Februar 2015

150201

ENERGIE-CHRONIK


Keiner will für das Moratorium verantwortlich gewesen sein

Der Bund und das Land Hessen versuchen wechselseitig, sich die Verantwortung für die Vollstreckung des "Moratoriums" zuzuschieben, mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung im März 2011 die Abschaltung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke anordnete. Das zeigte sich am 13. Februar in der Sitzung eines Untersuchungsausschusses, den der hessische Landtag am 13. März vorigen Jahres eingesetzt hatte, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof die seinerzeit erfolgten Abschaltungsverfügungen gegen die beiden Kernkraftwerke Biblis A und B für rechtswidrig erklärt hatte (130214) und auch die Revisionsbeschwerde des Landes Hessen gegen dieses Urteil vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen worden war (140110).

Mit der Rechtswidrigkeit des damals verfügten dreimonatigen Moratoriums begründen die KKW-Betreiber RWE, E.ON und EnBW Schadenersatzforderungen, die sich auf insgesamt 882 Millionen Euro belaufen (150102). Unklar ist bisher allerdings, ob den Schadenersatz die Bundesregierung zahlen muß, die seinerzeit den Moratoriums-Beschluß faßte, oder die fünf Länderregierungen, die ihn im Wege der Atomaufsicht über die betroffenen Kernkraftwerke ausführten. Die Auseinandersetzung in Hessen ist dabei von paradigmatischer Bedeutung (siehe Hintergrund).

Bundesregierung hat Ländern angeblich nur "Formulierungshilfe" geleistet


Bund und Länder seien sich einig, das beschlossene Moratorium über eine rechtliche Verfügung der Aufsichtsbehörden der Länder durchzusetzen, versicherte die Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. März 2011 in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Als rechtliche Grundlage diene dabei das Atomgesetz, das die vorübergehende Stillegung von Kernkraftwerken erlaube, "bis sich die Behörden Klarheit über eine neue Lage verschafft haben".

Die behauptete Rechtsgrundlage gab es allerdings nicht. Das haben die KKW-Betreiber inzwischen von allen Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bestätigt bekommen. Bund und Länder streiten deshalb nun darüber, wer eigentlich für die Vollstreckung des Moratoriums verantwortlich gewesen sei . Denn derjenige, bei dem der Schwarze Peter landet, wird auch für die Schadenersatzansprüche der KKW-Betreiber aufkommen müssen (siehe Hintergrund).

Foto: Bundestag

Der seinerzeitige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, bekundete vor dem Untersuchungsausschuß, daß die CDU-regierten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein "nicht auf Weisung des Bundes" gehandelt hätten, als sie das von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossene "Moratorium" exkutierten. Bei einem Treffen der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten, das am 15. März stattfand, habe man sich zwar auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Möglicherweise habe die Kanzlerin den Ländern auch die Unterstützung des Bundes in Aussicht gestellt, falls es zu Klagen der KKW-Betreiber kommen würde. Dies sei dann freilich nicht als "Haftungsfreistellung", sondern im Sinne einer politischen Unterstützung zu verstehen gewesen.

Ein Schreiben des Bundesumweltministeriums vom 16. März, das die Atomaufsichtsbehörden der Länder teilweise wörtlich übernahmen, um die sofortige Abschaltung der sieben ältesten Kernkraftwerke zu begründen, war nach Hennenhöfers Darstellung ebenfalls nicht als Weisung des Bundes zu verstehen. Es habe sich vielmehr nur um eine "Formulierungshilfe" gehandelt. Überhaupt sei immer klar gewesen, daß die Entscheidung über die Abschaltung und damit auch die atomaufsichtliche Verantwortung bei den Ländern gelegen habe. Erst nachträglich sei es zu dem Versuch gekommen, "dem Bund den toten Vogel in die Tasche zu schieben".

Der seinerzeitige RWE-Chef Jürgen Großmann bestätigte, daß es ihm um "Rechtssicherheit" gegangen sei, als er vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier dessen mündliche Ankündigung, gegen ein Wiederanfahren von Biblis A nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums vorzugehen, "gern schriftlich" haben wollte und mit Datum vom 6. Juni 2011 auch erhielt (150102). Er habe sich mit diesem Anliegen nicht an das eigentlich zuständige Landesumweltministerium gewandt, weil die passende "Gesprächsebene" für den RWE-Vorstandsvorsitzenden der Ministerpräsident gewesen sei...

"Der Bund hat den Vogel abgeschossen und trägt damit auch die Verantwortung"

Der Obmann der SPD-Landtagsfraktion im Untersuchungsausschuß, Norbert Schmitt, zog aus Hennenhöfers Darstellung den Schluß, daß Ministerpräsident Bouffier die Unwahrheit sagte, als er sich auf eine angebliche Weisungsbefugnis des Bundes berief. Der CDU-Obmann Holger Bellino meinte dagegen, daß die Landesregierung "pflichtgemäß und richtig" gehandelt habe. Die Umsetzung des "Moratoriums" sei vom Bund verbindlich vorgegeben worden. Das Land habe keinen Spielraum gehabt. "Eine Weisung war nicht erforderlich, weil sich Bund und Länder in der Sache einig waren." Wenn Hennenhöfer von dem nachträglichen Versuch spreche, "dem Bund den toten Vogel in die Tasche zu schieben", könne er darauf nur antworten: "Der Bund hat den Vogel abgeschossen und trägt damit auch die Verantwortung."

"Atomkonzernen wurde der Atomausstieg auf Steuerzahlerkosten vergoldet"

Von den Grünen, die seit Januar 2014 die FDP als Koalitionspartner der CDU in Hessen abgelöst haben, gab es keine Stellungnahme. Für die Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuß, Janine Wissler, verfestigte sich durch die Zeugenvernehmungen der Eindruck, daß die Rechtmäßigkeit des sogenannten Moratoriums für alle Beteiligten zweifelhaft war: "Statt einen rechtssicheren Weg zu gehen, waren die Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene aber vor allem damit beschäftigt, das Haftungsrisiko auf die jeweils andere Ebene abzuschieben." Damit hätten sie zumindest "grob fahrlässig" gehandelt und letztendlich "den Atomkonzernen den Atomausstieg auf Steuerzahlerkosten vergoldet".

Weitere Zeugenvernehmungen im März und April

Der Untersuchungsausschuß war auf Betreiben der oppositionellen SPD eingesetzt worden. Er hat den Auftrag, "umfassend aufzuklären, wer für die rechtswidrigen Anordnungen zur vorläufigen Stillegung der beiden Atomkraftwerksblöcke in Biblis verantwortlich ist und welche Umstände zur rechtswidrigen Stillegungsverfügung vom 18. März 2011 geführt haben". Insbesondere soll er klären, weshalb der KKW-Betreiber RWE vor der Stillegung nicht ordnungsgemäß angehört wurde und so die juristische Angriffsfläche bekam, um für den dreimonatigen Ausfall von Biblis A Schadenersatz zu verlangen (Biblis B war wegen Revisionsarbeiten ohnehin abgeschaltet).

Am 24. September 2014 hatte der Untersuchungsausschuß beschlossen, bis Ostern 2015 zunächst 18 Zeugen zu vernehmen, darunter den früheren Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) und die seinerzeitige Landesumweltministerin Lucia Puttrich (CDU). Zur Sitzung am 13. Februar waren insgesamt drei Zeugen geladen: Neben Hennenhöfer und Großmann gehörte dazu der frühere Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Jürgen Becker, der Hennenhöfers Version im wesentlichen stützte. Die ebenfalls geplante Vernehmung des ehemaligen Leiters der Arbeitsgruppe "Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken", Gerrit Niehaus, wurde zurückgestellt, da das Bundesumweltministerium bisher keine Aussagegenehmigung erteilt hat. Weitere Ausschußsitzungen mit Zeugenvernehmungen sind für den 27. März und den 15. April geplant.

Hennenhöfer soll Grundstein für Schadenersatzforderungen gelegt haben

Im Januar hatte das ARD-Fernsehmagazin "Monitor" den Verdacht geäußert, daß RWE vorsätzlich die Möglichkeit einer Schadenersatzklage geboten werden sollte. Es stützte sich dabei auf einen Briefwechsel zwischen dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) und dem RWE-Chef Jürgen Großmann, der eine solche Interpretation zumindest ermöglicht (150102) . In seiner Sendung vom 5. Februar präsentierte das Fernsehmagazin weitere bisher unveröffentlichte Dokumente, aus denen hervorgeht, daß der seinerzeitige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) von der Fachabteilung seines Ministeriums auf drohende Schadenersatzforderungen der KKW-Betreiber hingewiesen worden war, diese Warnungen aber ignoriert hatte.

Eine Schlüsselrolle bei der Ignorierung dieser Warnungen spielte der damalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, den Röttgen Ende 2009 in dieses Amt berufen hatte (091217) und der erst unter der neuen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Anfang 2014 in den Ruhestand versetzt wurde. Laut "Monitor" war es auf Hennenhöfer zurückzuführen, daß die Bundesregierung bei der Begründung ihres "Moratoriums" darauf verzichtete, sicherheitstechnische Mängel der Altreaktoren aufzuführen. Auch bei der damaligen Analyse der Sicherheitsmängel der deutschen Atomkraftwerke sei das Fachreferat des Ministeriums absichtlich außen vor gelassen worden. Aus einem internen Vermerk Hennenhöfers gehe hervor, daß man bei den entsprechenden Sachverständigensitzungen der Reaktorsicherheitskommission (RSK) "ohne Aufpasser" diskutieren wollte. Die Ursache für den Ausschluß seines eigenen Fachreferats sei ein "massiv gestörtes Vertrauensverhältnis".

Für den Vorgänger Hennenhöfers im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg (981104), wurde damit der Grundstein für die heutigen Schadensersatzklagen der Atomkonzerne gelegt: "Man wollte keine sicherheitstechnischen Mängel in die Begründung der Anordnung reinschreiben, um das zu ermöglichen, was jetzt passiert, nämlich Schadenersatzforderungen für die Betreiber zu ermöglichen", vermutete er gegenüber "Monitor".

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