September 2003

030906

ENERGIE-CHRONIK


Streit um Schadensersatz für Mülheim-Kärlich endgültig beigelegt

Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz und der RWE-Konzern haben am 9. September 2003 einen über zehn Jahre dauernden Rechtsstreit um Schadensersatzforderungen wegen einer fehlerhaften Genehmigung für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich beigelegt. Zusätzlich zur Rücknahme der Klage, die bereits im Kernenergie-Kompromiß vereinbart worden war, übernimmt RWE sowohl die eigenen Prozeßkosten als auch die Anwaltskosten des Landes in Höhe von rund 25 Millionen Euro. "Jedes finanzielle Risiko für das Land ist ein für alle Mal beendet", kommentierte der Mainzer Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) die Vereinbarung, die auch von RWE bestätigt wurde. (FTD, 11.9.)

RWE hatte vor Gericht erfolgreich Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe geltend gemacht, weil die damalige Landesregierung unter Ministerpräsident Helmut Kohl (CDU) im Jahre 1975 eine fehlerhafte erste Teilgenehmigung erteilt hatte. Die Genehmigung war angefochten und 1988 vom Bundesverwaltungsgericht für ungültig erklärt worden. Das Kernkraftwerk mußte deshalb im September 1988 nach nur wenigen Monaten Laufzeit abgeschaltet werden und war seitdem nie wieder ans Netz gegangen.

Rechtsstreit dauerte über ein Jahrzehnt

Der 1300-MW-Reaktor in Mülheim-Kärlich kostete sieben Milliarden Mark. Er wurde 1975 begonnen und ging wegen etlicher Verzögerungen schon während des Baues erst im März 1986 ans Netz. Schon kurz danach mußte er im Oktober 1986 wegen fehlender immissionsschutzrechtlicher Genehmigung für den Kühlturm abgeschaltet werden. Die Wiederinbetriebnahme im August 1987 dauerte nur etwa ein Jahr. Dann hob das Bundesverwaltungsgericht am 9. September1988 die erste Teilgenehmigung aus dem Jahre 1975 wegen mehrerer Mängel auf. Unter anderem war der Standort nachträglich um dreißig Meter verschoben worden, um zu vermeiden, daß der Reaktor auf einer Kante zwischen zwei Erdplatten errichtet wurde. Das Kernkraftwerk mußte aufgrund dieses Urteils abgeschaltet werden. Die Mainzer Landesregierung erteilte daraufhin im Juli 1990 eine neue erste Teilgenehmigung, die aber nicht mit Sofortvollzug ausgestattet wurde, so daß die Anlage weiterhin abgeschaltet blieb. Im Mai 1991 hob das Oberverwaltungsgericht Koblenz auch die neue Teilgenehmigung auf, weil die Genehmigungsbehörde nicht sorgfältig geprüft habe, ob die Anlage nach dem neuesten Stand der Technik ausreichend gegen Unfälle ausgelegt sei. RWE Energie legte gegen dieses Urteil Revisionsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein (910712), das daraufhin die Revision zuließ ( 920314) und im März 1993 den Prozeß an das Oberverwaltungsgericht zurückverwies (930302). Das Bundesverwaltungsgericht teilte zwar nicht die Auffassung der Koblenzer Richter, daß die neue erste Teilgenehmigung grundsätzlich unzureichend sei, hielt aber eine nochmalige Prüfung der Frage der Standortsicherheit, besonders mit Blick auf die Erdbebengefahr, für geboten. Der Versuch von RWE Energie, auf der Grundlage dieses höchstinstanzlichen Urteils eine Genehmigung für den sofortigen Betrieb der Anlage zu erreichen, blieb erfolglos (930511 u. 930709). Im November 1995 hob dann das Oberverwaltungsgericht die nachgebesserte erste Teilgenehmigung erneut auf, weil die Erdbebensicherheit nicht hinreichend geprüft worden sei (951101). Die Revision gegen dieses Urteil wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 14.1.1998 zurückgewiesen (980101). Der RWE-Konzern gab indessen die Hoffnung nicht auf, das Kernkraftwerk wieder in Betrieb nehmen zu können (980315). Erst in den Verhandlungen um den Ausstieg aus der Kernenergie erklärte er sich zur Stillegung der Anlage in Mülheim-Kärlich bereit. Als Gegenleistung bekam er für seine anderen Kernkraftwerke eine zusätzliche Reststrommenge von 107,25 TWh eingeräumt (000601).

RWE wollte zunächst vier Milliarden Mark Schadensersatz

Neben dem Prozeß um die Inbetriebnahme von Mülheim-Kärlich betrieb RWE Energie eine Schadensersatzklage gegen das Land Rheinland-Pfalz, die sowohl vor dem Landgericht Mainz (920607) als auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz (950403) erfolgreich war. Anfang 1997 bestätigte auch der Bundesgerichtshof, daß das Land die Hälfte des Schadens ersetzen müsse, der durch die fehlerhaften Teilgenehmigungen bzw. den erzwungenen Stillstand des Reaktors entstanden war. Er beschränkte aber den Anspruch, den RWE zunächst mit etwa vier Milliarden Mark beziffert hatte, im wesentlichen auf die Investitionskosten (970112). Über den genauen Umfang der Schadensersatzansprüche sollte das Oberverwaltungsgericht Koblenz befinden, das den Streitwert im April 2001 mit rund 1,2 Milliarden Euro festsetzte. Im Zuge des Kernenergie-Kompromisses verpflichtete sich RWE grundsätzlich zur Rücknahme der Klage und beantragte den Abriß von Mülheim-Kärlich (010602). Der Streit um die Prozeßkosten von 70 Millionen Euro zog sich jedoch weitere zwei Jahre hin und endete erst mit der jetzt getroffenen Vereinbarung.

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