August 2014

140806

ENERGIE-CHRONIK


EnBW will Stuttgarter Hochspannungsleitungen nicht abgeben

Die Stadt Stuttgart und die Energie Baden-Württemberg (EnBW) unterzeichneten am 15. August die Verträge zur Umsetzung der vor fünf Monaten beschlossenen Kooperation. Demnach wird bis 2019 sowohl das Eigentum an den städtischen Strom- und Gasnetzen als auch die Betriebsführung einer neuen Netzgesellschaft übertragen, die mehrheitlich der Stadt gehört (140306). Für die Landeshauptstadt Stuttgart setzte Erster Bürgermeister Michael Föll sein Namenszeichen unter die Verträge. Für die Stadtwerke Stuttgart erfolgte die Paraphierung durch den Geschäftsführer Michael Maxelon und für die EnBW-Verteilnetztochter Netze BW durch Steffen Ringwald, der für den Konzernbereich Kommunale Beziehungen zuständig ist.

Bei der Formulierung der Verträge gab es jedoch Differenzen darüber, wie § 46, Abs. 2, Satz 2 des Energiewirtschaftsgesetzes auszulegen ist, wonach der alte Energieversorger "seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen" hat. Die EnBW vertritt die Auffassung, daß rund 150 Kilometer Hochspannungsleitungen (110 Kilovolt) und die Hochdruck-Gasleitungen im Verteilgebiet nicht von dieser Formulierung erfaßt werden.

Ohne Einigung kann das Stromnetz nur auf der unteren Ebene entflochten werden – und das Gasnetz gar nicht

Wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung hieß, soll dieser Streit gerichtlich entschieden werden, falls es nicht doch noch zu einer Einigung kommt. Die Auseinandersetzung in diesem Punkt bleibe "im Einvernehmen aller Vertragspartner jedoch ohne Nachteil für die Kooperation selbst". Unabhängig von einer möglicherweise gerichtlichen Klärung werde das Stromnetz auf der niederen und mittleren Netzebene unmittelbar entflochten, um einen Netzbetrieb zum 1. Januar 2016 zu ermöglichen. Beim Gasnetz sei dagegen eine solche Vorgehensweise aufgrund der erheblich größeren Entflechtungskosten wirtschaftlich nicht vertretbar. Falls es in den weiteren Gesprächen keine baldige Einigung gebe, werde deshalb zunächst rechtlich zu klären sein, ob die Gas-Hochdruckebene ebenfalls übertragen werden muß. Daraufhin werde "schnellstmöglich die notwendige Entflechtung durchgeführt, um einen einheitlichen Netzbetrieb herzustellen".

Anspruch auf Übereignung hängt nicht von der Spannungsebene ab

In der Energiewirtschaft werden die klassischen "Hochspannungsleitungen" (110 kV) längst zur Verteilerebene gerechnet und höhere Spannungen (220 kV, 380 kV) als "Höchstspannung" bezeichnet. Entsprechend gehören Hochspannungsleitungen zum Zuständigkeitsbereich der regionalen und lokalen Verteilnetzbetreiber, während die Höchstspannungsleitungen in aller Regel den vier deutschen Transportnetzbetreibern unterstehen. Bei der EnBW ist das im ersten Fall die Tochter Netze BW und im zweiten die Tochter TransnetBW.

Auf diese allgemein übliche Unterscheidung wird es bei dem anstehenden Rechtsstreit allerdings nicht ankommen. Vielmehr geht es um die Auslegung des erwähnten § 46, Abs. 2, Satz 2 im Energiewirtschaftsgesetz. Dieser macht den Anspruch auf die Übereignung von Leitungen nicht von der Spannungsebene abhängig, sondern davon, ob die Leitung für den Betrieb des Verteilnetzes notwendig ist. Die Stadt Stuttgart könnte deshalb sogar die Übereignung einer Höchstspannungsleitung verlangen, wenn es eine solche gäbe und sie – wie etwa die Berliner 380-kV-Diagonale (001103) – für den Betrieb des städtischen Verteilnetzes unverzichtbar wäre.

EnBW hätte bei einem Rechtsstreit eher schlechte Karten

In der bis 2011 geltenden Fassung des Paragraphen war anstelle von "übereignen" lediglich von "überlassen" die Rede. Unter Juristen löste dies einen Streit darüber aus, ob tatsächlich ein Anspruch auf Eigentümerwechsel bestehe oder ob die Überlassung nicht auch beispielsweise in Form eines Pachtvertrags erfolgen könne. Der Bundesgerichtshof stellte demgegenüber vor kurzem klar, daß die Klarstellung, die der Gesetzgeber mit der sprachlichen Änderung vornahm, auch bereits aus der alten Fassung abzuleiten gewesen sei.

In dem am 3. Juni dieses Jahres verkündeten Beschluß des Karlsruher Kartellsenats ging es um einen Rechtsstreit der Stadt Homberg (Efze) und des Stromversorgers KBG mit der E.ON Mitte AG. Die Stadt hatte der Genossenschaft KBG Homberg, die bisher nur in der Kernstadt das Stromnetz betrieb, ab 2012 die Konzession für weitere Stadtteile übertragen. E.ON verweigerte jedoch die Herausgabe von sieben Mittelspannungsleitungen, welche diese Stadtteile miteinander verbinden. Auf Antrag der KBG Homberg leitete daraufhin die Bundesnetzagentur ein Mißbrauchsverfahren nach § 31 des Energiewirtschaftsgesetzes ein und verpflichtete die E.ON Mitte zur Übertragung der Leitungen bis 31. Mai 2012. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob diese Entscheidung im Dezember 2012 wieder auf, worauf die KBG Homberg Beschwerde beim Bundesgerichtshof erhob.

Der Bundesgerichtshof wies diese Beschwerde jetzt zwar ab, weil die Konzessionsvergabe an die KBG nicht gemäß den rechtlichen Vorschriften erfolgt sei und die Begründung der Bundesnetzagentur juristische Mängel aufgewiesen habe. Zum eigentlichen Streitpunkt – nämlich dem Anspruch auf Übereignung von sieben Mittelspannungsleitungen – heißt es aber in den Leitsätzen des Beschlusses:

"Der Übereignungsanspruch nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF umfaßt gemischt genutzte Mittelspannungsleitungen jedenfalls dann, wenn an diese (Groß-)Kunden als Letztverbraucher angeschlossen sind."

An anderer Stelle des Beschlusses wird festgestellt:

"Die Abgrenzung zwischen dem örtlichen Verteilernetz und Durchgangsleitungen erfolgt funktional, also nach der Funktion der konkreten Anlage, nicht etwa pauschal nach Spannungsebenen."

Die EnBW dürfte somit eher schlechte Karten haben, wenn sie jetzt einen Rechtsstreit um die Übereignung ihrer für das Stuttgarter Verteilnetz notwendigen Hochspannungsleitungen beginnt.

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