August 2010

100802

ENERGIE-CHRONIK


Ausmaß der Laufzeiten-Verlängerung und der Gegenleistungen noch unklar

Die Auseinandersetzung um längere Laufzeiten für Kernkraftwerke dauerte auch im August an. Als Gegenleistung für die Verlängerung will die schwarz-gelbe Bundesregierung offenbar in jedem Fall eine Brennelemente-Steuer einführen, die 2,3 Milliarden Euro an Einnahmen erbringen soll (100704). Unklar blieb dagegen, ob und wieweit die KKW-Betreiber darüber hinaus belastet werden sollen, indem sie beispielsweise einen Beitrag zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien leisten oder ihre alten Anlagen nachrüsten müssen. Strittig blieb ferner das Ausmaß der Laufzeiten-Verlängerung. Das dazu von der Regierung in Auftrag gegebene Gutachten (100302) wurde am 27. August vorgelegt. Das mehrdeutige, schwer verdauliche Papier berücksichtigt zusätzlich zu den vier Laufzeiten-Szenarien zwei unterschiedliche Vorgaben für den Nachrüstungsbedarf der Kernkraftwerke. Die Koalition könnte es sicher gut als Argumentationshilfe verwenden, um eine Laufzeitenverlängerung zwischen zwölf und zwanzig Jahren zu begründen (siehe Link). Als politisch durchsetzbar gelten allerdings eher zwölf Jahre. Den Auftrag für das Gutachten vergab die Regierung an das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) zusammen mit dem Schweizer Prognos-Institut und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (gws), was die Finanzierung des EWI durch die Energiekonzerne ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten ließ (100807).

Die vier Konzerne fordern eine Verlängerung um mindestens 15 Jahre

Die vier Kernkraftwerksbetreiber gaben im August ihre bisherige Zurückhaltung auf und versuchten mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit, ihre nicht sonderlich populären Positionen zu festigen. So inszenierten sie ein "gemeinsames Interview" mit der "Bild-Zeitung" (16.8.), in dem Johannes Teyssen (E.ON), Jürgen Großmann (RWE), Tuomo Hatakka (Vattenfall) und Hans-Peter Villis (EnBW) mit verteilten Sprecherrollen deutlich längere Laufzeiten verlangten. "Wir fordern eine satte zweistellige Zahl zusätzlicher Jahre, mindestens aber 15 Jahre", erklärte E.ON-Chef Teyssen.

In den Wochenendausgaben führender Zeitungen erschien außerdem am 21. August eine ganzseitige Anzeige, in der sich die vier Konzernchefs zusammen mit anderen Spitzenmanagern der deutschen Wirtschaft wie dem Bankier Josef Ackermann für die Kernenergie und ein "ausgewogenes energiepolitisches Gesamtkonzept" stark machten: "Ein vorzeitiger Ausstieg wurde Kapital in Milliardenhöhe vernichten – zu Lasten der Umwelt, der Volkswirtschaft und der Menschen in unserem Land." Zu den Unterstützern des Appells gehörten auch die ehemaligen SPD-Politiker Wolfgang Clement und Otto Schily, der Fußball-Manager Oliver Bierhoff und der Publizist Manfred Bissinger.

Kanzlerin will sich nicht unter Druck setzen lassen

Der Nutzen der Anzeige dürfte schon deshalb fragwürdig gewesen sein, weil es sich bei den unterzeichnenden Wirtschaftsbossen nicht gerade um Sympathieträger handelt. Im Kern sei die Anzeige "eine Attacke auf Bundesumweltminister Norbert Röttgen", befand die FAZ (21.8.). Aber auch von anderen Politikern wurde die Anzeigenkampagne als Pressionsversuch empfunden. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr neuer Regierungssprecher Steffen Seibert sprachen zunächst von einem normalen Beitrag zur politischen Diskussion. Am 24. August verbat sich Merkel dann aber ausdrücklich, von der Lobby mit PR-Methoden unter Druck gesetzt zu werden: "Wenn irgendetwas in Richtung einer Drohung oder eines Gepreßtwerdens führt, dann führt das bei mir meistens zu einer totalen Gegenbewegung", sagte sie in einem Video-Interview mit der Mediengruppe Madsack, zu der unter anderen die "Hannoversche Allgemeine" und die "Leipziger Volkszeitung" gehören.

Am 18. August begann die Kanzlerin mit einer Energie-Tour, die wohl symbolisch zum Ausdruck bringen sollte, daß sie mit der Materie vertraut ist und alle Arten der Stromerzeugung kennt. Erstes Ziel war ein Windkraftanlagen-Hersteller in Mecklenburg-Vorpommern. Es folgten die Strombörse EEX in Leipzig, das Kernkraftwerk Emsland und ein Laufwasserkraftwerk in Baden-Württemberg.

Ende September soll das "Energiekonzept" endlich stehen

Verwirrung gab es zeitweilig um die Abstriche an der ursprünglich geplanten Gewinnabschöpfung, die inzwischen die Union vornehmen möchte. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder ließ am 20. August in einem Interview zunächst verlauten, daß es neben der Brennelemente-Besteuerung keine Zusatzbelastung geben dürfe. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe korrigierte diese Aussage am 23. August und stellte eine Vereinbarung in Aussicht, in der sich die vier Konzerne zu einem "substantiellen Beitrag zum Ausbau regenerativer Energien" verpflichten.

Endgültige Klarheit über die Dauer der Laufzeiten-Verlängerung und die dafür zu erbringenden Gegenleistungen ist erst Ende September zu erwarten. Die Bundesregierung will dann das in der Koalitionsvereinbarung (091001) angekündigte Energiekonzept endlich vorlegen.

Bundesländer kündigen Verfassungsklage an

Unklar bleibt vorläufig ferner, wieweit die Laufzeitverlängerung der Zustimmung der Bundesländer bedarf. Am 27. August wurde in Berlin ein Positionspapier gegen die Laufzeitenverlängerung vorgestellt, das neun der sechzehn Bundesländer unterstützen. Dazu gehören auch die Länder Saarland, Hamburg und Thüringen, in denen die CDU mit Grünen bzw. SPD regiert. "Jede, auch eine marginale Laufzeitenverlängerung wird der Zustimmung des Bundesrats bedürfen", warnte der rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD). Sie kündigte eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, falls der Bundestag die Laufzeitenverlängerung ohne Zustimmung des Bundesrats beschließen sollte, wie dies die schwarz-gelbe Koalition offenbar beabsichtigt.

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