Oktober 2014

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Im Vergleich mit Frankreich verfügt Deutschland nur über ein Viertel der technisch gewinnbaren Schiefergasvorkommen. Die Politik ist hier aber eher geneigt, Fracking zu akzeptieren. Mit ihrer gegenwärtigen Kampagne will die Fracking-Lobby den bisherigen Gesetzentwurf der Bundesregierung noch mehr aufweichen.

Die Fracking-Lobby macht mobil

(zu 141009)

Die Amerikaner waren schon immer sehr einfallsreich, wenn es darum ging, Erdgasvorkommen auf unkonventionelle Weise zu erschließen. Vor etwas mehr als vierzig Jahren verwendeten sie dafür sogar Atombomben. Die erste hieß "Gasbuggy" und wurde am 10. Dezember 1967 im Bundesstaat New Mexico gezündet. Mit einer Sprengkraft von 29 Kilotonnen TNT war sie mehr als doppelt so stark wie "Little Boy", die Hiroshima-Bombe. Sie detonierte in einer Tiefe von ungefähr zwei Kilometern, zertrümmerte das dortige Schiefergestein und hinterließ einen über hundert Meter hohen Hohlraum, in dem sich das freigesetzte Schiefergas ansammeln konnte.


Der "Gasbuggy", der hier ins Bohrloch geschoben wird, hatte mehr als die doppelte Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

"Gasbuggy" bildete den Auftakt des sogenannten Plowshare Program ("Pflugschar-Programm"), das den Einsatz von Atom- und Wasserstoffbomben vorsah, um gigantische Erdbewegungen zu bewerkstelligen, die den Bau von Kanälen und Häfen, die Einebnung von Gebirgen oder eben auch die bessere Ausbeutung von Erdgas- oder Erdölvorkommen ermöglichen sollten.

Einer der eifrigsten Befürworter dieses Programms war der Physiker Edward Teller, der als "Vater der Wasserstoffbombe" bekannt wurde. Teller kann als gutes Beispiel dafür dienen, daß eine Leuchte der Wissenschaft außerhalb ihres Spezialgebiets nicht unbedingt ein heller Kopf sein muß (im Unterschied zu seinem Kollegen Robert Oppenheimer, dem "Vater der Atombombe", der sich nach Hiroshima und Nagasaki zum Gegner der nuklearen Massenvernichtungsmittel entwickelte und deshalb von Teller bei der McCarthy-Inquisition angeschwärzt wurde).

Man sollte vielleicht noch anmerken, daß der 1963 geschlossene Atomteststoppvertrag sich nicht auf unterirdische Atomexplosionen erstreckte. Was uns heute als Idee von Wahnsinnigen erscheint, wurde deshalb sowohl in den USA als auch in der damaligen Sowjetunion etliche Male in die Praxis umgesetzt. In den USA folgten nach dem Muster von "Gasbuggy" die Projekte Rulison (1969) und Rio Blanco (1973), die eine noch höhere Sprengkraft hatten, aber vom Ergebnis her eher enttäuschten. Es waren dann auch mehr Kosten-Nutzen-Erwägungen als die Rücksicht auf Menschen und Umwelt, die schließlich den Verzicht auf diese Art der Erdgas-Erschließung bewirkten.

Es geht auch ohne Atombomben – mittels "hydraulischem Fracking"

Es gab sowieso schon damals eine andere Technik, um die Erdgas-Ausbeute zu steigern: Das "hydraulische Fracking". Dabei werden gashaltige Gesteinsschichten unter hohem hydraulischen Druck aufgebrochen, um an Erdgas zu gelangen, das sonst nicht förderfähig wäre.

Im Vergleich mit Atombomben ist Fracking sicher die sanftere Methode. Aber auch diese Technik ist mit erheblichen Risiken für die Umwelt verbunden. Und auch sie wurde in den USA in einer Weise eingesetzt, die nur als unverantwortlich zu bezeichnen ist. Besonders unverantwortlich wird sie aber, wenn sie nach US-amerikanischem Muster auf Europa übertragen werden soll, um hier die vergleichsweise geringen Schiefergas-Vorkommen mit derselben Brachialgewalt zu erschließen. Denn die Provence in Frankreich oder die norddeutsche Tiefebene sind nun mal nicht vergleichbar mit den räumlichen Verhältnissen in den USA, wo der Raubbau an Landschaft und Umwelt immer noch eher die Regel als die Ausnahme ist. Vor allem die Franzosen reagierten deshalb frühzeitig und sehr allergisch auf die Fracking-Pläne der internationalen Öl- und Gaskonzerne (siehe weiter unten).

Giftiger Chemie-Cocktail im Fracking-Wasser


Fracking-Landschaft im US-Staat Wyoming: Dicht nebeneinander liegt eine Unzahl von Bohrstellen mit Auffangbecken für den "Flowback" .
Foto: SkyTruth

Gemeinsam ist allen Fracking-Methoden, daß in die Tiefbohrungen mit hohem Druck Wasser eingepreßt wird, um im Gestein Risse zu erzeugen. Zur Aufweitung und Stabilisierung dieser Risse werden dem Wasser neben Quarzsand aber auch allerlei chemische Mittel beigemischt, die teilweise krebserregend oder auf andere Weise giftig sind. Es entsteht so ein erhebliches Risiko, daß diese Gifte in grundwasserführende Schichten gelangen, die der Trinkwasserversorgung dienen. In den USA sind die Gasförderer nicht einmal verpfllichtet, die Zusammensetzung dieser giftigen Cocktails offenzulegen. Problematisch sind ferner der Landschaftsverbrauch, die Entsorgung des "flowback" aus dem Bohrloch oder der rein mechanische Druck auf das Gestein, der zu seismischen Erschütterungen mit Sachschäden führen kann.

Eine Vorstellung von den möglichen Folgen vermittelt der Film "Gasland" von Josh Fox, der 2010 in die Kinos kam und vor kurzem auch im Fernsehkanal "Arte" gezeigt wurde. Dem Filmemacher waren 2008 hunderttausend Dollar an Pacht angeboten worden, wenn er sein Land für Fracking-Vorhaben zur Verfügung stellen würde. Er reiste daraufhin durch acht Bundesstaaten der USA, um sich darüber zu informieren, welche Folgen die Annahme dieses Angebots haben könnte. Er stieß dabei überall auf die Kontaminierung von Grund- und Trinkwasser, unerklärliche Erkrankungen, Luftverschmutzung, Lärm und Landschaftszerstörung. Die bekannteste Szene des Films zeigt einen Wasserhahn, bei dem das ausströmende Wasser mit Methan versetzt ist und sich deshalb explosionsartig entzünden läßt (Kritiker des Films bestreiten, daß das Methan durch Fracking ins Trinkwasser gelangt sei; es sei vielmehr in höheren Bodenschichten bereits vorhanden gewesen und durch den Brunnenbau freigesetzt worden).

Bei Schiefergas sind Kosten und Risiken des Fracking besonders groß

Am leichtesten gelingt die Rißerzeugung bei ursprünglich porösen Gesteinen, die sich inzwischen verdichtet haben. Diese werden per Fracking wieder so porös gemacht, daß das in ihnen eingeschlossene "Tight Gas" entweichen kann. Der englische Ausdruck bezieht sich auf die Herkunft des Erdgases aus dichtem Gestein (tight = dicht). Auch in Deutschland hat man von dieser Methode seit den sechziger Jahren öfter Gebrauch gemacht, um die Ergiebigkeit von konventionellen Erdgasvorkommen zu steigern. Auf diese Tatsache wird seitens der Fracking-Lobby gern verwiesen, um die angebliche Harmlosigkeit des Verfahrens zu unterstreichen.

Die relativ leichte Gewinnung von "Tight Gas" ist jedoch etwas anderes als das Fracking zur Erschließung von Erdgas aus Schiefergestein (engl. "Shale Gas") oder aus Kohleflözen. Wegen der hohen Dichte des Gesteins und der nicht einheitlichen Terminologie spricht man hier zwar mitunter ebenfalls von "Tight Gas". Dieses Erdgas hat sich jedoch nicht im Schiefer oder im Kohleflöz angesammelt. Es ist vielmehr mit dem Gestein entstanden und mit diesem eng verbunden. Es bedarf deshalb eines wesentlich größeren Aufwands, um es herauszulösen. Entsprechend höher sind Kosten und Risiken. Der derzeit von der Bundesregierung erwogene Gesetzentwurf trägt diesem Unterschied Rechnung, indem er das sogenannte konventionelle Fracking zur Erschließung von "Tight Gas" grundsätzlich weiterhin ermöglichen will, aber die Gasförderung aus Schiefer- und Kohleflözgestein oberhalb von 3000 Metern durch das Wasserhaushaltsgesetz verbietet.

 

Wie diese Grafik zeigt, stieg in den USA der Erdgas-Preis ab Bohrloch (Wellhead Price) von 1999 bis 2008 um das 3,6-fache. Dadurch wurde die teuere und komplizierte Fracking-Technik zur Erschließung von Schiefergasvorkommen rentabel. Ihre massenhafte Anwendung ließ den Preis bis 2012 auf den Stand der achtziger Jahre zurückgehen. Diese Preisentwicklung verlief aber nicht kontinuierlich, sondern im Wechsel von Anstieg und Rückgang aufgrund des "Schweinezyklus", der sich aus der Verzögerung zwischen Investitionen und Angebot ergibt.

Auslöser des Schiefergas-Booms in den USA waren hohe Gaspreise und die Beseitigung von Umweltschutzvorschriften

Grundsätzlich lohnt sich jede Art von Fracking erst bei einer bestimmten Höhe des Gaspreises. Deshalb dauerte es in den USA bis in die siebziger Jahre, ehe mit Schiefergas-Fracking begonnen wurde. Damals stieg der Erdgas-Förderpreis von 1972 bis 1984 kontinuierlich von 0,19 auf 2,66 Dollar pro tausend Kubikfuß. Einen neuen Schub erhielt die Technologie mit dem Nachlassen der konventionellen US-Förderung und einem daraus resultierenden Preisanstieg ab dem Jahr 2000: Nun kletterte Preis für tausend Kubikfuß ab Bohrloch binnen neun Jahren von 2,19 auf 7,97 Dollar (siehe Grafik 2).

Hinzu kam ein wunderbares Geschenk, das der damalige US-Präsident George W. Bush seinen Spezis aus der Öl- und Gasindustrie machte: Der sogenannte Energy Policy Act, den er am 8. August 2005 unterzeichnete, befreite die Fracking-Branche von praktisch allen gesetzlichen Beschränkungen, die zum Schutz von Wasser, Luft und Umwelt erlassen worden waren. Dazu gehörten beispielsweise der Clean Air Act, der Clean Water Act und der Safe Drinking Water Act. Die Ausnahmeregelung wurde auch als "Halliburton Loophole" bezeichnet, weil einer der Hauptprofiteure dieses Schlupflochs die Firma Halliburton war, die Bushs Kandidatur finanziell unterstützt hatte.


Binnen fünf Jahren stieg die Schiefergas-Produktion der USA um das Fünfzehnfache und stellte 2012 rund ein Drittel der gesamten Gasförderung.

"Wellhead Price" für Erdgas fiel binnen eines Jahres um mehr als die Hälfte

Inzwischen war die Technologie weiter entwickelt und perfektioniert worden. Vor allem gelang es immer besser, die gashaltigen Schichten durch horizontale Bohrungen zu erschließen, die von der Tiefbohrung abzweigen und teilweise kilometerweit das Gestein durchdringen. Durch dieses intensive Fracking in horizontal verlaufenden Schiefergasvorkommen stand dann plötzlich soviel Erdgas zur Verfügung, daß der Höchstpreis von 7,97 Dollar für tausend Kubkifuß ab Bohrloch, der 2008 erreicht worden war, im folgenden Jahr auf weniger als die Hälfte abstürzte. Nach einem vorübergehenden Wiederanstieg fiel dieser "Wellhead Price" 2012 sogar auf 2,66 Dollar, was dem Stand von 1984 entsprach (siehe Grafik 2). Im selben Jahr stammte rund ein Drittel der US-Erdgasförderung aus Schiefergas-Fracking (siehe Grafik 3).

Freilich zeichnete sich 2013 bereits wieder ein Preisanstieg ab. Die Marktpreise widerspiegeln nämlich nicht die jeweils aktuellen Förderkosten, sondern das im "Schweinezyklus" schwankende Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bzw. die zeitliche Diskrepanz zwischen Investitionen und damit erzieltem Effekt. Der 2012 erreichte Preisstand dürfte unter den Kosten der Schiefergas-Förderung gelegen haben. Da es den Schiefergas-Förderern letztendlich auf den Gewinn ankommt, müssen sie somit ihre Erzeugung reduzieren, um einen Wiederanstieg der Preise über die Rentabilitätsschwelle zu erreichen.

Vor allem bietet die Schiefergas-Förderung auch den USA langfristig keine Perspektive, obwohl hier weltweit die größten technisch abbaubaren Ressourcen vermutet werden (siehe Grafik 1). Nach Ansicht von Fachleuten wird sich die per Fracking geförderte Gasmenge schon aus natürlichen Gründen in Kürze wieder verringern. Der bereits vorhandene Rückgang der konventionellen Förderung, der den Schiefergas-Boom auslöste, werde dann verstärkt statt kompensiert. Die geschätzten Reserven würden ohnehin auf spekulativen Schätzungen beruhen (130311).

Protest in Südfrankreich: "Nein zum Schiefergas!! Nie und nimmer, weder hier noch anderswo!"

In Europa hat bisher nur Frankreich das hydraulische Fracking komplett verboten

Anders als beim Erdöl gibt es für Erdgas keinen weltweiten Markt. Die Preisbildung erfolgt vielmehr im Rahmen der kontinentalen Pipeline-Systeme. Zwischen diesen gibt es bisher nur eine äußerst dürftige Verbindung in Form des Transports von Flüssiggas (LNG) durch Spezialschiffe. Der Preisverfall für Erdgas in den USA hatte deshalb keine nennenswerten Auswirkungen auf die Gaspreise in Europa, die sowieso größtenteils durch langfristige Lieferverträge fixiert sind. Der enorme Anstieg der Schiefergas-Produktion in den USA weckte aber auch in Europa Begehrlichkeiten und Hoffnungen. Die international agierenden Öl- und Gasförderer sahen die Chance, hier ebenfalls einen Schiefergas-Boom anzustoßen, der ihnen zumindest kurzfristig die Kassen füllen würde. Zu den US-Konzernen, die auf diesem Geschäftsfeld bereits tätig waren, gesellten sich dabei europäische Konzerne wie die französische Total oder die BASF-Tochter Wintershall, die neu in diesen Sektor einsteigen wollten.

Ihr erstes Angriffsziel war Frankreich, das neben Polen über die größten Schiefergasvorkommen innerhalb der Europäischen Union verfügt (siehe Grafik 1). Vor allem im Süden und Nordosten des Landes kam es zu starken Protesten der Bevölkerung, die eine Verseuchung des Trinkwassers und andere negative Folgen befürchtete. Die französische Nationalversammlung untersagte daraufhin weitere Bohrungen nach Schiefergas auf dem gesamten Territorium des Staates. Das entsprechende Gesetz vom 13. Juli 2011 wurde am 11. Oktober 2013 vom "Conseil constitutionnel" bestätigt, der eine ähnliche Funktion wie das Bundesverfassungsgericht in Deutschland ausübt. Der Verfassungsrat wies damit die Klage eines von drei US-Unternehmen zurück, die gemeinsam mit dem französischen Energiekonzern Total die Schiefergasvorkommen in Frankreich erschließen wollten und denen die Konzessionen für Probebohrungen infolge des Gesetzes entzogen wurden. Er unterstrich in seiner Entscheidung, daß das Frackingverbot nicht nur für Schiefergas und andere Arten der "unkonventionellen Gasförderung" gelte, sondern auch für konventionell geförderte Öl- und Gasvorkommen. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel des Schutzes der Umwelt diene dem Gemeinwohl und rechtfertige ein absolutes Fracking-Verbot in vollem Umfang. Die vom Kläger angeführte Unternehmensfreiheit müsse dahinter zurückstehen (140112).

In Deutschland schlug als erster die Wasserwirtschaft Alarm

Ersatzweise verstärkten die Konzerne ihre Aktivitäten in Deutschland, wo das Schiefergasvorkommen wesentlich geringer, die Besiedelungsdichte aber noch deutlich höher als in Frankreich ist. Hier war es die Wasserwirtschaft, die als erster Alarm schlug und damit auch die Politik aufschreckte (110612). In Nordrhein-Westfalen, wo bis dahin die meisten Erlaubnisse zur Aufsuchung von "unkonventionellem Erdgas" erteilt wurden, ließ die rot-grüne Landesregierung ein Gutachten erstellen, das die Risiken der Schiefergas-Gewinnung vor allem mit Blick auf die öffentliche Trinkwasserversorgung erforschte (110810). Sie zog daraus das Fazit, daß Fracking-Vorhaben mit dem "in Deutschland geltenden wasserrechtlichen Besorgnisgrundsatz" nicht zu vereinbaren sind. Das Umweltbundesamt verlangte zumindest eine Umweltverträglichkeitsprüfung, eine detaillierte Ausweisung der chemischen Stoffe im Fracking-Wasser und ein generelles Verbot in Trinkwassereinzugsgebieten. Weitgehende Unterstützung auf Landesebene erhielten die Energiekonzerne nur in Niedersachsen, wo ein FDP-Mann als Wirtschaftsminister amtierte (110810).

Schwarz-gelb wollte Fracking erlauben, hatte aber zuviel Angst vor den Wählern

Auf Bundesebene wollte die damals amtierende Regierung aus Union und FDP das Fracking zur Erschließung von Schiefergas grundsätzlich erlauben. Im Februar 2013 einigte sich die Koalition auf einen Verordnungsentwurf, der diese Technik nur in Trinkwasserschutzgebieten untersagt hätte. In anderen Gebieten wäre lediglich eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben worden (130211). Sie ließ ihr Vorhaben aber wieder fallen, weil die Bundestagswahlen bevorstanden und sie den Verlust von Wählern befürchtete. Sogar innerhalb der Union gab es inzwischen Stimmen, die das Fracking als umweltgefährdende Technik grundsätzlich verbieten wollen. Der Bundesrat hatte schon im Februar 2013 ein generelles Verbot von Fracking verlangt, bis alle Risiken des Chemikalien-Einsatzes geklärt seien (130606).


Mit einer überdimensionalen Giftspritze demonstrierten Fracking-Gegner am 11. Juli dieses Jahres vor dem Bundesrat in Berlin und verlangten ein totales Verbot dieser Gasfördermethode.
Foto: Jakob Huber/Campact

Schwarz-rote Koalition nimmt derzeit neuen Anlauf zu einer gesetzlichen Regelung

Die Bildung der Großen Koalition im Herbst 2013 erhöhte die Chancen für eine schärfere Fracking-Regelung, da nun die neoliberalen Ultras von der FDP in der parlamentarischen Versenkung verschwanden und die SPD als neuer Koalitionspartner der Union schon immer eine kritischere Haltung eingenommen hatte. Laut Koalitionsvertrag sah die Bundesregierung in dieser Technologie ein "erhebliches Risikopotential" und wollte den Einsatz "umwelttoxischer Substanzen" nicht erlauben (131101). Anfang Juli 2014 einigten sich die SPD-geführten Ministerien für Umwelt und Wirtschaft auf gemeinsame Eckpunkte für die geplante Fracking-Regelung: Demnach werden Vorhaben zur Gasförderung aus Schiefer- und Kohleflözgestein oberhalb von 3000 Metern durch das Wasserhaushaltsgesetz verboten. Das sogenannte konventionelle Fracking, das seit den sechziger Jahren zur Erschließung von "Tight Gas" angewendet wird, bleibt dagegen grundsätzlich möglich. Es wird aber zusätzlichen Regelungen unterworfen. Unter anderem darf die eingesetzte Frack-Flüssigkeit "insgesamt maximal schwach wassergefährdend" sein. In Wasserschutzgebieten wird Fracking jeglicher Art untersagt, wobei es den Ländern freisteht, dieses Verbot auch auf Trinkwassergewinnungsgebiete auszuweiten.

Fracking-Lobby will Schlupflöcher im Gesetzentwurf noch mehr ausweiten

Die Opposition sprach daraufhin von einem "Fracking-Ermöglichungsgesetz", mit dem sich die schwarz-rote Koalition dem Druck der Industrie gebeugt habe: Die vorgesehene Regelung enthalte "Schlupflöcher, die so groß wie Scheunentore sind", erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Oliver Krischer. Zum Beispiel könne über die Zulassung von sogenannten Forschungsprojekten sogar das Fracking-Verbot für Schiefergas umgangen werden.

Der Fracking-Lobby gefällt der Gesetzentwurf aus einem anderen Grunde nicht: Aus ihrer Sicht wird sie zu stark beschränkt. Sie sieht aber die Chance, das jetzt noch durch eine geschickte PR-Strategie zu ändern. Oberster Grundsatz ist dabei, kein nacktes Profitinteresse durchschimmern zu lassen. Die Kampagne, die Exxon im September startete, spricht stattdessen von der Energiewende, die durch die Erschließung von "heimischem Schiefergas" gesichert werden müsse. Sie spekuliert damit auf die Ängste, die durch den brutalen Angriff Rußlands auf die Ukraine und die daraus resultierenden weltpolitischen Spannungen freigesetzt wurden. Die übergroße Abhängigkeit der europäischen Länder von russischen Gaslieferungen wird seitdem nicht mehr so verdrängt wie früher, sondern als großes Übel empfunden, das es nach Möglichkeit zu beseitigen gilt.

Insbesondere versuchen die PR-Strategen den Eindruck zu erwecken, als ob es inzwischen möglich sei, das Fracking umweltverträglich zu gestalten. Exxon rühmte in Zeitungsanzeigen ein neues Fracking-Gemisch, das zu 99,8 Prozent aus Wasser bestehe und im übrigen "nur noch zwei ungiftige und zudem biologisch leicht abbaubare Zusätze" enthalte (141009).

"Schiefergas-Fracking kann keinen nennenswerten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten"

Allerdings würde auch ungebremstes Fracking an der übergroßen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen nicht viel ändern. Von den 13 Billionen Kubikmetern Erdgas, die in deutschen Schiefergesteinen vermutet werden, gelten nur 1,3 Billionen Kubikmeter als technisch abbaubar. Und rentabel abbaubar – außerhalb der unerläßlichen Schutzzonen – wären gerade mal 0,2 Billionen Kubikmeter. Das würde ungefähr dem deutschen Gasverbrauch von zwei Jahren entsprechen (140805). Und falls man tatsächlich mal eine solche eiserne Reserve brauchen würde, wäre sie für alle Zeiten weg. Volkswirtschaftlich bringt Fracking also wenig, obwohl es den einschlägigen Konzernen Milliardengewinne bescheren könnte.

Der "Sachverständigenrat für Umweltfragen" warnte schon vor der Ukraine-Krise vor der Illusion, mit Schiefergas-Fracking die grundsätzliche Schieflage des deutschen und europäischen Energie-Mixes beseitigen zu können. Die Gewinnung von Schiefergas in Deutschland werde keinen nennenswerten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können, stellte er fest. Die heimischen Potenziale, die unter angemessenen Umweltauflagen wirtschaftlich rentabel gefördert werden können, seien auch viel zu niedrig, um einen nennenswerten Einfluss auf die Gaspreise in Deutschland ausüben zu können (130606).

EU-Kommission beschränkt sich auf unverbindliche Empfehlungen

Leichtes Spiel hat die Fracking-Lobby bisher nur in Polen und Großbritannien. Auf Drängen dieser beiden Länder verzichtete die EU-Kommission auf verbindliche Minimalanforderungen in den Mitgliedsstaaten. Sie beschränkte sich auf eine Empfehlung mit "Mindestgrundsätzen" für die Förderung von Schiefergas. Die Mitgliedstaaten werden gebeten, diese Grundsätze innerhalb von sechs Monaten anzuwenden und der Kommission ab Dezember 2014 jährlich mitzuteilen, welche Maßnahmen eingeführt wurden. Die Empfehlungen sind jedoch unverbindlich. Sie geben deshalb grundsätzlich allen Mitgliedsstaaten grünes Licht zur Ausbeutung ihrer vermuteten Schiefergasvorkommen (140112). Die Zahlen für Polen wurden allerdings bereits wieder kräftig nach unten korrigiert. Sie betragen jetzt nur noch ein Siebtel bis ein Fünfzehntel der ursprünglich angegebenen 5,3 Billionen Kubikmeter (120305). Außerhalb der EU setzt vor allem die Ukraine auf Schiefergas. Verständlicherweise greift dieses maträtierte Land nach jedem Strohhalm, um seine erdrückende Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu mildern (130111).

Druck auf deutsche Gesetzgebung zielt auch auf Frankreich

Daß Energiekonzerne wie Exxon nun in Deutschland mobil machen, um doch noch eine Aufweichung der vorgesehenen Gesetzgebung zu erreichen (oder zumindest eine Verschärfung zu verhindern), dürfte auch mit Blick auf Frankreich geschehen. Wenn es ihnen dort gelänge, den Fracking-Widerstand zu schleifen, wäre das der größte Erfolg, den sie in Europa überhaupt erringen könnten. Und wenn es ihnen gelänge, die in Deutschland geplante Gesetzgebung noch ein Stück mehr aufzuweichen, wäre das ein wichtiger Vorerfolg mit Signaleffekt für Frankreich. Unsere französischen Nachbarn hegen nämlich eine fatale Bewunderung für das "modèle allemand". – Fatal deshalb, weil sie die vielschichtigen und tief in der unterschiedlichen Historie wurzelnden Gründe für die Überlegenheit der deutschen Wirtschaft oft genau an der falschen Stelle suchen*. Zum Beispiel wird ihnen derzeit von interessierter Seite der Sozialabbau nach Art von "Hartz IV" als nachahmenswertes Beispiel empfohlen. In ähnlicher Weise könnte ihnen eine geschickte mediale Instrumentierung die Zulassung von Fracking in Deutschland als eines der Erfolgsrezepte des "modèle allemand" präsentieren und schmackhaft machen. Wie schnell sich die öffentliche Meinung auch mit dürftigen Argumenten beeinflussen läßt, hat in Deutschland soeben das Fernsehmagazin "Panorama" vorgemacht (141009).

 

 

 

 

 

*Eine lesenswerte Darstellung dieser Mißverständnisse gibt Guillaume Duval in dem 2013 erschienenen Buch "Made in Germany - Le modèle allemand au-dela des mythes" (Editions du Seuil). Insbesondere sieht er im Schröderschen Sozialabbau kein nachahmenswertes Modell für Frankreich, sondern ein Indiz für den bereits begonnenen Abstieg des "modèle allemand".