Mai 2011

110503

ENERGIE-CHRONIK


"Stresstests" für europäische Reaktoren fallen sehr milde aus

Die "Stresstests" für die 143 Kernkraftwerke in der EU, die nach der Reaktorkatastrophe in Japan auf Vorschlag von Energiekommissar Günther Oettinger beschlossen wurden (110304), werden sehr milde ausfallen. Dies ergibt sich aus den Kriterien, auf die sich am 24. Mai die Kommission mit dem Gremium der Atomaufsichtsbehörden (European Nuclear Safety Regulators' Group – ENSREG) einigte. Wie bei der inzwischen abgeschlossenen Untersuchung der deutschen Reaktorsicherheitskommission (110506) handelt es sich nicht etwa um eine Überprüfung der technischen Gegebenheiten an Ort und Stelle, sondern um eine Auswertung von schriftlichen Unterlagen, die die Betreiber der Reaktoren von Mitte August bis Ende Oktober vorzulegen haben. Die Anforderungen sind eher noch geringer. Falls es Beanstandungen geben sollte, resultieren daraus für die Betroffenen keine Verpflichtungen. Die Teilnahme an der Begutachtung bleibt ohnehin freiwillig.

Anfang Mai sah es sogar so aus, als würde nur eine Gefährdung durch Naturkatastrophen wie Erdbeben und Flutwellen in Betracht gezogen. Auf Drängen Oettingers werden nun auch noch Flugzeugabstürze und andere durch "menschliches Versagen" herbeigeführte Gefahren untersucht. In der Pressemitteilung der EU ist ferner von der Überprüfung auf Terroranschläge die Rede. Diese gehört aber nicht zum Kriterienkatalog der am 1. Juni beginnenden Aktion, sondern wird lediglich in einer noch zu schaffenden Arbeitsgruppe der ENSREG diskutiert.

Damit fänden lediglich "Alibitests" statt, kommentierte die Vorsitzende der Grüne/EFA Fraktion im Europaparlament, Rebecca Harms, das Verhandlungsergebnis. "Offensichtlich hat Energiekommissar Oettinger im Kampf für umfassende und transparente Stresstests für die europäische Reaktorflotte nachgegeben. Die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Bewertung der Risiken durch Terrorangriffe riecht nach Gesichtswahrung."

Oettinger zeigte sich dagegen mit der nunmehr erreichten Beschlußlage zufrieden: Es sei nicht sein Auftrag, den Ausstieg aus der Kernenergie voranzutreiben, sagte er. In der Tat dürfte der Kernenergie-Anhänger Oettinger sein eigentliches Ziel erreicht haben, das darin besteht, die nuklearen Kompetenzen der Brüsseler Kommission gegenüber denen der nationalen Regierungen zu erweitern. Dabei kann er auch auf die Unterstützung von Kritikern zählen. So bedauerte der SPD-Europaabgeordnete Peter Lange die "Aufweichung" der Stresstests, die von der "Macht der Atomlobby in manchen Mitgliedstaaten" zeuge. Es sei deshalb an der Zeit, "Atompolitik endlich auf die europäische Ebene zu verlagern".

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