Juni 2013

130605

ENERGIE-CHRONIK


Verordnung soll ausreichende "Netzreserve" sicherstellen

Die Bundesregierung verabschiedete am 12. Juni die Reservekraftwerksverordnung (ResKV). Sie nutzt damit eine der Ermächtigungen, die ihr durch das Ende 2012 beschlossene "Dritte Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften" eingeräumt wurden (121103). Auf Basis der neu in das Energiewirtschaftsgesetz eingefügten §§ 13a und 13b untersagt die Verordnung die Stillegung von Kraftwerken, die von der Bundesnetzagentur als "systemrelevant" zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit eingestuft werden, und regelt die Einzelheiten zur Vorhaltung einer entsprechenden "Netzreserve".

Die bis Ende 2017 befristete Notlösung zielt vor allem auf Gaskraftwerke

Ebenso wie die zugrundeliegenden Paragraphen des Energiewirtschaftsgesetzes ist die neue Verordnung nur als Notlösung zur Bewältigung der vordringlichsten Probleme bei der Aufrechterhaltung der Versorgungsssicherheit gedacht und bis 31. Dezember 2017 befristet. In einer Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums hieß es dazu: "Dieses Übergangsregime schafft Zeit für die über die Verordnung hinausgehenden anstehenden wichtigen Entscheidungen zum Strommarktdesign für den Bereich der konventionellen Stromerzeugung und für die untrennbar damit verbundene notwendige grundlegende EEG-Reform."

Im wesentlichen soll die Verordnung die Stillegung von Gaskraftwerken verhindern, deren Rentabilität wegen der zunehmende Einspeisung von Wind- und Solarstrom zu den Zeiten des höchsten Strombedarfs stark gesunken ist, die aber dennoch weiterhin bereitstehen müssen, um von Fall zu Fall die fluktuierende Erzeugung aus erneuerbaren Stromquellen ausgleichen zu können. Der Konflikt zwischen dem privatwirtschaftlichem Kalkül der Kraftwerksbetreiber und dem übergeordneten Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Netzbetrieb hat sich vor allem in Süddeutschland zugespitzt. Schon im April dieses Jahres kam es deshalb zwischen den Eigentümern des Gaskraftwerks Irsching, der Bundesnetzagentur und dem Netzbetreiber TenneT zu einer Sondervereinbarung, die den Weiterbetrieb dieser Anlage sicherte (130418).

Regulierungsbehörde erhält noch umfangreichere Befugnisse

Die jetzt erlassene Verordnung erweitert den Kompetenzbereich der Bundesnetzagentur noch mehr. Schon bisher verfügte die Behörde über weitreichende Möglichkeiten zur Steuerung der vorhandenen Kraftwerkskapazitäten per "Redispatch" (121109). Nun wird sie auch noch zur Bildung einer vertraglich abgesicherten Netzreserve ermächtigt (§ 1). Voraussetzung ist, daß andernfalls "örtliche Ausfälle des Übertragungsnetzes oder kurzfristige Netzengpässe zu besorgen sind oder zu besorgen ist, daß die Haltung von Frequenz, Spannung oder Stabilität durch die Übertragungsnetzbetreiber nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden kann" (§ 2).

Die Überprüfung des Bedarfs an Reservekraftwerken und der Systemrelevanz einzelner Anlagen erfolgt jährlich im Rahmen einer von den Übertragungsnetzbetreibern durchzuführenden Systemanalyse, deren Ergebnisse von der Bundesnetzagentur überprüft und in einem Bericht veröffentlicht werden (§ 3). Die Deckung des so ermittelten Bedarfs wird von den Übertragungsnetzbetreibern ausgeschrieben. Im Rahmen dieses Verfahrens kann der Betreiber einer zur Stillegung vorgesehenen Anlage diese als Reservekraftwerk anbieten. Er hat aber keinen Rechtsanspruch auf Abschluß eines Vertrags. Er muß außerdem damit rechnen, daß ein Konkurrent aus dem europäischen Energiebinnenmarkt und der Schweiz ein technisch gleichermaßen geeignetes Angebot abgibt und den Zuschlag erhält. Die Vertragsdauer kann bis zu 24 Monate, in begründeten Fällen auch länger betragen. (§ 4)

Zuerst müssen alle Möglichkeiten für "Redispatch" ausgeschöpft werden

Wenn der Betreiber einer zur Stillegung vorgesehenen Anlage den Zuschlag erhält, darf er diese nach Ablauf des Vertrages bis zur endgültigen Stilllegung nicht mehr am Energiemarkt einsetzen. Ein Vertrag mit einem anderen Anbieter aus dem europäischen Energiebinnenmarkt und in der Schweiz setzt voraus, daß die jeweils zuständigen nationalen Behörden keine Einwände mit Blick auf die Versorgungssicherheit im eigenen Land haben (§ 5).

Der Umfang der Kostenerstattung für die Nutzung der bestehenden Anlagen als Netzreserve wird in den jeweiligen Verträgen "auf Grundlage der Kostenstruktur der konkreten Anlage nach Abstimmung mit der Bundesnetzagentur festgelegt" (§ 6). Vor dem Einsatz der Reservekraftwerke müssen zunächst alle Möglichkeiten für den "Redispatch" ausgeschöpft werden, wie sie in § 13 Absatz 1 und 1a des Energiewirtschaftsgesetzes enthalten sind (§ 7).

Bundesnetzagentur könnte sogar den Neubau von Regel-Kraftwerken anordnen

Bei Bedarf könnte die Bundesnetzagentur einen Übertragungsnetzbetreiber sogar anweisen, den Neubau eines Kraftwerks zur Bereitstellung von Regelleistung auszuschreiben. Sollte kein Vertragsabschluß mit einem Interessenten zustande kommen, kann der Übertragungsnetzbetreiber das Projekt in eigener Regie errichten und betreiben (§ 8) . Das Kraftwerk darf aber nur als netztechnisches Betriebsmittel eingesetzt werden und ist nach Vertragsende abzubauen. Eventuelle Verkaufserlöse stehen dem Übertragungsnetzbetreiber zu (§ 9).

Die §§ 10 bis 11 der Verordnung präzisieren die gesetzlichen Eingriffsbefugnisse aufgrund von § 13 Abs. 1a und 1b und 13a des Energiewirtschaftsgesetzes. Gemäß § 13 hat die Bundesnetzagentur ihren ersten Bericht zum Bedarf an Netzreserve bis 15. September dieses Jahres zu veröffentlichen. Daraus sich ergebende Verträge sind bis 15. Oktober abzuschließen.

Regierung geht von nur geringer Belastung des Strompreises aus

In der Begründung der Verordnung schätzt die Bundesregierung die dadurch entstehenden Mehrkosten für Bereithaltung und Einsatz von bestehenden Anlagen als Reservekraftwerke auf 80 Millionen Euro pro Jahr. Dies werde zu einem Anstieg der Netzentgelte für Haushaltskunden in Höhe von ca. 0,024 Cent pro Kilowattstunde führen. Für einen Haushalt mit einem Durchschnittsverbrauch von 3.500 Kilowattstunden resultiere daraus eine Mehrbelastung von weniger als einem Euro pro Jahr. Falls es darüber hinaus zum Neubau von Kraftwerken kommen sollte, ergäben sich – bei einem angenommenen Zubau von 1 Gigawatt - für denselben Durchschnittsverbrauch "pro Jahr weitere zusätzliche Mehrkosten in Höhe von rund 0,95 Euro pro Jahr für einen Zeitraum von 15 Jahren".

Abschalt-Verordnung erbrachte nur wenig abschaltbare Leistung, aber hohe Kosten

Die seit Anfang 2013 geltende Abschalt-Verordnung (121204), die zur Stabilisierung des Netzes durch die Abschaltung von Großverbrauchern beitragen soll, stößt bisher bei den Betrieben, die für einen solchen Lastabwurf in Frage kommen, nur auf sehr mäßiges Interesse. Wie die "Frankfurter Allgemeine" (29.6.) berichtete, haben die Übertragungsnetzbetreiber anstelle der vorgesehenen Abschaltleistung von monatlich 3000 MW lediglich 579 MW vertraglich vereinbaren können. Dennoch belaufen sich die Kosten, die durch den Zwang zur Ausschreibung entstehen und von den Verbrauchern zu tragen sind, allein für den Monat Juli auf 1,5 Millionen Euro.

Links (intern)