Februar 2016

160201

ENERGIE-CHRONIK


 


Seit Jahren registriert man im Kontrollzentrum des tschechischen Transportnetzbetreibers CEPS vagabundierende Ströme aus Deutschland, die über Polen, Tschechien und die Slowakei nach Österreich oder Süddeutschland fließen. Diese Ringflüsse gefährden die Netzstabilität und treiben die Netzverluste hoch. Mit Ausnahme Österreichs halten es deshalb alle betroffenen Regulierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreiber für sinnvoll, die Stromhandelszone Deutschland/Österreich in zwei separate Preiszonen aufzutrennen.
Foto: CEPS

Deutsch-österreichische Stromhandelszone soll 2018 aufgelöst werden

Fast alle nationalen Regulierungsbehörden und Transportnetzbetreiber der Region Mittelosteuropa unterstützen den Vorschlag der europäischen Regulierungsbehörde ACER, das bisherige Stromhandelsgebiet Deutschland/Österreich in zwei separate Preiszonen aufzutrennen (150907). Das ergibt sich aus ihrer gemeinsamen Stellungnahme, die Anfang Februar bekannt wurde. Auch die Bundesnetzagentur hält es für sinnvoll, bis Mitte 2018 getrennte Gebotszonen für Deutschland und Österreich einzuführen. Lediglich die österreichische Regulierungsbehörde E-Control und der Transportnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) beharren darauf, daß die durch die gemeinsame Handelszone verursachten Probleme anders gelöst werden könnten und sollten. E-Control hat inzwischen sogar eine Klage beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingereicht.

Die in Ljubljana (Slowenien) ansässige EU-Regulierungsbehörde ACER (091212) hatte die betroffenen nationalen Regierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreiber am 23. September vorigen Jahres aufgefordert, binnen vier Monaten einen Zeitplan für die Einführung eines Engpaßmanagements zwischen Deutschland und Österreich vorzulegen. Damit sollen die Ringflüsse begrenzt werden, die bisher vom deutschen Stromnetz ausgehen und ausländische Netze belasten, weil die Nord-Süd-Verbindungen innerhalb Deutschlands nicht mehr in der Lage sind, den Stromtransport nach Süddeutschland und Österreich zu bewältigen. (150907)

Transitströme durch Tschechien nahmen 2015 um 40 Prozent zu


Im Jahr 2014 flossen rund 30 Terawattstunden Strom ungeplant über die deutschen Grenzen zu den Nachbarländern und wieder zurück. Die Grafik entstammt dem "Monitoringbericht 2015" der Bundesnetzagentur.

Vor allem Polen und Tschechien beklagen sich seit langem über die dadurch verursachte Belastung ihrer Netze. Am 5. Februar teilte der tschechische Transportnetzbetreiber CEPS mit, daß solche vagabundierenden Transitströme, denen keine entsprechenden Stromimporte oder -exporte zugrunde lagen, im vergangenen Jahr um 40 Prozent zugenommen hätten. Sie hätten nicht nur die Netzstabilität beeinträchtigt, sondern auch dazu beigetragen, daß die Verluste im Transportnetz gegenüber 2014 um zwanzig Prozent anstiegen und eine Terawattstunde überschritten.

Dasselbe Problem gibt es aber auch in der Region Nordwesteuropa, wo erhebliche Strommengen über die Niederlande, Belgien und Frankreich fließen, bevor sie ins deutsche Netz zurückfinden. Die Regulierungsbehörden und Netzbetreiber der Region Mittelosteuropa sprechen sich deshalb in ihrer Stellungnahme für einen lastflußbasierten Ansatz zur Lösung dieses Problemes aus, der gemeinsam mit den Regulierungsbehörden und Netzbetreibern der Region Nordwesteuropa erarbeitet wird und bis Mitte 2017 angewendet werden kann. Bis Mitte März dieses Jahres wollen sie dazu einen Zeitplan vorliegen.

Geteilte Zuständigkeit der Netzbetreiber für Ringflüsse im Osten und Westen

Gemäß der EU-Verordnung über die "Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel" vom 13. Juli 2009 gehören zur Region Mitteleuropa die Länder Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn, Österreich und Slowenien, während die Region Nordwesteuropa die Benelux-Staaten, Deutschland und Frankreich umfaßt (Anhang 1, Punkt 3.2). Die Bundesnetzagentur ist somit hier wie dort involviert. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber gehören dagegen jeweils zur Hälfte der einen oder anderen Regionalgruppe der ENTSO-E an, die 2009 die ETSO als Dachverband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber abgelöst hat (090207). An der jetzt verfaßten Stellungnahme zur Lösung des Ringflüsse-Problems in der Region Mittelosteuropa waren deshalb auch nur TenneT und 50Hertz beteiligt, nicht aber Amprion und Transnet BW, in deren Zuständigkeitsbereich die Ringflüsse durch Holland, Belgien, Frankreich und die Schweiz fallen.

Österreich will die Auflösung mit allen Mitteln verhindern

Die jetzt bekanntgewordene Stellungnahme datiert vom 22. Januar. Die nationalen Regulierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreiber haben die von ACER gesetzte Vier-Monate-Frist zur Vorlage eines Umsetzungsplans für die Auflösung der deutsch-österreichischen Handelszone also bis zum letzten Tag verstreichen lassen, ohne den Widerstand Österreichs überwinden zu können. Vor allem erhielt ACER die gewünschte Unterstützung nur in Form einer Stellungnahme, nachdem der Beschwerdeausschuß von ACER am 17. Dezember auf Antrag von E-Control und APG entschieden hatte, daß die Behörde nicht ermächtigt sei, die Vorlage eines verbindlichen Umsetzungsplans zu verlangen.

Dieser Erfolg genügt den Österreichern freilich nicht. Sie wollen die Auflösung der einzigen grenzübergreifenden Stromhandelszone innerhalb der EU grundsätzlich verhindern und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erwirken, wonach dieses Vorhaben gegen europäisches Recht verstößt. E-Control hat deshalb schon Ende 2015 eine entsprechende Klage in Luxemburg eingereicht.

 


Die deutsch-österreichische Stromhandelszone, die außerdem Luxemburg umfaßt (blaugrüne Flächen), ergab sich aus der engen stromwirtschaftlichen Zusammenarbeit, die zwischen diesen Ländern schon vor der Liberalisierung des Strommarktes bestand. In allen anderen EU-Ländern kann der Stromhandel bis heute nur unter Berücksichtigung der jeweils verfügbaren "net transfer capacities" (NTC) an den Grenzkuppelstellen erfolgen. – Und es sieht so aus, als ob nun solche NTC-Werte zumindest vorübergehend auch für den Handel zwischen Deutschland und Österreich festgelegt werden müßten.
Grafik: ENTSO-E

Stromhandel und verbrauchsferne Erzeugung überfordern das Netz

Der Eifer, mit dem die österreichische Stromwirtschaft die gemeinsame Handelszone verteidigt, kommt nicht von ungefähr, denn sie ist der Hauptprofiteur der Überschüsse und niedrigen Preise am deutschen Strommarkt. Die Netze Deutschlands und Österreich sind traditionell gut miteinander verbunden. Im Unterschied zu anderen grenzüberschreitenden Verbindungen gab es zwischen beiden Ländern keine Kapazitätsengpässe. Als die neue Strombörse EEX in Leipzig 2002 ihre Tätigkeit aufnahm (011008), behandelte sie deshalb Deutschland und Österreich von Anfang an als einheitliches Marktgebiet. Inzwischen hat sich die Situation allerdings verändert, weil die Liberalisierung des Strommarktes eine starke Zunahme des Stromhandels bewirkte, für den die bestehenden Netze nicht konzipiert wurden. Außerdem gibt es seitdem für Kraftwerksbetreiber keine Notwendigkeit und keinen Anreiz mehr, ihre Anlagen verbrauchsnah zu errichten. Das sorgt für eine zusätzliche Belastung der Netze. Vor allem der im Norden Deutschlands erzeugte Windstrom fließt zum großen Teil nicht über das innerdeutsche Netz nach Süddeutschland und Österreich, sondern nimmt den Umweg über Polen und Tschechien.

Auch für die deutschen Stromhändler, die von einem Exportüberschuß zum nächsten eilen (160110), bietet die gemeinsame Handelszone mit Österreich große Vorteile. Zu ihrem Sprachrohr machte sich der Branchenverband BDEW, indem er den Vorstoß von ACER als "voreilig" zurückwies. Die EU-Regulierungsbehörde hätte demnach erst mal abwarten sollen, bis eine derzeit tagende Expertengruppe der ENTSO-E im Lauf dieses Jahres das Ergebnis ihrer Beratungen über einen optimalen Zuschnitt der Preiszonen vorlegen wird. Ferner fiel dem BDEW das bemerkenswerte Argument ein, daß eine Beseitigung der gemeinsamen Handelszone "den Handlungsdruck auf den dringend notwendigen Netzausbau in Deutschland senken" werde.

Innerdeutsche Strompreisgrenze wäre keine Lösung

In der Tat sind nicht die Kuppelstellen zwischen dem deutschem und österreichischen Netz das Problem, sondern die Engpässe zwischen Nord- und Süddeutschland. Darauf insistieren auch E-Control und APG und pochen auf die im Juli vorigen Jahres von der EU erlassene "Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement", die eher einzelne Engpässe als das übergeordnete Ganze im Blick hat. Die anderen Regulierungsbehörden und Netzbetreiber berufen sich dagegen auf die seit 2009 geltenden EU-Verordnung zu "Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel", die beispielsweise die Verwendung eines gemeinsamen Übertragungsnetzmodells vorschreiben, "das auf effiziente Weise mit voneinander abhängigen physikalischen Ringflüssen umgeht und Abweichungen zwischen den physikalischen und den kommerziellen Lastflüssen berücksichtigt" (Anhang 1, Punkt 3.5).

Die Stabilisierung der überlasteten innerdeutschen Nord-Süd-Verbindungen erfolgt bisher mit Redispatch-Maßnahmen, die über die Netzentgelte in den Strompreis eingehen (151201). Es wäre aber auch die Einführung von zwei Strompreiszonen vorstellbar, wie dies schon einmal die Monopolkommission vorgeschlagen und dann wieder verworfen hat (110907, 151014). Das Problem der Ringflüsse würde damit freilich nicht gelöst. Außerdem wäre eine innerdeutsche Strompreisgrenze nicht notwendig, wenn es nur um die Versorgung Süddeutschlands ginge. Erst der immense Stromhandel mit Österreich überlastet die vorhandenen Verbindungen (160110). Den süddeutschen Stromverbrauchern würden also höhere Preise abverlangt, damit der Stromhandel mit Österreich zumindest im bisherigen Umfang weitergehen könnte. Und an den Ringflüssen würde sich auch nichts ändern.

Polen und Tschechien wollen Ringflüsse mit Phasenschiebern abblocken

Die Transportnetzbetreiber Polens und Tschechiens, PSE und CEPS, drohen schon seit längerem damit, von sich aus aktiv zu werden und die unerwünschten Stromflüsse aus Deutschland durch sogenannte Phasenschieber abzublocken (120102). Technisch wäre es kein Problem, nur soviel Strom über die Grenzkuppelstellen fließen zu lassen, wie den tatsächlich existierenden Stromhandelsverträgen bzw. den "Fahrplänen" zwischen den Netzbetreibern entspricht. Wie es aussieht, werden die Phasenschieber bald auch errichtet sein. Seit März 2014 gibt es eine entsprechende Vereinbarung der PSE mit dem ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Der erste Phasenschieber im polnischen Umspannwerk Mikulowa sollte eigentlich schon Ende 2015 in Betrieb gehen. Sein Gegenstück auf deutscher Seite soll bis 2017 fertig sein (140811). Eine weiteres solches Abkommen gibt es zwischen 50Hertz und CEPS zur Begrenzung der Stromflüsse zwischen den Umspannwerken Röhricht in Sachsen und Hradek in Böhmen.

Inbetriebnahme der Hochspannungs-Gleichstrombrücken ist frühestens 2022 zu erwarten

Sobald es aber Polen und Tschechien gelingt, die vagabundierenden Ströme abzublocken, können diese nicht mehr auf dem alten Wege zu Endverbrauchern in Österreich oder Süddeutschland gelangen. Damit würde den innerdeutschen Netzengpässen endgültig eine Überlastung drohen, die sich auch mit dem Resdispatch-Instrumentarium nicht mehr technisch bewältigen läßt oder zumindest unvernünftig hohe Kosten verursachen würde. Die vier geplanten HGÜ-Strombrücken (150204) werden zwar diese Engpässe beseitigen. Die Inbetriebnahme der HGÜ-Trassen D und C, die für die Entlastung der Region Mittelosteuropa von besonderer Bedeutung sind, ist im Netzentwicklungsplan aber erst bis 2022 vorgesehen. Auch die beiden anderen HGÜ-Trassen sollen erst 2022 in Betrieb gehen (abgesehen vom südlichen Abschnitt der Trasse A, der weitgehend bereits vorhandene Drehstrom-Trassen nutzt und schon 2019 eine Direktverbindung zwischen den Umspannwerken Osterrath und Philippsburg herstellen soll). Es handelt sich außerdem eher um Wunschtermine, die sich durchaus noch verzögern könnten. Sicher ist nur, daß in diesem Jahr mit der "Thüringer Strombrücke" der wichtigste Nord-Süd-Netzengpaß endlich beseitigt wird, und zwar in konventioneller Drehstromtechnik (130703, 160116). Diese Teilentlastung löst das grundsätzliche Problem aber nicht.

Auch die Kuppelstellen mit Österreich sind nicht grenzenlos belastbar

Es spricht deshalb viel für eine zumindest zeitweilige Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone, da die Sicherheit des Netzbetriebs allemal Vorrang haben muß vor den kommerziellen Interessen der Stromwirtschaft. Es ist nun mal vor allem die Zunahme des Stromaustauschs mit Österreich, die das Netz so arg strapaziert. Wenn die Lobby darauf pocht, daß es an der Grenze selber überhaupt keine Engpässe gäbe, ist das alles andere als überzeugend. Außerdem trifft dieses Argument schon jetzt eher für die Vergangenheit als für die Gegenwart zu. Die insgesamt fünf Kuppelstellen zwischen Deutschland und Österreich sind zwar im westlichen Zipfel des Alpenlandes, wo gleich drei 380-kV-Leitungen die Grenze überqueren, sehr großzügig dimensioniert, was auf den seit vielen Jahrzehnten praktizierten Pumpspeicher-Stromaustausch zurückzuführen ist. Insgesamt ist aber auch das österreichische Netz an der Grenze seiner Aufnahmefähigkeit für Stromflüsse aus Deutschland angelangt. Zur Zeit wird deshalb der Bau einer grenzüberschreitenden 380-kV-Leitung zwischen den Netzknoten St. Peter und Isar betrieben. Parallel dazu sollen etliche innerösterreichischen 220-kV-Strecken auf 380 kV umgerüstet werden. Die so erweiterten Übertragungskapazitäten würden zusätzliche Stromexporte nach Italien und anderen Ländern ermöglichen. Schon deshalb wäre mit einem weiteren Anstieg der Stromflüsse aus Deutschland samt der damit verbundenen Probleme zu rechnen.

 

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