März 2013

130317

ENERGIE-CHRONIK


Geschäftsmodell Vorkasse zieht nicht mehr

Das Geschäftsmodell der Vorkasse, das vor Jahren von sogenannten Billigstromanbietern entdeckt und strapaziert wurde, um ihre Angebote bei Tarifvergleichen an die Spitze zu befördern, spielt inzwischen keine große Rolle mehr. Wie der führende Tarifvergleicher Verivox am 11. März mitteilte, haben sich bei den von ihm vermittelten Lieferantenwechseln im zweiten Halbjahr 2012 lediglich 0,5 Prozent der Kunden für ein Vorkasse-Produkt entschieden. Insgesamt gebe es derzeit in Deutschland zwar noch 78 Stromvertriebe, die auch Tarife mit jährlicher Vorkasse offerieren. Davon seien jedoch 69 örtliche Grundversorger, die Kommunen und größeren Energiekonzernen gehören. Bei diesen Anbietern könne ein Insolvenzrisiko praktisch ausgeschlossen werden, so daß der Stromkunde nicht befürchten muß, die an den Lieferanten geleistete Vorauszahlung ohne Gegenleistung zu verlieren. Dennoch seien die Vorkasse-Angebote der Grundversorger wegen des geringen Einsparpotentials nicht zu empfehlen. Zum Beispiel betrage die Einsparung bei einem jährlichen Stromverbrauch von 4000 Kilowattstunden im Durchschnitt nur 30 Euro, wenn man das Vorkasse-Angebot mit anderen günstigen Tarifen derselben Anbieter vergleiche.

 

Hintergrund

Die Vorkasse ist tot – der Nachfolger heißt Bonus

Der führende Tarifvergleicher Verivox hat festgestellt, daß Vorkasse-Angebote zu 88 Prozent von den örtlichen Grundversorgern angeboten werden (siehe oben). Da Vorkasse-Angebote inzwischen reichlich diskreditiert sind – und das durchaus zu Recht – wirft das zunächst mal ein schlechtes Licht auf die Stadtwerke und andere Grundversorger. Genaueres Hinsehen zeigt aber, daß es sich eher um eine Art Verzögerungseffekt handelt: Die Grundversorger haben die Vorkasse-Angebote einst eingeführt, um bei der Schönung der Vergleichsergebnisse durch "unabhängige" Stromanbieter mithalten zu können. In ähnlicher Weise zogen sie nach, als die Internet-Konkurrenten ihre aggressive Vertriebsstrategie auf Bonus-Versprechungen umstellten. Bei der Vorauskasse haben sich solche Abwehrmaßnahmen inzwischen weitgehend erübrigt. An dieser Front finden keine Preisschlachten mehr statt. Ganz darauf verzichten will man aber vorläufig noch nicht. Deshalb stehen die Vorkasse-Angebote in der Stromlandschaft herum wie die Endmoränen der Eiszeit.

Zum Rückgang der Vorkasse-Angebote hat der Tarifvermittler Verivox selber beigetragen, indem er sie seit Oktober 2011 nicht mehr in seinen Voreinstellungen automatisch berücksichtigt (111018). Allerdings entschloß er sich dazu erst nach der Insolvenz des Vorkasse-Anbieters Teldafax, die Hunderttausende von Stromkunden um ihre Vorauszahlungen brachte (110613) und Verivox den Vorwurf eintrug, mit dem betrügerischen Unternehmen gekungelt zu haben (110909). Außerdem handelte es sich nicht um eine grundsätzliche Abkehr von den alten Praktiken, denn in der Normalansicht der Ergebnislisten berücksichtigte Verivox weiterhin Tarife mit Bonus-Zahlungen. Diese wurden aber im Grunde ebenfalls nur erfunden, um das Vergleichsergebnis zu schönen. Hauptsächlich wegen dieser Halbherzigkeit beim Verbraucherschutz wurde Verivox bei der jüngsten Untersuchung der Stiftung Warentest von "sehr gut" auf "befriedigend" abgewertet (130205).

Die Bonus-Angebote haben inzwischen die Vorkasse-Angebote, mit denen die beiden führenden Internet-Stromanbieter Teldafax und Flexstrom einst ihren Aufstieg begründeten, fast völlig verdrängt. Diese Umschichtung erfolgte nicht erst mit dem Teldafax-Skandal, durch den die Vorkasse-Angebote endgültig diskreditiert wurden, sondern zeichnete sich bereits vorher ab. Zum Beispiel konstatierte Verivox schon im April 2010 in einem Rückblick auf das abgelaufene Geschäftsjahr: "Als eine der wichtigsten Wettbewerbsstrategien erweisen sich 2009 verschiedene Rabatte und Boni für Neukunden. Durch Wechselboni werden die Preise im ersten Vertragsjahr niedrig gehalten. Tarife mit Vorauskasse oder Kaution fanden jedoch kaum Nachahmer."

Viereinhalb Jahre früher hatte Verivox dem Vorkasse-Modell des Geschäftspartners Flexstrom noch ein Sonderlob gezollt: "Die Flexstrom GmbH ist derzeit in den meisten Regionen Deutschlands der preiswerteste Energieanbieter", hieß es in einer Verivox-Meldung vom Oktober 2005. "Auf dem deutschen Strommarkt stellt das Tarifsystem der Flexstrom GmbH eine Innovation mit hohem Sparpotential für den Verbraucher dar."

Günstig war das Vorkasse-Modell indessen noch nie. Zumindest nicht für einen normalen Stromkunden, der seinen jährlichen Verbrauch nur näherungsweise abschätzen kann. Denn er zahlte im voraus den Preis für eine bestimmte Strombezugsmenge. Verbrauchte er weniger, so bekam er keine Erstattung. Verbrauchte er aber mehr, dann schlugen die Lieferanten gnadenlos zu und berechneten den zusätzlichen Strom zu deutlich höheren Preisen. In beiden Fällen machten die Anbieter einen zusätzlichen Gewinn. Die von Verivox angepriesene "Innovation mit hohem Sparpotential für den Verbraucher" war also eine Zwickmühle, aus der sich höchstens Masochisten befreien konnten, die abends im Dunkeln saßen oder bei denen die Küche kalt blieb, um punktgenau die vereinbarte Liefermenge zu erreichen. Verfälscht wurde der optisch günstige Preis auch durch den Umstand, daß der Kunde dem Lieferanten faktisch ein zinsloses Darlehen gewährte. Hinzu kam schließlich das Insolvenzrisiko, das zumindest für Hunderttausende von Teldafax-Kunden mehr als nur ein Risiko war.

Die Bonus-Versprechungen, die inzwischen das Vorkasse-Modell abgelöst haben, sind mindestens ebenso tückisch. Das zeigen allein schon die zahllosen Kundenbeschwerden über den Internet-Stromanbieter Flexstrom, der in seiner Werbung durch irreführende oder zumindest mißverständliche Formulierungen den Eindruck erweckte, die Kunden würden den versprochenen Bonus schon bei Kündigung des Vertrags zum Ende des ersten Lieferjahrs erhalten (130112). Das böse Erwachen kommt dann, wenn die tatsächliche Stromrechnung weit höher ausfällt, als aufgrund der Angaben beim Tarifvergleich erwartet wurde. Auch Verivox wollte die "Bauernfängerei", wie das Heidelberger Landgericht diese Praxis bezeichnete, nicht länger mitmachen und verzichtete Ende 2011 auf die Provisionen von Flexstrom wegen "unterschiedlicher Auffassungen zum Verbraucherschutz" (111211).

Aber auch ohne Tricks sind Bonus-Angebote im Grunde Augenwischerei, weil der versprochene Preis allenfalls für ein Jahr und nur bei rechtzeitiger Kündigung des Liefervertrags zu erzielen ist. Bei einem solchen "Tarif-Hüpfen" kämen die meisten Anbieter nicht auf ihre Kosten. Die Praxis sieht auch anders aus. Deshalb handelt es sich im Grunde um Lockangebote, um eine doppelte Spekulation auf unrealistische Einspar-Erwartungen und die Trägheit des Kunden.

Wenn Politiker vorrechnen, welche Einsparungen ein Stromkunde unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Tarifvergleichs erzielen könnte, ist das mit großer Vorsicht zu genießen, weil sie ihre Berechnungen in aller Regel auf irgendein Bonus- oder sonstiges Angebot gründen, von dem man lieber die Finger lassen sollte. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der ganze Vertriebs-Klimbim mit Hunderten von Stromanbietern sowieso nur eine Veranstaltung, die die Vertriebskosten in die Höhe treibt und damit den kontinuierlichen Strompreisanstieg eher beschleunigt als verlangsamt (siehe 120506 und Hintergrund Dezember 2010).