August 2013

130802

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Das Kraftwerk Staudinger liegt bei Großkrotzenburg am Main, der als Transportweg für die Steinkohle sowie zur Kühlung dient. In Betrieb ist derzeit nur noch der Block 5, dessen 141 Meter hoher Kühlturm rechts zu sehen ist und der mit den Dampfschwaden auch die gereinigten Rauchgase abführt. Links sieht man die stillgelegten Blöcke 1, 2 und 3 mit jeweils 195 Meter hohen Schornsteinen. Dazwischen den erdgasbetriebenen Block 4, der Ende 2012 ebenfalls vom Netz ging, aber auf Anweisung der Bundesnetzagentur noch bis März 2016 als Reservekraftwerk bereitgehalten werden muß. Zusätzlich will die Behörde nun auch Block 1 als Reservekraftwerk erhalten, mit dessen Demontage E.ON bereits begonnen hat.

Foto: Dmitry A. Mottl / Wikipedia

Bundesnetzagentur stoppt Abriß des Kraftwerks Staudinger 1

Die Bundesnetzagentur hat E.ON aufgefordert, den Rückbau des stillgelegten Steinkohlekraftwerks "Staudinger 1" bei Großkrotzenburg am Main einzustellen, damit das Kraftwerk notfalls wieder in Betrieb genommen werden kann. E.ON hat daraufhin die Demontage von Leittechnik, Generator und Kohleband vorerst gestoppt. Grundsätzlich läßt sich das Kraftwerk wieder betriebsbereit machen. Bis zum bevorstehenden Winter wird es aber noch nicht als Reservekraftwerk dienen können. Damit sei die Versorgungssicherheit "einem deutlichen zusätzlichen Risiko ausgesetzt", warnte der Chef der Behörde, Jochen Homann, in einem Brief an die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU).

Von insgesamt fünf Blöcken ist nur noch einer in Betrieb

Unter Berufung auf den Brief Homanns, der ihr vorliege, berichtete die "Frankfurter Allgemeine" am 17. August außerdem, daß die Bundesnetzagentur Anfang September in einem Gespräch mit allen Beteiligten endgültig klären wolle, ob und wie Staudinger 1 als Notfallreserve zur Sicherung der Stromversorgung eingesetzt werden kann. Da von den fünf Blöcken des Kraftwerks inzwischen nur noch einer in Betrieb ist, droht an dieser Stelle ein gravierendes netztechnisches Problem, das sich noch verschärfen wird, wenn aufgrund des neugefaßten Atomgesetzes zum 31. Dezember 2015 auch das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet wird (110601). Die Entwicklung der netztechnischen Situation hängt ferner davon ab, wie schnell die "Thüringer Strombrücke" (130703) und andere Netzausbauten fertig werden.

Stillegungen erfolgten planmäßig – der Ersatzneubau kam aber nicht zustande

Ursprünglich wollte E.ON am Standort Großkrotzenburg einen weiteren Steinkohle-Block mit einer Leistung von 1.100 MW und Fernwärme-Auskopplung errichten, der bis 2013 in Betrieb gehen sollte (080407). Er sollte die älteren Steinkohle-Blöcke 1 und 3 MW ersetzen sowie die endgültige Stillegung des Steinkohle-Blocks 2 ermöglichen (siehe Tabelle). Block 2 war schon vom E.ON-Vorgänger PreussenElektra als Reservekraftwerk eingestuft worden (970611). Man betrieb ihn dann noch kurze Zeit im Winter (001003), bis er im April 2001 endgültig in "Kaltreserve" überführt wurde.

Mit Blick auf den geplanten Neubau, der auch in einer vom BDEW im April 2012 veröffentlichen Liste der Kraftwerksneubauten noch auftauchte (120406), wurde so für alle drei Blöcke die Stillegung zum Jahresende 2012 beantragt und genehmigt. Allerdings hatte sich inzwischen der voraussichtliche Termin der Inbetriebnahme auf 2016 verschoben. Außerdem hatten sich Ende 2010 die Stadtwerke Hannover (Enercity), die sich ursprünglich mit 300 Millionen an den Gesamtkosten von 1,2 Milliarden Euro beteiligen wollten, aus dem Projekt zurückgezogen. E.ON bekam angesichts der Entwicklung auf dem Strommarkt ebenfalls kalte Füße. Das zeigte sich schon im Juni 2012, als der Konzern auch von der inzwischen erteilten zweiten Teilgenehmigung keinen Gebrauch machen wollte und dies vorläufig noch mit anhängigen Klagen begründete. Im November entschied er dann aber endgültig, auf den Neubau zu verzichten. Eine offizielle Mitteilung gab es dazu allerdings nicht.

Regierungspräsidium schaltete gegenüber der Bundesnetzagentur auf stur

Nachdem feststand, daß der geplante Block 6 nicht vor 2016 in Betrieb gehen würde, hatte E.ON den Weiterbetrieb von Block 1 bis zu diesem Termin beantragt und auch erhalten. Das Regierungspräsidium Darmstadt widerrief aber Ende 2012diese Entscheidung , weil das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, mit dem E.ON zur Stillegung der vier alten Blöcke in Datteln verpflichtet wurde (120314), auch in Hessen bindend sei. Ähnlich wie in Datteln (121107) wollte das Regierungspräsidium den Weiterbetrieb von Block 1 lediglich noch bis 30. April 2013 dulden, um die Versorgung von Hanau und Großkrotzenburg mit Fernwärme nicht zu gefährden.

Hinzu kam, daß E.ON inzwischen auch den erdgasbefeuerten Block 4 mit einer Leistung von 622 MW vom Netz genommen hatte, weil die Erzeugung von Spitzenlaststrom nicht mehr rentabel genug war. Deshalb läuft seit Anfang 2013 nur noch der Steinkohle-Block 5 im Regelbetrieb (510 MW mit Fernwärme-Auskopplung). Aus Sicht der Bundesnetzagentur ist das eine unhaltbare Situation, die einen sicheren Netzbetrieb gefährdet.

Nachdem das Regierungspräsidium Darmstadt auf der Stillegung aller drei Steinkohle-Blöcke beharrte und weitere Gespräche mit der Bundesnetzagentur als "nicht zielführend" ablehnte, machte die Behörde den Konflikt in ihrem "Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2012/13" vom 20. Juni 2013 publik:

"Dem Kraftwerk Staudinger 1 kommt eine besondere Bedeutung zu, da es an zentraler Stelle im Übertragungsnetz liegt. Eine endgültige Stillegung des Kraftwerks könnte insbesondere zu einer Gefährdung der Spannungshaltung in der Rhein-Main-Region führen. Außerdem wird das Kraftwerk Staudinger zur Entlastung hoch belasteter Nord-Süd-Leitungen benötigt. Mit dem Abschalten von Staudinger 1 wurden den Übertragungsnetzbetreibern 250 MW Erzeugungsleistung in der Rhein-Main-Region zur Beherrschung angespannter Systemzustände entzogen."

Auf Grundlage der neu erlassen "Reservekraftwerksverordnung" (130605) ordnete die Bundesnetzagentur zunächst an, daß der Erdgas-Block Staudinger 4 bis März 2016 als Reservekraftwerk vorgehalten werden muß. Dies genügt ihrer Ansicht nach aber nicht. Sie will deshalb auch Staudinger 1 für alle Fälle als Reservekraftwerk zur Verfügung haben.

Gegensätzliche Positionen innerhalb der hessischen Landesregierung

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden hessischen Landtagswahlen, die am 22. September zusammen mit den Bundestagswahlen durchgeführt werden, nahm die Auseinandersetzung um Staudinger 1 auch eine politische Dimension an: Während der hessische Wirtschaftsminister Florian Rentsch (FDP) den Standpunkt der Bundesnetzagentur unterstützte, forderte die Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) die Behörde auf, nach Alternativen zur Vorhaltung von Staudinger als Reservekraftwerk zu suchen, "statt einem Kraftwerk Krokodilstränen nachzuweinen, das rechtlich und faktisch nicht zur Verfügung steht". Der hessische FDP-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn betonte, daß diese Frage nicht allein von der Umweltministerin , sondern in "Kabinettsverantwortung" entschieden werden müsse. Offenbar wollte sich so jeder der beiden Koalitionspartner auf seine Weise im Wahlkampf profilieren. Eine Rolle könnte dabei auch spielen, das Jochen Homann auf Vorschlag der FDP zum Präsidenten der Bundesnetzagentur ernannt wurde (111219).

Das Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg war eines der leistungsstärksten der früheren PreussenElektra bzw. der heutigen E.ON und das größte konventionelle Kraftwerk in Hessen. Seinen Namen erhielt es von Hans Staudinger, der als preußischer Beamter dem Aufsichtsrat der Preußischen Elektrizitäts-AG von 1927 bis 1931 vorsaß. Hier eine Übersicht aller fünf Blöcke:

  Energieträger elektrische Leistung in MW (netto) Beginn der Netzeinspeisung vom Netz seit Netzebene der Einspeisung (Kilovolt) Kraft-Wärme-Kopplung
Block 1  Steinkohle 249 1965 2013 220 kV ja
Block 2 Steinkohle 249 1965 2001 220 kV ja
Block 3 Steinkohle 293 1970 2013 380 kV nein
Block 4 Erdgas 622 1977 2013 380 kV nein
Block 5 Steinkohle 510 1992 - 380 kV ja

 

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