März 2016

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ENERGIE-CHRONIK


 


Drei Wochen vor der Bor-Abschaltung des Reaktors Fessenheim 1, die jetzt nachträglich solches Aufsehen erregte, nahm die Polizei rund sechzig Greenpeace-Aktivisten fest, die am 18. März 2014 die Stillegung des Kernkraftwerks gefordert hatten und dabei in das KKW-Gelände eingedrungen waren.

Das KKW Fessenheim liegt am Rheinseitenkanal "Grand Canal d'Alsace", nur einen Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Es ist weder gegen Erdbeben noch gegen Überflutung hinreichend gesichert. Die anlageninternen Wasserschäden, die seit 2014 zweimal wichtige Sicherheitssysteme außer Funktion setzten, vermitteln einen schwachen Vorgeschmack auf das, was bei einem Bruch des Kanaldamms passieren könnte.

Foto: Greenpeace

KKW Fessenheim mit Bor heruntergefahren, um Schnellabschaltung zu vermeiden

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Westdeutsche Rundfunk (WDR) berichteten am 4. März, daß sich im französischen Kernkraftwerk Fessenheim vor zwei Jahren ein Störfall ereignet habe, der "einer der dramatischsten AKW-Unfälle in Westeuropa" gewesen sein könnte: Infolge eines Wasserschadens, der die Elektrik der Sicherheitseinrichtungen beschädigte, hätten sich die Steuerstäbe des Reaktors 1 nicht mehr bewegen lassen. Um den Reaktor zum Stillstand zu bringen, habe man das Wasser des Primärkreislaufs mit Bor versetzen müssen. Die französische Atomaufsicht ASN und der Betreiber EDF hätten den Vorfall verharmlost. Gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA seien der Ausfall der Steuerstäbe und die "Notborierung" des Primärkreislaufs verschwiegen worden.

Die französische Atomaufsicht ASN bestritt diese Darstellung des Rechercheverbunds von SZ und WDR, die auch andere Medien in Deutschland und Frankreich aufgegriffen hatten, in wesentlichen Punkten. Sie legte dazu am 10. März einen Bericht vor, der den fraglichen Vorfall detailliert schildert. Demnach wäre eine manuelle oder automatische Schnellabschaltung des Reaktors weiterhin möglich gewesen. Lediglich das allmähliche Herunterfahren des Reaktors durch gezieltes Absenken der Steuerstäbe habe nach damaliger Einschätzung des Bedienungspersonals nicht mehr kontrolliert werden können. Die Einbringung von Bor in den Primärkreislauf sei unter diesen Umständen nicht das allerletzte Mittel gewesen, um den Reaktor zu stoppen. Es habe sich vielmehr um eine Alternative zur Schnellabschaltung gehandelt. Eine solche Vorgehensweise zur Abschaltung eines Reaktors sei sicher "relativ wenig gebräuchlich", aber durchaus zulässig. Man habe die Borierung auch nicht verschwiegen, sondern bereits in einem 2014 veröffentlichten Bericht erwähnt.

Die beiden Reaktoren sollen jetzt bis 2018 vom Netz gehen

Der französische Präsident Francois Hollande hatte nach seinem Amtsantritt bekräftigt, die beiden Reaktoren in Fessenheim bis Ende 2016 stillzulegen (120913). Seine Umweltministerin Ségolène Royal relativierte diese Zusage später dahingehend, daß die EDF auch ein anderes altes Kernkraftwerk zur Stillegung vorschlagen könnte. Das scheint nun vom Tisch zu sein, nachdem es erneut einen solchen Wirbel um das betagte Kernkraftwerk am Oberrhein gegeben hat. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach am 4. März von einem "weiteren Beleg für das Risiko, das vom Betrieb dieses alten Reaktors ausgeht". Ihre französische Kollegin Royal ließ daraufhin am 7. März wissen, daß die Stillegung von Fessenheim Vorrang habe. Allerdings werde es wohl bis 2018 dauern, bis die beiden Reaktoren tatsächlich abgeschaltet sind. Die anderslautende Aussage ihrer Kabinettskollegin Emmanuelle Cossue (Wohnungsbau), wonach das Kernkraftwerk sogar noch in diesem Jahr geschlossen werde, dürfte damit hinfällig geworden sein.

Beim Bruch des Rheinseitenkanals könnte die Anlage überflutet werden

Fessenheim ist das älteste französische Kernkraftwerk und liegt nur einen Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Aufgrund diverser Pannen ist es wiederholt grenzüberschreitend in die Kritik geraten. Bei der vorherrschenden Windrichtung von West nach Ost würde ein schwerer Störfall mit Freisetzung von Radioaktivität hauptsächlich Deutschland treffen (was auch für andere französische Kernkraftwerke sowie für die Reaktoren in Belgien und den Niederlanden gilt). Das Kernkraftwerk ist nur unzureichend gegen Erdbebengefahr geschützt. Falls der Damm des Rheinseitenkanals bricht, aus dem es sein Kühlwasser bezieht, könnte es überflutet werden.

Verstopfter Wasserablauf verursachte die Störung im April 2014

Der Reaktor 1, der am 9. April 2014 abgeschaltet werden mußte, ist baugleich mit dem zweiten Druckwasserreaktor. Beide verfügen über eine Leistung von jeweils 880 MW und sind seit 1977 in Betrieb. Ursache des Wasserschadens war ein verstopfter Abfluß. Als beim Auffüllen des Sekundärkreislaufs Wasser austrat, lief dieses deshalb in tiefer gelegene Etagen und beschädigte dort elektrische Steuereinrichtungen, die für die Reaktorsicherheit unerläßlich sind.

Insoweit erinnert die Störung an die Panne, die knapp ein Jahr später erneut zur Abschaltung des Reaktors 1 führte und ebenfalls durch einen Wasserschaden im konventionellen Teil verursacht wurde (150415). Sie war aber sicher noch gravierender, da sich das Personal außerstande sah, den Reaktor kontrolliert abzuschalten. Nur das abrupte Einfahren sämtlicher Steuerstäbe wäre noch möglich gewesen. Eine solche Schnellabschaltung wollte man dem 37 Jahre alten Reaktor offenbar nicht zumuten. Stattdessen wählte man das ungewöhnliche und umständliche Verfahren, das Wasser des Primärkreislaufs solange mit Bor anzureichern, bis der Reaktor am Morgen des 11. April zum Stillstand gekommen war.

Medien ignorierten das scheinbar harmlose Vorkommnis

Am 17. April 2014 – also acht Tage später – veröffentlichte die Atomaufsichtsbehörde ASN eine erste Meldung über die Abschaltung des Reaktors 1. Sie hob dabei hervor, daß der Wasserschaden nur eines der doppelt angelegten elektrischen Sicherheitssysteme lahmgelegt habe. Insgesamt sei das Vorkommnis lediglich als "Störung" gemäß Stufe 1 der INES-Skala einzuordnen. In den Medien wurde über das scheinbar harmlose Vorkommnis kaum berichtet. Größere Aufmerksamkeit fand erst die automatische Abschaltung des zweiten Reaktors am 18. April, die das Kernkraftwerk völlig zum Stillstand brachte. Diese Panne wurde zuerst von Kernkraftgegnern gemeldet und von der EDF bestätigt. Ursache war ein defektes Ventil, das die Dampfabgabe an den Turbosatz regelt.

In einer weiteren Mitteilung vom 24. April 2014 erwähnte die ASN dann eher beiläufig, daß ein kontrolliertes Absenken der Steuerstäbe nicht mehr möglich erschien und der Reaktor 1 deshalb durch Borierung des Primärkreislaufs heruntergefahren wurde. Auch dazu gab es so gut wie keine Berichterstattung. Lediglich das satirische Wochenblatt "Le Canard Enchainé" wunderte sich am 25. Juni 2014 in einer Glosse über die ungewöhnliche Art der Reaktorabschaltung, die wohl mit den "kleinen Beschwerden des Alters" beim KKW Fessenheim zu erklären sei. "Die alten Apparate mögen eine derartige Schockbehandlung nicht", kommentierte in diesem Artikel ein ungenannter ehemaliger Reaktorfahrer der EDF den Verzicht auf die Schnellabschaltung.


Als einziges französisches Medium wunderte sich "Le Canard Enchainé" über die ungewöhnliche Art der Reaktorabschaltung.

Das Kernkraftwerk Fessenheim wird zwar von der Electricité de France (EDF) betrieben, gehört ihr aber lediglich zu 67,5 Prozent. Weitere 17,5 Prozent besitzt die Energie Baden-Württemberg (EnBW) als Nachfolger des Badenwerks. Die restlichen Anteile und die damit verbundenen Strombezugsrechte gehören zu jeweils fünf Prozent den schweizerischen Energiekonzernen Alpiq, Axpo und BKW FMB Energie.

 

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