April 2011

110401

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Stromlücke, die ab 16. März durch die Abschaltung der fünf Kernkraftwerke entstand (rote Kurve), wurde von den Energiekonzernen durch eine entsprechende Steigerung der Stromimporte ausgeglichen (grüne Kurve). Das kam für sie billiger, als wenn sie die durchaus noch vorhandenen Kraftwerksreserven hochgefahren hätten.

Grafik: BDEW (bearbeitet)

Bundesnetzagentur sieht "keine akute Gefährdung des Netzes, aber angespannte Situation ab Herbst"

Die Bundesnetzagentur hat bisher "keine Hinweise auf akute Gefährdungen der Systemsicherheit" durch das von der Bundesregierung erzwungene KKW-Moratorium (110302). Für die Dauer des Moratoriums und voraussichtlich auch für das restliche Sommerhalbjahr werde "die Netzsituation vermutlich beherrschbar bleiben", heißt es in einem vom 11. April datierten Bericht der Behörde an das Bundeswirtschaftsministerium, den das Ministerium vier Tage später veröffentlichte. In ihrem Bericht warnte die Bundesnetzagentur aber nachdrücklich vor "weiteren unkoordinierten Schritten" der politischen Instanzen. Die dadurch entstandene Situation werde im Herbst und Winter dieses Jahres "vermehrt mit angespannten Netzsituationen einhergehen". Es dürfe nicht zu weiteren Abschaltungen kommen, "die nicht ausreichend mit den Übertragungsnetzbetreibern abgesprochen und mit einem hinreichenden planerischen Vorlauf versehen sind".

Im Klartext bescheinigt die Bundesnetzagentur der Bundesregierung damit ein ziemlich ignorantes Vorgehen, als sie aus rein politischen Gründen am 14. März die Abschaltung sämtlicher sieben Reaktoren verfügte, die bis Ende der siebziger Jahre ans Netz gingen. Unmittelbar betroffen von dieser Entscheidung waren die fünf in Betrieb befindlichen Reaktoren Unterweser, Biblis A, Isar 1 , Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 mit einer Nettoerzeugungskapazität von 5.065 Megawatt (MW). Das Kernkraftwerk Brunsbüttel war bereits seit Juni 2007 abgeschaltet (070608) und Biblis B stand revisionsbedingt still. Zudem ging die Bundesregierung davon aus, daß auch das Kernkraftwerk Krümmel abgeschaltet bleibt, dessen Wiederinbetriebnahme im Juli 2009 gescheitert war (090701). Krümmel gehört zu den zehn neueren Reaktoren, die eben erst mit einer Laufzeitverlängerung um 14 Jahre bedacht wurden (100901). Insgesamt erstreckte sich so das Moratorium auf acht Reaktoren mit einer Nettoleistung von 8.422 MW oder 41 Prozent der Gesamtkapazität aller 17 deutschen Kernkraftwerke (080401). Die Bundesnetzagentur umschreibt die etwas nebulösen Konturen des Moratoriums, indem sie von der "Abschaltung der 7 + 1 Kernkraftwerke" spricht.

 

 

Wie diese Grafik zeigt, erzielte Deutschland bis zum Moratorium im Stromhandel mit den Nachbarn einen täglichen Leistungsüberschuß von duchschnittlich 4100 MW. Nach dem Abschalten der fünf Kernkraftwerke wurde daraus ein Importüberschuß von durchschnittlich 960 MW. Die Differenz entsprach also ziemlich genau den 5065 MW Nettoerzeugungskapazität, die infolge des Moratoriums vom Netz gingen.

Die Grafik läßt ferner erkennen, daß der physikalische Stromfluß weitgehend mit der Stromhandelsbilanz übereinstimmt, sofern sämtliche grenzüberschreitenden Verbindungen erfaßt werden. Der direkte Stromfluß über die Kuppelstellen zwischen Deutschland und den einzelnen Nachbarländern weicht dagegen mehr oder weniger stark von den vertraglich vereinbarten Lieferungen ab, weil sich der Stromaustausch über das Netz nicht an Ländergrenzen hält (110115).

Grafik: BNA (bearbeitet)

Abschaltung der fünf KKW konnte durch vermehrte Importe ausgeglichen werden

Die deutschen Energiekonzerne konnten die Stromlücke, die durch die Abschaltung der fünf Kernkraftwerke entstand, durch vermehrte Importe aus den angrenzenden Ländern ausgleichen. Das kam für sie billiger, als wenn sie die durchaus noch vorhandenen Kraftwerksreserven im eigenen Land aktiviert hätten. Der übliche Exportüberschuß der deutschen Stromwirtschaft wurde deshalb nach dem Abschalten der fünf Kernkraftwerke zu einem Importüberschuß. Vor allem im Handel mit Frankreich, Tschechien und Dänemark war ein deutliche Veränderung der Export-Import-Relationen zu beobachten.

Bis zum Moratorium verzeichnete die deutsche Stromwirtschaft in der Leistungsbilanz mit den Nachbarländern pro Monat einen durchschnittlichen Exportüberschuß von 4100 MW. Nach dem Abschalten der fünf Kernkraftwerke wurde daraus ein Importüberschuß von durchschnittlich 960 MW. Die Differenz entsprach also ziemlich exakt den 5065 MW Nettoerzeugungskapazität, die infolge des Moratoriums vom Netz gingen (siehe Grafik 2). In elektrischer Arbeit ausgedrückt, verwandelte sich der Exportüberschuß von täglich 98 Gigawattstunden (GWh) nach dem Abschalten der Kernkraftwerke in einen Importüberschuß von täglich 23 GWh (siehe Grafik 1).

Im Mai könnten sogar 16000 MW Grundlast fehlen

Das heißt aber nicht, daß die deutsche Stromversorgung problemlos auf 5.000 MW Grundlast oder gar schlagartig auf sämtliche Kernkraftwerke verzichten könnte. Das von der Bundesregierung erzwungene Moratorium birgt durchaus Gefahren für die Netzsicherheit. Die daraus entstehenden Risiken für die Stromversorgung sind sogar um einiges realer als die plötzlich entdeckten Risiken der Kernkraftwerke, denen die schwarz-gelbe Regierung noch vor kurzem eine Laufzeitverlängerung von bis zu 14 Jahren spendiert hat (100901).

Am 26. März wurde außerdem das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld vom Netz genommen, um die die Brennelemente zu wechseln und die jährliche Anlagenrevision durchzuführen. Damit sind weitere 1275 MW Kraftwerkskapazität bis Mitte/Ende Mai nicht verfügbar. Außerdem sollen im Mai die Kernkraftwerke Gundremmingen B (1345 MW) und Philippsburg 2 (1379 MW) zur planmäßigen Revision vom Netz gehen. Zusammen mit weiteren planmäßigen Kraftwerks-Stillständen ergäbe sich so fast eine Verdoppelung der durch das Moratorium stillgelegten Kraftwerkskapazität auf rund 16000 MW. Da Kraftwerks-Revisionen von langer Hand geplant werden und sich insbesondere bei Kernkraftwerken nur schwer verschieben lassen, ist es auch kaum möglich, der im Mai auftretenden Kapazitätslücke die Spitze zu nehmen.

Das eigentliche Problem sind Netzengpässe und fehlende Blindleistung

Es liegt auf der Hand, daß der Verlust von soviel Grundlast-Kapazität technisch wie wirtschaftlich nicht einfach zu bewältigen ist. Rein rechnerisch stehen in Deutschland zwar hinreichend Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung, um einen derartigen Ausfall zu decken. Sogar zum Zeitpunkt der Jahreshöchstlast lag in Deutschland 2009 die verbleibende inländische Kraftwerksleistung um rund 20.000 MW über der Spitzenbedarf von 73.000 MW. Im Vergleich etwa mit Frankreich ist das ein recht sattes Polster (101207). In der Praxis des Netzbetriebs sind derart globale Rechnungen aber wenig sinnvoll, weil es auch auf den Typ des Kraftwerks ankommt und auf seinen Standort bzw. seine Funktion innerhalb des Netzes.

Das Problem sind zum einen die Netzengpässe, die sich seit 2009 im deutschen Übertragungsnetz häufen und die Netzbetreiber zunehmend zwingen, von den Ausnahmeregelungen in § 13 EnWG Gebrauch zu machen (101011). Zu Anfang des Jahres hat auch das Bundeswirtschaftsministerium festgestellt, daß die Stabilitätsgrenzen des elektrischen Systems bereits "punktuell zeitweise erreicht" sind (110114). Durch den Wegfall der fünf Kernkraftwerke entstehen neue Stromflüsse. Sie belasten das Netz noch mehr. Zugleich wird die notwendige Verstärkung bestehender Trassen fast unmöglich, weil man nicht mehr riskieren kann, diese vorübergehend abzuschalten.

Durch das Abschalten der Kernkraftwerke entfällt ferner die notwendige Blindleistung, die in Wechselstrom-Netzen zur Übertragung der Wirkleistung erforderlich ist. Die Blindleistung muß möglichst verbrauchsnah bereitgestellt werden. Es nützt deshalb wenig, wenn zwar Ersatzleistung aus weiter entfernten Kraftwerken verfügbar ist, die zur Übertragung notwendige Blindleistung aber nicht aufgebaut werden kann. Die Netzbetreiber müssen dieses Problem nun zu beheben versuchen, indem sie die Einspeisung von Blindleistung anders organisieren oder Kompensationsanlagen einbauen. Die Bundesnetzagentur hält es beispielsweise für erforderlich, geplante KKW-Revisionen eventuell zu verschieben und anstehende Wechsel von Brennelementen durch Teillastbetrieb zu verzögern. Ferner soll mit Blick auf die Netzsicherheit überprüft werden, ob sich Kraftwerke aus der "Kaltreserve" mobilisieren lassen. Damit sind solche Kraftwerke gemeint, die aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt wurden und deren Wiederinbetriebnahme umfangreiche Vorbereitungen mit einer Dauer von mehren Monaten voraussetzt.

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