekonzern Energeticky a Prumyslovy Holding (EPH) ist nicht unbedingt das, was man als grundsolide bezeichnen könnte. Irritierend wirkt schon, wie die beteiligten Gesellschafter sich hinter Firmen verschanzten, die auf Zypern angesiedelt waren oder es noch sind. Im März 2012 verhängte die EU-Kommission gegen die EPH-Holding und die an ihr beteiligte EP Investment Advisors eine Geldbuße von insgesamt 2,5 Millionen Euro, weil sie Beamte der Kommission bei einer Nachprüfung behindert hatten, die im November 2009 in den Prager Geschäftsräumen durchgeführt wurde. Nach Schätzungen des tschechischen Wirtschaftsblatts "Ekonom" war das Unternehmen 2014 bei einem Umsatz von knapp 3,7 Milliarden Euro mit über fünf Milliarden Euro verschuldet.

EPH entstand 2009 als Gemeinschaftsgründung mehrerer Finanzmogule aus Tschechien und der Slowakei. Der heutige Haupteigentümer und Konzernchef Daniel Kretinsky hält seine Beteiligung inzwischen nicht mehr über eine Firma in Zypern, sondern eine Adresse in Luxemburg. Mit seinen Heizkraftwerken ist der Konzern in Tschechien der größte Lieferant von Wärme und der zweitgrößte Stromerzeuger. Von der Energie Baden-Württemberg bekam er im September 2010 im Wege eines Tauschgeschäfts deren 24,3 Prozent am Prager Fernwärmeversorger Prazska teplarenska (PT), wodurch er seine Beteiligung auf 73 Prozent ausbauen konnte (100913). Anfang 2013 übernahm er ferner für insgesamt 2,6 Milliarden Euro die Beteiligungen von E.ON und GDF Suez am slowakischen Gasversorger Slovensky Plynarensky Priemysel (SPP) (130107).

Schon jetzt verfügt EPH über die Mibrag und das Helmstedter Revier

Außerhalb der früheren Tschechoslowakei hat sich der EPH-Konzern vor allem in Deutschland engagiert, wo ihm seit 2012 der zweitgrößte ostdeutsche Braunkohleverstromer Mibrag zu hundert Prozent gehört. Bei ihrer Privatisierung durch die Treuhand war die Mibrag zunächst an ein angloamerikanisches Konsortium verkauft worden (931204). Die beiden US-Unternehmen, die zuletzt jeweils die Hälfte der Anteile hielten, reichten diese dann 2009 an ein Konsortium weiter, das aus dem tschechischen Staatskonzern CEZ und dem slowakischen Finanzunternehmen J & T Investment Advisors bestand (090713). Im Juli 2011 übernahm EPH zunächst den 50-Prozent-Anteil der CEZ und ein Jahr später auch den Anteil des slowakischen Finanzinvestors, der sich inzwischen umbenannt hatte und als EP Investment Advisors zum Mitgesellschafter der EPH-Holding wurde.

Ferner erwarb EPH im Juli 2012 vom US-Unternehmen NRG Energy die Saale Energie GmbH, die 41,9 Prozent am Braunkohlekraftwerk Schkopau besitzt. Sie wurde so neben E.ON zweiter Miteigentümer des Kraftwerks, das seinen Brennstoff aus ihren Tagebauen bezieht (130107). Im September 2013 erhielt die EPH zudem von E.ON das Helmstedter Braunkohlerevier mit dem Kraftwerk Buschhaus und dem Tagebau Schöningen (130907). Nach erfolgtem Abschluß des Vattenfall-Geschäfts verfügt EPH somit über drei der insgesamt vier Reviere in Deutschland, in denen noch Braunkohle abgebaut und verstromt wird. Größter Braunkohleverstromer bleibt aber RWE mit seinen Tagebauen im rheinischen Revier.

Zur Braunkohle sollen als zweites Standbein die slowakischen Kernkraftwerke kommen

Inzwischen plant die EPH-Holding sogar den Einstieg in die Kernenergie: Am 18. Dezember 2015 unterzeichnete sie mit dem italienischen Energiekonzern Enel eine Vereinbarung zur Übernahme von dessen Mehrheitsbeteiligung am slowakischen KKW-Betreiber Slovenske Elektrarne, dem die beiden Kernkraftwerke Mochovce und Bohunice gehören (050203). Dies soll so vor sich gehen, daß Enel seine 66-Prozent-Beteiligung an eine neue Gesellschaft überträgt und diese in zwei Phasen der slowakischen EPH-Tochter überläßt.

In der ersten Phase übernimmt EPH für 375 Millionen Euro die Hälfte dieser Beteiligungsgesellschaft. Vom Kaufpreis sind aber nur 150 Millionen Euro sofort zu entrichten. Der Rest von 225 Millionen Euro wird erst nach Abschluß der zweiten Phase fällig. Diese zweite Phase ist an die Inbetriebnahme der beiden Reaktoren 3 und 4 in Mochovce gekoppelt, zu deren Fertigstellung sich Enel 2005 verpflichtet hat (050810). Sobald die Erlaubnis für den Testbetrieb beider Blöcke vorliegt – womit im Laufe des Jahres 2019 gerechnet wird – , haben beide Seiten zwölf Monate Gelegenheit, sich für oder gegen den Kauf bzw. Verkauf der anderen Hälfte der Beteiligungsgesellschaft zu entscheiden. Deren Preis läge wiederum bei 375 Millionen, wobei jedoch Anpassungen an veränderte Marktumstände möglich sind. EPH müßte also rund 750 Millionen aufwenden, um über die Zwei-Drittel-Beteiligung an dem KKW-Betreiber verfügen zu können.

Die Fertigstellung der beiden Reaktoren in Mochovce ist seit Jahrzehnten heftig umstritten

Um die Fertigstellung der beiden Druckwasserreaktoren vom russischen Typ WWER-440/W213 in Mochovce gibt es seit über zwanzig Jahren heftige Auseinandersetzungen. Das anfängliche Interesse deutscher Stromerzeuger an einer direkten Kooperation mit dem slowakischen Kernkraftwerksbetreiber (920404, 930416, 950208) ließ deshalb spürbar nach. Österreich drohte sogar mit seinem Austritt aus der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD), die das Projekt finanzieren sollte (950705). Die slowakische Regierung kündigte zwischendurch an, die Arbeiten mit tschechischer und russischer Hilfe fortzuführen (950914). Am Ende sprangen die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau und französische Geldgeber ein, damit Siemens und Framatome die ersten beiden von insgesamt vier Blöcken vollenden konnten (960407). Unter anhaltenden Protesten aus Österreich nahm der erste Block im Juni 1998 den Probebetrieb auf (980617). Anlaß zur Besorgnis gaben vor allem das Fehlen einer Beton-Schutzhülle (Containment), die zweifelhafte Qualität der Schweißnähte des Reaktor-Druckbehälters und das unzureichende Aufnahmevermögen des Dampfschutzbehälters.

Trotz ungültiger Umweltverträglichkeitsprüfung wurde weitergebaut

Auf Drängen der slowakischen Regierung übernahm schließlich der italienische Energiekonzern Enel die Fertigstellung, weil er sonst die Mehrheitsbeteiligung an Slovenske Elektrarne wahrscheinlich nicht bekommen hätte (050203, 050810). Er ließ sich allerdings viel Zeit. Der Weiterbau der Blöcke 3 und 4 begann erst im Juni 2009, nachdem sich der slowakische Regierungschef über den Stillstand auf der Baustelle beschwert hatte (080813). Im Jahr 2013 – die Baukosten waren bis dahin von 1,6 auf 3,8 Milliarden gestiegen – entschied der Oberste Gerichtshof der Slowakei, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung für die beiden Blöcke neu durchgeführt werden müsse, weil die Atomaufsichtsbehörde die nationale Greenpeace-Organisation rechtswidrig von dem Verfahren ausgeschlossen hatte. Nach Ansicht von Greenpeace hätte das zugleich zwingend einen Baustopp bedeutet. Atomaufsichtsbehörde und Regierung erlaubten jedoch die Fortführung der Arbeiten an, weil die erteilte Baugenehmigung bis auf weiteres gültig bleibe (130809).

 

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