April 2014

140402

ENERGIE-CHRONIK


RWE liefert Erdgas per "Schubumkehr" an die Ukraine

Infolge der Streichung der russischen Gas-Rabatte für die Ukraine (140304) stieg der von Gazprom verlangte Preis ab 1. April von 268,50 auf 485 Euro pro tausend Kubikmeter. Er ist damit derart überhöht, daß es sich für Gazprom-Kunden in Westeuropa rentiert, aus Rußland bezogenes Erdgas in Richtung Osten zurückzutransportieren und es an die Ukraine zu verkaufen. Vor diesem Hintergrund hat RWE am 15. April auf Anforderung des Staatsunternehmens Naftogaz erneut mit Gaslieferungen an die Ukraine begonnen. Die technischen Voraussetzungen dafür wurden nach der vom Kreml Anfang 2009 herbeigeführten Gasversorgungskrise (090101) geschaffen, indem die Netzbetreiber auf Drängen und mit Unterstützung der Europäischen Kommission die durch Osteuropa führenden Pipeline-Stränge teilweise zur Schubumkehr ("reverse flow") befähigten (100313). In den so umgerüsteten Leitungssträngen können die Gasmengen bei Bedarf auch von Westen nach Osten transportiert werden.

Der 2012 geschlossene Rahmenliefervertrag wurde bereits im Vorjahr aktiviert


Diese Karte zeigt die drei großen Pipelines, die russisches Erdgas nach Westeuropa transportieren: Nord Stream, Jamal und
Brotherhood/Transgas. Zur Versorgung der Ukraine aus dem Westen wäre Transgas ideal geeignet. Man bräuchte nur eine oder mehrere der nicht ausgelasteten Röhren auf Schubumkehr umstellen. Die Slowakei hat aber Angst vor Repressalien des Kreml. Sie hat deshalb nur einer Art Bypass-Lösung zugestimmt, die am östlichen Ende der Transgas den Gasfluß in Richtung Ukraine übernimmt und aufgrund ihrer beschränkten Kapazität begrenzt.

Grafik: Wikipedia/Samuel Bailey (Ausschnitt)

Zu Menge, Preis und Herkunft des Gases machte RWE keine Angaben. Es hieß lediglich, die Lieferungen würden "aus dem europaweiten Gasportfolio des Konzerns" stammen und nach "europäischen Großhandelspreisen für Gas einschließlich der Transportkosten" berechnet. Der Verkauf erfolge auf der Basis eines Fünf-Jahres-Rahmenvertrages zwischen RWE Supply & Trading und Naftogaz, der im Mai 2012 unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag erlaube die Lieferung von bis zu 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr auf der Basis von jeweils konkret zu verhandelnden Vertragsdetails. Schon im vergangenen Jahr habe RWE auf Basis dieses Vertrags eine Milliarde Kubikmeter an Naftogaz geliefert. Das ist insofern neu, als der Rahmenliefervertrag zwar bekannt war, aber es bisher keine offizielle Mitteilung über tatsächlich getätigte Lieferungen gab.

Jamal kann jetzt auch entgegen der Hauptflußrichtung benutzt werden

Das RWE-Gas gelangt über Polen in die Ukraine. Seit 1. April besteht die Möglichkeit der Schubumkehr ab der Meßstation Mallnow am Endpunkt der durch Polen führenden Jamal-Pipeline. Dadurch können bei Bedarf stündlich bis zu 620.000 Kubikmeter Erdgas vom deutschen Marktgebiet "Gaspool" (120409) nach Osten transportiert werden. Im Februar hatten die Netzbetreiber Gascade (Deutschland) und Gaz-System (Polen) für die beiden restlichen Quartale des am 1. Oktober endenden Gaswirtschaftsjahres gebündelte Kapazitäten von jeweils 282.677 Kubikmetern pro Stunde angeboten. Tatsächlich auktioniert wurden knapp dreißig Prozent der angebotenen Kapazität. Die jetzt von RWE gelieferte Gasmenge dürfte somit vergleichsweise gering sein und unter dem Niveau des Vorjahres bleiben. Der Transportnetzbetreiber Gascade ist übrigens ein Gemeinschaftsunternehmen der BASF-Tochter Wintershall und der Gazprom (121101).

EU-Lieferungen deckten 2013 sieben Prozent des ukrainischen Importbedarfs

Nach Angaben des polnischen Botschafters in Bratislava, Tomasz Chlon, belief sich der Gasverbrauch der Ukraine 2013 auf insgesamt 50,4 Milliarden Kubikmeter. Gegenüber dem Vorjahr war das ein Rückgang um 8,1 Prozent. Die eigene Förderung konnte das Land um vier Prozent auf 21 Milliarden Kubikmeter erhöhen. Aus Rußland wurden 25,8 Milliarden Kubikmeter bezogen. Aus den EU-Ländern kamen 2,1 Milliarden Kubikmeter. Davon stammten 890 Millionen aus Deutschland, 614 Millionen aus Ungarn, 534 Millionen aus Österreich und 93 Millionen aus Polen.

Die per Schubumkehr erreichte Entlastung der Ukraine durch Lieferungen aus der EU betrug somit nur etwa sieben Prozent ihres Importbedarfs. Das Haupthindernis besteht darin, daß es sich bei den bisher verfügbaren Verbindungen über Polen und Ungarn, die bei Drozdovichi bzw. Beregovo mit dem ukrainischen Gasnetz verknüpft sind, um eher periphere Pipelines handelt. Ihre Kapazität reicht nicht aus, um die Abhängigkeit des Landes von russischen Gasimporten wirksam zu lindern und eine weitere preispolitische Erpressung durch den Kreml zu verhindern.

Gazprom konnte bisher ausreichende Umrüstung der "Transgas"-Pipeline verhindern

Um die Ukraine mit großen Gasmengen aus der EU zu versorgen, müßte die Schubumkehr über die "Transgas"-Pipeline ermöglicht werden, die ab der ukrainischen Westgrenze die aus Sibirien kommende "Brotherhood"-Pipeline fortsetzt. Über diese mehrspurige "Gasautobahn" durch die Ukraine, die Slowakei und Tschechien flossen früher rund 80 Prozent der russischen Erdgaslieferungen nach Europa. Spätestens seit der Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline "Nord Stream" (111101) gibt es hier genug freie Kapazität, um eine oder mehrere der Röhren in der Gegenrichtung zu betreiben. In Tschechien hat man die technischen Voraussetzungen für die Schubumkehr bereits geschaffen. Auch die Slowakei kann inzwischen von Westen her mit Gas beliefert werden. Eine volle Nutzung der brachliegenden Kapazitäten der Transgas-Pipeline zur Versorgung der Ukraine aus dem Westen wäre ebenfalls realisierbar. Sie kam bisher aber nicht zustande, weil die slowakische Regierung Angst vor russischen Repressalien und Gazprom zu großen Einfluß auf den slowakischen Netzbetreiber Eustream hat.

Künstlicher Engpaß soll Kreml einen Rest an Erpressungspotential garantieren

Die Slowakei sei zur Herstellung der Schubumkehr grundsätzlich bereit, versicherte Ministerpräsident Fico am 10. April. Sie müsse aber auch ihre eigenen Interessen schützen. Vor allem müsse ein geeignetes technisches Verfahren gefunden werden, damit die Verträge mit Gazprom nicht verletzt würden, weil das sonst Sanktionen zur Folge hätte. Nach slowakischer Vorstellung sieht dieser Kompromiß so aus, daß die Meßstation Uzhgorod an der Schnittstelle zwischen "Transgas" und "Brotherhood" umgangen wird. Dazu soll eine Nebenleitung dienen, die kurz vor der Grenze von der Transgas zum Kraftwerk Vojany abzweigt und von dort weiter nach Uzhgorod in der Ukraine führt. Mit einem Aufwand von 21 Millionen Euro soll diese Verbindung so ertüchtigt werden, daß sie ab März 2015 rund 9 Milliarden Kubikmeter jährlich transportieren kann. Ab Oktober sei ein Drittel dieser Kapazität möglich.

Das wäre zwar erheblich mehr, als bisher aus der EU in die Ukraine gelangt, aber noch immer zu wenig, um weitere Erpressungungen durch Gazprom zu verhindern. Insofern könnte sich auch der Kreml mit dieser bewußt geschaffenen Engpaß-Lösung anfreunden. Die westlichen Lieferungen an sich würden die Russen sowieso nicht schmerzen, da es sich um Gas handelt, das faktisch von ihnen stammt und an dem sie in jedem Falle verdienen.

Am 15. April verhandelten die Transportnetzbetreiber Eustream (Slowakei) und Ukrtransgaz (Ukraine), die Energieminister beider Seiten und die EU-Kommission erneut über diesen strittigen Punkt. Es kam jedoch nur zur Unterzeichnung einer allgemeinen Rahmenvereinbarung. Nach einer weiteren Verhandlungsrunde zwischen den Energieministern und EU-Energiekommissar Oettinger stimmte am 28. April dann auch die ukrainische Seite der Schmalspur-Lösung zu.

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